Sechs Kugeln für Django

Kommt mit auf einen Teller Spaghetti. Ins Kino. Zu Quentin Tarantinos »Django«. Eine epische skug-Filmkritik. (Ohne Spoilerwarnung! This is no fucking Inhaltsangabe. Tata.)

Eine Kugel ins Knie
Peng. Die erste Kugel direkt in die Kniekehle, da wo es wirklich wehtut. Platsch, eine Blutfontäne knallt seitwärts. Schon humpelt Samuel Jackson – genauso wie die Dramaturgie von »Django unchained« (das »D« ist übrigens stumm). Aber Tarantino-Filme schaut man sich ohnehin mindestens zweimal an. Um all die groben Feinheiten zu würdigen und sich über den mutmaßlichen Spannungsbogen hinwegzusetzen. Nicht erst »Inglorious Basterds« zerfiel beim ersten Hinsehen in einzelne Tableaus, die inhaltlich und stilistisch auseinander drifteten und zwischen denen die Anschlussszenen fehlten (bei »Inglorious Basterds« übrigens auch kaum durch die üblich tarantinoeske Filmmusik zusammengeschweißt, eine Seltenheit beim Meister, was wohl der Verortung geschuldet war). Aber beim zweiten Schauen ist man gegen das Humpeln gewappnet und kann sich den großartigen inhaltlichen und dramaturgischen Ideen widmen, auf denen viele Tableaus basieren (die Eröffnungssequenz! die Sheriffsequenz! die Ku-Klux-Klan-Sequenz! die Nachtmahlsequenz!). Und natürlich die maßgeschneiderte Schauspielerei genießen. Das ist bei »Django Unchained« kaum anders, der Film ist aus dramaturgischer Sicht mindestens eine halbe Stunde zu lang, das letzte Viertel ist pure Redundanz, eine Art verlängerter Spaghetti-Videoclip-Showdown, zugepappt mit einem Filmmusikmedley. Aber beim zweiten Mal wird man auch diesen Teil mögen, der im Grunde wie eine Nachspeise funktioniert. Was isst man nach Spaghetti? Ah, klar, noch mehr Rotwein. Blutrot.

Eine Kugel in die Eier
Peng. Von der Empore hinunter auf den liegenden Mann. Das gibt Spaghetti mit Ei. Die Gewalt ist so eine Sache in »Django unchained« (das »D« ist übrigens wirklich stumm). Tarantino zeigt die Gewalt grauslicher als je zuvor. Im großen Shootout spritzt das Blut literweise, Hautfetzen fliegen durch die Gegend, die Wände werden besudelt, flatsch, platsch. Trotzdem geht Tarantino wahnsinnig inflationär damit um, der Vergleich mit Peckinpahs »Wild Bunch« ist an allen Haaren herbeigezogen. Peckinpah verdammte durch Verherrlichung, für Tarantino hingegen ist Gewalt ein dramaturgischer Quickie. Eines der Gemetzel des Filmes ist schneller vorbei, als man hinschauen kann, für eine andere Szene findet er ein fast mythisches Bild, den blutbespritzten Rücken eines Pferdes. Auf ähnliche Weise zeigt er letztendlich auch die Versklavung der Afrikaner: einerseits drastischer als je zuvor in einem Western bzw. »Unterhaltungsfilm«, andererseits eben doch kurzweilig, also unterhaltsam. Aber wer wären wir, das zu bemeckern. Hey, it’s no Michael Haneke, no Gaspar Noe, no Ken Loach, it’s a Tarantino, stupid. Man weiß immer, dass es kein Blut ist, sondern Spaghetti-Sauce.

Eine Kugel in den Hals
Peng. Die halbe Kehle weggefetzt, jetzt fällt das Sprechen ziemlich schwer. Ein Drama, so wird das nichts mehr mit einem Tarantino-Film. Darum passiert das auch nicht in »Django unchained« (das »D« ist übrigens … genau!). Der Tarantino-Moment ist eigentlich ein Drehmoment, eine Verschiebung, die aus der Spaghetti-Western-Vorlage einen reinen Tarantino macht. Das liegt, nona, ein weiteres Mal an den Dialogen, am ausgeklügelten Einsatz der Sprache. Wo im klassischen Western schweigsame Helden durch die Prärie reiten, wo der Cowboy als grobgeschnitztes Landei mit hölzernem Charme gezeichnet wird, da setzt Tarantino auf verschrobene Eloquenz. Das erzeugt vor allem im ersten Drittel des Films für eine echte Überschreibung, für einen stilistischen Gegenentwurf mit famosen Effekten. Insbesondere etwa die Kapuzendiskussion des Ku-Klux-Klans, selten wurde das rassistisch Böse so gelungen ins Lächerliche gezogen. Dazu gehört auch, dass sich der Sklavenhalter Calvin J. Candie (Leonardo DiCaprio) als Monsieur bezeichnen lässt, aber kein Französisch kann. Und ebenso die Schädelknochensequenz (die übrigens ein wenig an die legendäre Alle-Italiener-stammen-von-Afrikanern-ab-Sequenz aus »True Romance« erinnert). »All Talk, all Action«, sich gegenseitig aufhebend, sich gegenseitig verstärkend, in allen denkbaren Variationen, das ist das Tarantino-Rezept. So gesehen bietet »Django unchained« wenig Neues, aber viel Bewährtes. Ergo: schon wieder Nudeln.

