Er- und Ûberleben im Pop
Das transdisziplinäre skug#100-Symposium will in Vorträgen und Diskussionen diese Fragestellungen mit VertreterInnen aus Musikjournalismus, Kulturwissenschaften und Musikschaffen reflektieren. Die wissen-schaftliche Patronanz des Symposiums hat Diedrich Diederichsen (Akademie der bildenden Künste Wien/ Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften) übernommen, Organisator ist Heinrich Deisl.
Für das Symposium wurde bewusst ein Raum gewählt, an dem Pop täglich passiert: der Wiener Club fluc, der seit zwölf Jahren Musik-, Kunst- und Diskursveranstaltungen realisiert. Mit dem Veranstaltungsort fluc werden die langjährigen Kollaborationen zwischen Club und skug fortgeführt.
Podium
Jochen Bonz (Keynote Speaker): Assistent Leopold-Franzens-Universität Innsbruck/Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Kulturtheoretiker, Autor (u. a. »Subjekte des Tracks«, Berlin 2008; »Das Kulturelle«, Bielefeld 2012) und Herausgeber (»Sound Signatures«, Frankfurt 2001; »Popkulturtheorie«, Mainz 2002).
(Foto: Daniel Stöckel)
Heinrich Deisl (Einführung): skug-Chefredakteur, Bereichsleitung Kunst + Kultur beim Campus & City Radio 94.4, Dissertant bei Prof. Diedrich Diederichsen, Autor (»Im Puls der Nacht. Sub- und Populärkultur in Wien 1955-1976«, Wien 2013).
(Foto: Magdalena Blaszczuk)
Kristina Pia Hofer: Lektorin an der Abteilung für Medientheorie auf der Universität für angewandte Kunst Wien, Musikerin (Ana Threat, Kristy And The Kraks), Vorstandsmitglied des Vereins Trash Rock Archives und des Labels Trash Rock Productions, Autorin (skug u. a.). Forschungsschwer-punkte: Kino, Pornografie, Trash-/Punkkultur.
(Foto: Wolfgang Bohusch)
Susanne Rogenhofer (Diskussionsleitung): Mitbegründerin der Veranstaltungsserie »Dub Club« im Wiener Flex und der Künstlerinnen-Plattform femous, DJ/Musikerin (Sweet Susie/Contact), Kuratorin (»Into The City«, Street Academy, yes – she can DJ), Kursleiterin (DJing, Ableton).
(Foto: femous)
Katharina Seidler: Wiener Radio-/Printmusikjournalistin für FM4 (»Im Sumpf«), »The Gap«, skug u. a., Kolumnistin bei der Wiener Stadtzeitung »Falter«, DJ. Dancefloor-Spezialistin, »Bürgermeisterin der Nacht« (Fritz Ostermayer).
(Foto: Pamela Rußmann)
Klaus Walter: Radiomoderator, DJ und Journalist (u. a. »Frankfurter Rundschau«, »Jungle World«) aus Frankfurt/M. Produzent der Serien »Der Ball ist rund« (HR, 1984-2008), »Was ist Musik« und »taz mixtape« (beide Byte.fm), Autor (mit Thomas Meinecke/Frank Witzel: »Plattenspieler«, Hamburg 2005 und »Die Bundesrepublik Deutschland«, Hamburg 2009). Seit 2009 im Beirat für Musik des Goethe-Instituts.
(Foto: Gerhard Klaus)
Ort: fluc, Wien Praterstern 5, www.fluc.at
Datum: Mittwoch, 22. Oktober, ab 18 Uhr
Eintritt frei
Mit freundlicher Unterstützung des Magistrats der Stadt Wien MA7, Wissenschafts- und Forschungsförderung
Danach
Klub Moozak
mit Shrack (AT) / Martí Guillem Ciscar aka Crocanti (ES/DE)
DJs: skug Soundsystem feat. Sweet Susie
Eintritt: pay as you wish
ABSTRACTS
Jochen Bonz
Kulturelle Funktionen der Popmusik: Signifikant des Begehrenswerten und Soundtrack der Depression.
Heinrich Deisl
Popmusikjournalismus: Krise als Auftrag
Der Printsektor ist generell im Schwinden begriffen. Durch die Möglichkeiten des Internets wurden sich radikal verändernde Interaktionsverhältnisse zwischen Sender und Empfänger bzw. zwischen Konsument und Rezipient eingeleitet, die eine rhizomatische Verteilung und damit eine Einebnung traditioneller Musikkritik-Positionen bewirkten. Ein wie auch immer gearteter »aufklärerischer« oder literarischer Musikjournalismus fand früher in Fanzines, dann im (bürgerlichen) Feuilleton und schließlich auf allen möglichen Blog-Sphären statt. Wodurch die angestammte Musikkritik sowohl an ihrer Legitimität wie an ihrer damit einher gehenden hegemonialen Stellung zur Diskursbildung stark einbüßte. Aber sind Kritik und Diskurs denn medial gebundene Angelegenheiten?
