Nur etwa dreißig Minuten und exakt elf Tracks lang braucht die 25-jährige Spanierin Rosalía auf ihrem neuen Album »El Mal Querer«, um dem neuerdings weltweiten Ruf als Game-Changerin in Sachen Flamenco gerecht zu werden. Als Inspiration für die Platte diente ihr bei alldem der Roman »Flamenca« aus dem 13. Jahrhundert. Das Album unterteilt sie dabei streng in Kapitel, deren Bedeutung man auch als nicht-spanischsprachiger Hörer mehr als nur erahnen kann, etwa »Lamento«, »Liturgia« oder »Éxtasis«. Zu einigen der Songs hat sie hochgradig symbolisch aufgeladene Video-Clips im Angebot. Im Clip zu »Malamente« ersetzt sie den Stier im Stierkampf kurzerhand durch sich selbst auf einem Motorrad. Im Video zu »Pienso en tu mirá« sieht man außerdem unter anderem blutende Männerherzen vor der Kulisse ihrer LKWs. Als Erzählung über das Album hinweg dient Rosalía darüber hinaus eine komplizierte und eher ungute Beziehung, die von Ekstase bis tiefster Verzweiflung alles beinhaltet.
Man darf ihr und ihrem Produzenten, El Guincho, somit zu Recht konzeptionelle Strenge unterstellen. Ebenso streng und präzise wie das Konzept ist aber auch die musikalische und künstlerische Umsetzung. Zwei Jahre habe es gedauert, diese Platte zu entwickeln, gibt Rosalía in mehreren Interviews zu Protokoll. Das mag wohl weniger an der überbordenden Materialfülle gelegen sein, als vielmehr an dem durchaus kühnen Versuch, Flamenco mit Hilfe von elektronischen Sounds, Pop und R&B in die Jetztzeit zu transferieren und dabei dennoch den ellenlangen Traditionsstrang nicht zu kappen. Das gelingt ihr vor allem deshalb so unglaublich gut, weil sie den Flamenco in seiner harmonischen und musikalischen Reichhaltigkeit nicht verflacht. Der Popeinfluss führt nicht hin zur Vereinfachung, sondern zur Klangveränderung und -erweiterung. Die durchaus komplexe Akkordbeschaffenheit des Flamencos wird nicht zugunsten von altbekannten Popakkordwechseln getilgt, sondern statt von Gitarren von Keyboards und anderen Soundquellen getragen. Dazu singt, leidet, flüstert Rosalía wie die Großen des Genres und schafft zugleich große Popmomente, für die dieses bisher eher nicht stand.
Gut möglich, dass Rosalía der Inbegriff eines Typus von Popstar ist, der erst noch erschaffen werden muss. Sie ist der Popstar, der in einem kulturellen Horizont verankert ist, der Eigenheiten ermöglicht und ihn resistent gegen Nivellierungs- und Banalisierungstendenzen macht. Sie ist gut hörbar nicht nur mit der Uniformität der globalen Popmusik konfrontiert worden und aufgewachsen, sondern auch mit der Andersheit der spanischen und katalonischen Musik. Dass sie aufgrund dieser Prägungen sowohl den Flamenco unbeschadet in die Gegenwart bringt als auch parallel dazu das Zeug dazu hat, die weltweite Popmusik aufzumischen, ist tatsächlich eine kleine Revolution. Rosalía spricht spanisch, spricht Flamenco, spricht Pop, spricht Tradition und Zukunft gleichermaßen fließend. Eine Sensation.