Die Sargfabrik als Ausgangs- und Endpunkt meiner Betrachtungen zu Salam.Orient, dem von Norbert Ehrlich klug kuratierten Festival für Musik, Tanz, Poesie aus orientalischen Kulturen. Auftakt mit dem Duduk-Trio von Djivan Gasparyan: Die kleine Aprikosenholzoboe Duduk klingt tatsächlich erdig-warm, als ob ein Wind den Sound des Sehnens und der herben Melancholie aus dem Kaukasus herabbläst. Auch wunderbar: Ein Chor mit georgischen Frauen: Tutarchela, aus der Industriestadt Rustavi, verfügen über seidene Stimmen, die in polyphoner Mehrstimmigkeit aufgehen. Von bordunartig bis gurrend-jodelartig reichen die Gesänge aus Regionen von Swanetien bis Gurien, die auch im Vortrag von alten Helden- und Kampfliedern gipfeln. Was den Intellekt herausfordert. Krieg, wie zuletzt jener Georgiens gegen »russische Enklaven« auf georgischem Territorium 2008, verschärft bzw. zementiert leider bestehende Probleme.Was Tutarchela aber bewusst ist: der 13-köpfige Chor ist auch in Sachen Friedensmission unterwegs.
Friedensbotschafter
Gleich zwei Highlights sind im Porgy & Bess zu goutieren: Das aus Arabern und Juden zusammengesetzte The Arab Orchestra Of Nazareth spielt ein überzeugendes Tribute an die ägyptische Gesangsikone Oum Kalthoum. Das beinah überzuckerte Wehklagen der Violinen, Ney und Oud trägt die Sängerin Lubna Salamé sanft und doch bestimmt. Ganz anders die Musik von Ohmer Ishas & The Peace Messengers. Ohmer Ishas stammt aus der Krisenregion Darfur und sieht sich wie das Ensemble aus Nazareth als Friedensbotschafter. Hier trifft arabische Musik auf schwarzafrikanische Tradtionen. Klug eingesetzte Bläser und ein Akzente setzendes Akkordeon sorgen für Klangfarbenvielfalt und ganz besonders einprägsam sind die Call- and Response-Gesänge, die sich Ishas mit zwei Vokalistinnnen liefert. Zur selben Zeit gastierte das famose Orchestra Bembaya Jazz aus Conakry/Guinea im Reigen. Augen- und Ohrenzeugen berichten von einem ebenso vor Lebensfreude sprühendem Konzert, leider nur vor 20 Leuten. Da der Begriff Orient bei den Ex-Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien bis nach Westafrika reicht, wäre es fein, wenn das Festival Salam.Orient auch dem muslimisch-christlich gemischten Bembeya Jazz Ensemble einmal voll besetzte Publikumsränge garantieren könnte. Denn auch Femi Kuti, obwohl aus Nigeria, gastiert bei Salam.Orient, und zwar in der Arena. Erst nach einiger Zeit taut das große Ensemble auf: super tanzbarer Afro-Beat, mit Femis Superhits letztlich doch eine Win-Win-Situation.
Leider misslungen: Das Tanztheater Sara &Safa bringt das Motto »Mystic Sufis« zwar respektvoll auf die Bühne des Theater Akzent, jedoch reicht die Uraufführung keineswegs an die Professionalität eines Mercan Dede (Gig mit Sufitänzerin 2007) heran. So erklingt die Musik des Meisters Dede Effendi etwas kitschig und wirken die TänzerInnen in ihren Kitteln etwas plump und amateurhaft, wenngleich eine authentische Geschichte erzählt wird.
Sevda & Ensemble aus Baku
Eigentlich hätte die türkische Kombo Kollektif Istanbul sehr gut ins Programm von Salam Orient gepasst. Balkanflair mit Funk- und Jazzelementen – mal temperamentvoll, mal klagend und traurig – in der Besetzung Klarinette, Saxofon, Tuba, Schlagzeug, Akkordeon und Gesang. Die melancholischen, jazzigen Stücke werden charmant und gefühlvoll von der jungen Sängerin Aslý intoniert. Auch ohne der türkischen Sprache mächtig zu sein wähnt man sich dabei inmitten einer tragischen anatolischen Liebesgeschichte. Packender sind aber jene lebenslustigen Songs mit Funkelementen, in denen die exzellenten Musiker Tempo machen, allen voran Tubist Olivier mit treibender Basslinie. Temperamentvoll auch Richard Laniepce, der sympathisch natürliche Kopf des Ensembles, der bald auch das sehr junge Publikum zum Tanzen animiert.
Zu Recht genießt Kollektif Istanbul in der Türkei große Beliebtheit – und wäre während seines Wiener Gastspiels im Rahmen der Türkischen Kulturwoche nicht nur bei Salam.Orient, sondern auch im für Balkanstyle prädestinierten Klub Ost gut aufgehoben gewesen.
Den absoluten Höhepunkt setzen überraschend Sevda & Ensemble tags darauf. Das Etikett »World Music und Ethnojazz« schreckte im Vorfeld etwas ab, doch erweisen sich die virtuosen Musiker aus Baku als großartige Stilisten. Die aserbaidschanische Hauptstadt fungiert hier als Schmelztiegel, wo sich harter Großstadtjazz aufs Angenehmste mit Mughams und anderen Folklorismen paart.
Die Sängerin Sevda, optisch eine irritierend frivole Diva, verfügt über eine fabelhafte, facettenreiche Stimme, die nach einer ganz eigenen Interpretation von Jazzgesang sucht und Eigenprofil gefunden hat. Großartig: Das Leid des Verlassenseins, von Sevda intensiv und mit bitterem Timbre vorgetragen.
Das unglaublich zupackende Spiel ihrer Bandkollegen begeistert. Schlagzeug und Kontrabass interagieren, die Oud wird hart angeschlagen, das Piano ebenso. Und dennoch können diese Musiker auch die sanftesten Töne spielen. Auch Malik Mansurov, der auf der Tar himmlisch zugange ist und schon als Sideman des aserbaischanischen Gesangsstars Alim Qasimov (Wahnsinnsgastspiel vor Jahren bei Salam Orient) zu beeindrucken wusste.