Eine Kugel in den Bauch
Peng. Voll in den Bauch, natürlich fetzen die halben Gedärme davon. Die zweite Überschreibung in diesem Spaghetti-Western gilt dem historischen, dem mutmaßlich sozialkritischen Bezug. Spike Lee hat Tarantino schon bei »Jackie Brown« für den allzu lässigen Umgang mit dem Diskriminierungsthema kritisiert (immer dieses »N«-Wort). Und auch »Django unchained« (ohne »D«, klar?) hat eine Rüge erhalten. Tarantino hat sich darauf zu Wort gemeldet und den gerade für deutsche Sinnverhältnisse anstößigen Holocaust-Vergleich artig gerechtfertigt. Außerdem gehe es eben doch bloß um einen Western. Alles eine Frage der Erwartungen also. Die sind sowieso überzogen. Tatsächlich haben nur die Spätfilme von Sergio Leone und zwei, drei Filme von Sergio Corbucci (etwa »Il mercenario«, »Il grande silenzio« und natürlich »Django«) das Genre definiert, das Gros der ehemaligen Spaghetti-Western sind heute unerträglich banale Machwerke. Tarantino hat dieses hirntote Genre in eine halbwegs gehaltvolle Blutoper umgewandelt. Noch ein Vergleich dazu: Die letzten erfolgreichen Westernbelebungen waren »Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford« von Andrew Dominik und »True Grit« von den Coen-Brüdern. Beide Filme waren stilsicherer und letztlich stimmiger als »Django Unchained«, zeigten sich inhaltlich aber weitaus zahmer und lahmer. Nur am Beginn von »True Grit«, bei der Erhängungsszene, zeigten die Coen-Brüder eine Grimmigkeit mit sozialem Hintergrund, die das Genre längst verdient hätte. Verdient wie einen Tritt in den Arsch – oder einen Schuss in die Magengrube.

Eine Kugel ins Hirn
django_unchained.jpgPeng. Endlich die Schläfe erwischt, das Gehirn spritzt hoch. »Auch wenn es eine Menge interessanter, junger Filmemacher gibt, sehe ich ehrlich gesagt im Moment keine Avantgarde, die mich zu überrennen droht«, sagte Tarantino unlängst. Und weiter: »Es gibt niemanden anderen, der das tut, was ich tue.« Tarantino meinte damit weniger eine Avantgarde, wie sie der internationale Experimentalfilm kennt, sondern Regisseure, die Filme nicht bloß als stilsichere (und meist wahnsinnig konservative) Geschichtenbebilderungen verstehen, sondern eben als Spiel mit dem Medium selbst, als Spiel mit filmischen Formen. Dass er das in Bezug auf »Django unchained« (das ist der Film ohne »D«) sagt, ist etwas keck, denn stilmüder hat Tarantino selten inszeniert. Es gibt eine kurze Erinnerungssequenz im visuellen Stil der originalen Spaghetti-Western, es gibt zwei Stellen, wo sich der Film eine Videoclip-Auszeit nimmt, es gibt eine ruppige Kapiteltrennung durch einen seitlich eingeschobene Filmtitel – davon abgesehen ist der Film über weite Strecken fast bieder inszeniert. Wobei das nicht ganz fair ist, denn es ist ja eben das Zusammenwirken von Inhalt, Darbietung und Form, das den Mehrwert ausmacht. Würde man dem Film das Sklaventhema wegnehmen, wäre er unbedeutend. Würde man dem Film Christoph Waltz wegnehmen, wäre er langweilig. Würde man dem Film Tarantino wegnehmen, wäre er ein moraltriefendes Lehr- und Rachestück. Aber eben, es geht ums Kochen, nicht um die Zutaten. Wie bei Spaghetti.

Eine Kugel bleibt im Revolver
Muss so sein. Ein Schuss bleibt immer übrig. Für den Rezensenten. Für das Publikum. Alle haben noch eine Wahl, etwas bleibt immer offen. Abgerechnet wird zum Schluss … nach dem Film. Man geht weg und hat noch eine Rechnung offen. Mit Tarantino. Mit diesem Filmerlebnis. Man will noch jemand abknallen für dieses unbefriedigende Meisterwerk. Tut man aber nicht. Sondern geht essen. Auf einen Teller Spaghetti. Ein unverwüstliches Gericht, wohlschmeckend, raffiniert, banal. Fast wie ein Tarantino-Film.

Home / Kultur / Film

Text
Curt Cuisine

Veröffentlichung
18.01.2013

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