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R.E.M. – Der 80-Millionen-Dollar-Nachruf

R.E.M. also. Die haben sich aufgelöst. Sollten uns da die Tränen in den Augen stehen? Ist das überhaupt eine Erwähnung wert? Kann man die popkulturelle Bedeutung von R.E.M. irgendwie aufschlüsseln, verhandeln oder in barer Kolumnenmünze auszahlen?

Schwer zu sagen. Probieren wir es mit etwas radikalsubjektivem Chic. Kennen gelernt habe ich R.E.M. – wie damals fast alle Welt – mit ihrem Superhit »Losing My Religion«. Eine Mördernummer, aber weder die erste noch die einzige. »The End Of The World As We Know It« war damals schon im Köcher, und weil ich das verpasst hatte, war meine damalige Freundin auch irgendwie im Recht, als sie von etwa dreihundert Meter Seehöhe auf mich herunterblickte, weil ich R.E.M. erst jetzt kannte, erst jetzt, wo sie erfolgreich und damit selbstverständlich am absteigenden Ast waren. Das war mir damals ein unausstehliches Klischee (Tja, wie ging es wohl mit meiner Freundin weiter?), und das ist es heute noch. Es stimmte trotzdem ein bisschen. Schuld daran waren aber eher die 80 Millionen Dollar, die Warner der Band 1996 zahlte – damals der höchst dotierte Plattenvertrag der Musikgeschichte. So etwas kann kein Künstler unbeschadet verkraften.  

Massenerkrankung im wei&szligen Independentsektor

Der frische, streckenweise durchaus verspielte Indiefolk der ersten Platten war damit vorbei, es ging in Richtung eines Mainstreams, den allerdings gerade auch R.E.M. zum Mainstream gemacht haben. Nennen wir es einen balladenlastigen Slowrock, eine zutiefst wei&szlige Schlagerrockmusik mit antiseptischem Groove, einem im nachhinein typisch zu nennenden Folkrock also, der heute eher als eine Art Massenerkrankung im Independentsektor einzustufen ist. Dafür konnten und können R.E.M. natürlich nichts. Dazu war ihre Musik stets zu integer, zu sehr in sich ruhend, handwerklich zu sauber und stets auch sehr kompetent gemacht. Es gibt kaum eine Platte von R.E.M., die man nicht mit der einen oder anderen Nummer im Hinterkopf zufrieden wieder weglegen kann, was nicht zuletzt an ihrem Frontman Michael Stipe lag, für dessen Gesang die Bezeichnung »sonore Stimme« scheinbar erst erfunden wurde. Aber ebenso gab es mit der Zeit immer mehr Platten von R.E.M., bei denen sich ein gewisses Sättigungsgefühl abzeichnete. Ich gestehe, dass ich in die letzten zwei oder drei Platten nicht einmal mehr reingehört habe. Ich scheine nichts verpasst zu haben. Vermutlich bin ich darum auch der falsche Grabredner.

No better way

Andererseits: Es verabschiedete sich leichter und lässiger von einem Toten, wenn man die Trauer längst abgelegt hat. Mit R.E.M. abgeschlossen habe ich schon vor einigen Jahren. Da meckerte nämlich Michael Stipe in einem Interview an Radiohead herum. Das können wir aber besser, sagte er damals sinngemä&szlig. Und ich konnte nicht einmal mehr schmunzeln. Zu viele Beispiele aus der Musikgeschichte fallen mir dazu ein, wo ins höhere bzw. ins ganz hohe Alter gekommene Herren über den Nachwuchs oder andere Kollegen lästern. Eine Unsitte ist das. Egal. R.E.M. haben sich zur Ruhe begeben. Vermutlich ist das gut so, denn im Traum kommen einem oft die besten Ideen. Vielleicht träumt Michael Stipe von einer völlig neuen Musik für sich und seine Stimme. Wir wären dankbar dafür. Aber wir sind auch nicht ganz unglücklich, die Auflösung zum Anlass zu nehmen, uns posthum eine bislang ungehörte R.E.M.-Platte vorzuknöpfen. Im Wissen, dass wir davon nie ganz enttäuscht sein werden. So I’ll just say fare thee well.

Home / Musik / Artikel

Text
Curt Cuisine

Veröffentlichung
03.10.2011

Schlagwörter

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