Eine Nonne singt selbst geschriebene Lieder, um ihrer Zuhörerschaft (oft Kindern) auf diese Weise Gott näher zu bringen. Sie bedient sich dabei diverser, recht einfacher musikalischer Mittel – Gitarre, Klavier und eine elektrische Orgel, aus der hin und wieder auch tuckernde Rhythmen herauskommen. Über den sparsamen Arrangements schwebt die zarte, glockenhelle Stimme der Ordensfrau. Ihr Name: Sister Irene O’Connor. Im weiteren Verlauf der Geschichte entsteht eine Schallplatte. Dafür bedient eine befreundete Ordensschwester rudimentäres Equipment und bastelt mit Engelsgeduld die Aufnahmen für »Fire of God’s Love« zusammen – und fertig. 1973 wurde das Album erstveröffentlicht und wäre das alles nicht historisch wasserdicht (Sister Irene lebt noch, über 90 Jahre alt), dann könnte man auf den Gedanken kommen, man habe es mit einem elaborierten Scherz zu tun, einer Erfindung, um Platten sammelnden Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Originale des Albums sind in der Tat teuer, aber glücklicherweise wurde »Fire of God’s Love« nun wieder aufgelegt. Vergegenwärtigt man sich, wann und unter welchen Umständen die Musik von Sister Irene O’Connor entstand, so ist es um so erstaunlicher, wie zeitlos sie klingt. Durch den Einsatz der elektronischen Orgel erhalten die naiv anmutenden und treuherzig vorgetragenen Hymnen einen futuristischen Touch und hätten auch auf B-Seiten der britischen Band Broadcast erscheinen können. Es ist ihnen nämlich auch diese gewisse Unheimlichkeit zu eigen – popkulturelles Stichwort: Hauntology, sie wissen schon. Man fragt sich, aus welchem Zwischenreich Sister Irene ihre Signale empfangen hat, wenn sie zum Beispiel in »Teenager’s Chorus« bei aller Freude aneinander an keuschen und gottesfürchtigen Umgang miteinander gemahnt! »Boys and girls, so happy, young and gay, don’t let false worldly joy carry your hearts away. Joy that’s deep and real is truly found where love and service to the Lord abounds.« Sie hat es sicher (hoffentlich) stets gut gemeint, aber angesichts der weltweit dokumentierten und mehr oder weniger hinreichend aufgearbeiteten Widerwärtigkeiten in klerikalem Kontext (sexueller Missbrauch etc.) erscheinen die gesungenen Harmlosigkeiten in einem finsteren Licht. Aber auch ohne diese historischen Gewissheiten kommen die als Kinderlieder präsentierten Kompositionen doppelbödig daher bzw. man könnte auch sagen, Sister Irenes inbrünstiger Vortrag überzeugt noch die gottlosesten Geschöpfe, weil sie in entwaffnender Manier vorgetragen werden. »Fire of God’s Love« ist nicht bloß ein obskures Album christlicher Popmusik, es ist auch schlicht ein gutes Album. Im selben Jahr seines Erscheinens wurde in England der Folk-Horror-Klassiker »The Wicker Man« veröffentlicht und wie wäre die Geschichte wohl ausgegangen, hätte man Sister Irene O’Connor statt Sergeant Neil Howie nach Summerisle geschickt, um das vermeintliche Verschwinden von Rowan Morrison aufzuklären? Sie hätte im Green Man eines ihrer Lieder vortragen können und vielleicht hätte sich die Dorfgemeinschaft erweichen lassen, die Lügengeschichte um das Mädchen auf den Tisch gepackt und alle hätten sich miteinander vertragen. Vielleicht. Sicher ist, dass »Fire of God’s Love« im Gespensterreich der Popkultur fortlebt, einer Nischenerinnerungskultur, in der auch andere »verkannte« Meisterwerke wie Vashti Bunyans »Just Another Diamond Day« und Raymond Scotts »Soothing Sounds For Baby« oder obskure Gospel-Interpreten wie Washington Phillips und schräge Vögel wie Tiny Tim verehrt werden. Alles sehr speziell. Incredible Strange Music sagte man früher dazu auch manchmal, aber das ist irreführend, weil eine solche Kategorisierung eher Ausweis eines kulturellen Missverständnisses in der Rezeption war und ist. Je genauer man hinhört und versucht, zu verstehen, um so rätselhafter und interessanter wird es – auch bei Sister Irene O’Connor.
Sister Irene O’Connor
»Fire of God’s Love«
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