Wenige Figuren der Popkultur haben Musik und Literatur so konsequent zusammengeführt wie Patti Smith. Geboren am 30. Dezember 1946 in Chicago, wurde sie ab den 1970ern zur Ikone des Punk, zugleich etablierte sie sich als Poetin. Von Poesie geprägt sind auch ihre autobiografischen Werke, Texte zwischen bildreichem Erinnern und kultureller Selbstverortung. Im unter anderem mit dem National Book Prize ausgezeichneten »Just Kids« (2010) erzählte Patti Smith von ihren Anfängen und der engen Verbindung zum Fotografen Robert Mapplethorpe, »M Train« (2015) setzte später an und berichtete von den Jahren nach ihrem Durchbruch. Mit »Year of the Monkey« (2019) legte Smith eine Mischung aus Reisejournal und Traumtagebuch vor.
Zwischen Religion, Kunst und Privatleben
Die neuesten Memoiren, »Bread of Angels«, spannen einen größeren Bogen, im Mittelpunkt stehen dabei ihre Kindheit und ihre Beziehung zu Fred »Sonic« Smith. Das Aufwachsen in armen Verhältnissen in New Jersey und ihr dortiges Umfeld beschreibt Smith ausführlich und lebhaft. Die junge Patti ist gesundheitlich fragil – von Tuberkulose bis zu Masern und Mumps war fast alles dabei – und muss daher viel das Bett hüten. Dennoch ist sie abenteuerlustig, in der Nachbarschaft bekannt als das Mädchen, das am schnellsten laufen kann.
Aufgewachsen in einem Zeugen-Jehovas-Haushalt, spielt Religion früh eine wichtige Rolle – aber auch die Kunst. Schon bevor Patti in die Schule kommt, öffnet eine Gedichtanthologie mit dem Titel »Silver Pennies« das Tor zu einer neuen Welt, ab dem 15. Lebensjahr heißt es dann Rimbaud, Rimbaud, Rimbaud. Sie entfernt sich von der Religion und entscheidet sich für die Kunst – doch Spiritualität bleibt zentral. Auch im Buchtitel bildet sich das ab: »Bread of Angels« ist einem Bibel-Psalm entlehnt, es war das Superfood, so würde man heute vielleicht sagen, das Gott den Israeliten auf ihrer Wanderung durch die Wüste gab.
Smiths Durchbruch mit »Horses« (1975) wird eher gestreift, zentraler ist besagte Beziehung zu Fred Smith, dem Gitarristen der Proto-Punks von MC5, den sie 1976 in Detroit kennenlernt. Mit ihm gemeinsam zieht sie sich aus dem Rampenlicht zurück, sie heiraten, beziehen ein Haus, gründen eine Familie. Aber Patti muss von Fred früh Abschied nehmen: 1994 stirbt er mit 46 Jahren an Herzversagen. Insgesamt lässt sich das Buch auch entlang all der Todesfälle lesen, mit denen Smith konfrontiert ist: Kindheitsfreundin Stephanie, Intimus Robert Mapplethorpe, Ehemann Fred, Bruder Todd, die Eltern, Weggefährten wie William S. Burroughs und Allen Ginsberg.
Schon lange Legende
»Bread of Angels« ist bei weitem nicht nur Fanliteratur. Auch wer bisher – abseits davon, mal bei »Because the Night« mitgesummt zu haben – wenig Berührungspunkte zu Smith hatte, kann schöne Schmökerstunden verbringen. Vielleicht müssen sich manche aber erst damit anfreunden, dass Smith alles freilich sehr lyrisch und mäandernd erzählt, eine teilweise penetrante Referenzialität in Form von Verweisen auf allerlei Literatur, Musik, bildende Kunst inklusive. Gut ist, dass Smith das Buch dabei nicht – wie es andere große Stars ja gerne tun – als triumphale Geschichte ihres Erfolgs anlegt, sondern ihre Leserschaft vielmehr einlädt, sich sozusagen mitzuerinnern.
Natürlich ist »Bread of Angels« als viertes autobiografisches Werk in 15 Jahren gewissermaßen auch Beitrag zur weiteren Legendenbildung in eigener Sache, eine Poetisierung des eigenen Lebens. Dass Kunst für sie eben nicht Beruf, sondern Lebensmodus ist, das unterstreicht die »Godmother of Punk« ein weiteres Mal. Zum Schluss von »Bread of Angels« ist es aber weniger die Kunst, über die Smith reflektiert, sondern die Liebe und die Verbindung zu ihrer Familie.

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