Am Sonntag steht eine afroamerikanische Frau, ganz in Weiß gekleidet, am Eingang des MQ und spielt Saxophon bzw. singt eine flotte Aufforderung an Wiener Frauen, Musik zu machen. Sie sei gerade aus New York zurück, sagt sie, an ihrer Seite steht ein ebenfalls weißer Rollkoffer. In Amerika sei es nicht leicht, als Frau in eine Band zu kommen. Eine begeisterte Zuhörerin mit Kopftuch und langem Rock legt die Hand auf ihr Herz und versichert der mitreißenden Afroamerikanerin, dass sie fortan Musik machen werde. Ein paar Wochen zuvor spielte am Platz der Menschenrechte vor dem MQ eine ukrainische Band aus Iwano-Frankiwsk, die mit einem Haufen Bläsern und mehreren Schlagzeugvarianten für einen extrem treibenden Beat sorgte. Das Trübe der Herbstdunkelheit verflog, bis es zu regnen anfing. Das ukrainische Mind Blowing Orchestra braucht den öffentlichen Raum, viel Luft um sich herum: Platz. Die Musik wirkt extrem lebensbejahend, fordert zum Leben auf, zum etwas positives Tun!
Musizieren für die Landesverteidigung
Der Hauptschlagzeuger reibt sich beharrlich mit der Hand über den Rücken. Das Metallgestell über seinen Schultern, von ihm selbst konstruiert, ist enorm schwer, über zwanzig Kilo. Mehrere Trommeln sind mit Schrauben an einem Gestell befestigt und im Halbkreis angeordnet. Ein anderer Musiker hat nur eine Hi-Hat und ein Tamburin, er gibt die Zeichen für Einsatz und Schluss, wie ein sehr aufmerksamer Dirigent. Iwano-Frankiwsk, in Richtung Polen unterhalb von Lwiw/Lemberg gelegen, ist eine Stadt mit einem künstlichen See im Zentrum, der über einem jüdischen Friedhof angelegt wurde. (Anmerkung: In Wien sind fast alle öffentlichen Parkanlagen über Friedhöfen errichtet.) Viele ukrainische Musiker befinden sich derzeit auf Reise, um Geld für die Verteidigung ihres Landes zu sammeln. Das Mind Blowing Orchestra wird anschließend nach Berlin weiterreisen. »Wahrscheinlich werde ich, wenn wir nach Iwano-Frankiwsk zurückkehren, auch kämpfen gehen, um mein Land zu verteidigen», sagt der Schlagzeuger und wischt sich verloren übers Gesicht. Er sieht erschöpft aus. Er steht vor dem Dilemma, ob es in der derzeitigen Situation mehr bringt, wenn er als Musiker im Ausland Stimmung für sein Land macht oder wenn er selbst die Waffe in die Hand nimmt. Eine schwere Entscheidung.
Publikum aus Omas und Kindern
Eine Woche darauf tritt am Karlsplatz die ukrainische Band THMK auf, die hauptsächlich rappt und inmitten von Frauen mit Kleinkindern steht – bestimmt nicht ihr gewohntes Publikum. Der Sänger scheint die Menge zu beschwören und hält Reden zwischen den Nummern. »Babica«, flüstert ein Junge vor sich hin, der vor dem neu erbauten Wien Museum im Gras steht. Und noch einmal lauter, wie einen Zauberspruch: »Babica!« Seine müde aussehende Oma mit kurzen Haaren und Brille steht derweil am Rand und beobachtet ihn mit Argusaugen. Ein zweiter Kleiner kommt angerannt und beide Kinder hüpfen in Höchstgeschwindigkeit wie die Ziegenböcke um die Bäume herum. So kann man Rap-Musik auch interpretieren. Urlaut beginnen die Glocken der Karlskirche zu läuten und hören und hören nicht auf. Der ukrainische Rapper ist aber auch nicht von schlechten Eltern und wird lauter und lauter. Die Ukrainerinnen lachen und shaken. Heftigen Gegenwind sind sie inzwischen leider mehr als gewohnt.