Pop lebt davon, ein allgemein verfügbares Gebrauchsgut zu sein. Ist gerade Pop nicht eine ideale Spielwiese dafür, dass alle mitmachen können? Es ging jedoch nie um ein bloßes »anything goes«, im Gegenteil (Beitrag von Kristina Pia Hofer). Braucht es auch hier weiterhin Gatekeeper; nicht um den unüberschaubar zur Potenz gewordenen Strom an Veröffentlichungen in Zusammenhänge zu bringen, sondern auch um Szenenformationen adäquat abzubilden? Der zu Popkultur und Poptheorie geronnene Pop kann über dicht gewobene Code- und Referenzensysteme verfügen, die im grassierenden Ankündigungsjournalismus kaum Platz finden – und die aber abseits dieser Formate zeitaktuelle Theoriebildung schaffen (Beitrag Klaus Walter). Krise, Entpolitisierung, Ökonomisierung der Kultur bei gleichzeitiger Kulturalisierung von Politik, das Leben als große Party?
Angeblich ist es total cool, sich »irgendwie« mit Pop zu beschäftigen. Haben sich demgegenüber in herrschenden, neoliberalen Gesellschaftsmodellen Kritik und Widerständigkeiten nicht viel mehr zu marktkonformen »Kreativwirtschafts«-Modellen transformiert? Prekarisierung soweit man blickt. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit als wichtigstes Gut (Beitrag von Katharina Seidler). Früher hieß es: Erleben im Pop. Bis vor einiger Zeit heiß es: Leben im Pop. Heißt es heutzutage: Ûberleben im Pop? (Beitrag von Jochen Bonz).
Das skug Symposium will zeigen, wie heterogen aktuell über Pop und seine medialen, theoretischen und praktischen Darstellungsformen gedacht und gesprochen werden kann. Denn klar ist: die Probleme, Diskussionsgrundlagen und besonders der Spaß, sich über Pop den Kopf und die Tanzbeine zu verbiegen, werden nicht weniger. Wahrscheinlich standen Pop und Pop(ulär)kultur noch nie vor so zwingenden politischen, kulturellen, sozialen und medialen Herausforderungen als jetzt. Der deutsche Sprachraum – und besonders Österreich – kann ruhig noch ein paar Magazine, Bücher, Symposien, Lehrpläne und Dozenten mehr vertragen, die zum Diskurs dieser Herausforderungen beitragen.
Kristina Pia Hofer
Ausnüchtern am Aufmerksamkeitsmarkt? DIY-Ideale und Selbstoptimierungszwang
Ob Proto-Punk der 1960er, Punk und Post-Punk der 1970er, Budget Rock der 1980er, und Riot Grrrl und Anarchopunk der 1990er: die Formel »do it yourself, do it together« versprach eine umgehende Einlösung des emanzipatorischen Potentials des wilden, lauten, und dreckigen Musikmachens – nämlich die Ermög-lichung einer Produktionszone, in der andere (und bessere) Umstände gelten als auf dem hegemonialen Markt. Junge und gegenwärtige ökonomische, politische und kulturelle Entwicklungen wie jene zum »Mainstream der Minderheiten« (Holert/Terkessidis 1996) drohen dieses Versprechen auszuhöhlen.
Wie kann ein Ethos des Selbermachens gegenüber neoliberalen Subjektivierungszwängen antikonforme Kanten behalten? Inwieweit kann »unabhängige« Selbstausbeutung um der Sache willen im Zeitalter des unbezahlten Praktikums noch eine gegenkulturelle Strategie darstellen? Was bedeutet das emanzipa-torische Versprechen in Trash, Dreck, und »everyone can do it« nach der umfassenden Maistreamisierung von »Reality«-Formaten in der populären Massenkultur? Wo liegt die politische Relevanz einer popkul-turellen Absage an gesellschaftliche Konformität, wenn weichgespülte »diversity policies« drohen, ihre Freaks und Monsters zu guten StaatsbürgerInnen zu machen, solange diese nur für sich selbst sorgen? Braucht DIY-Kultur angesichts der Aufweichung und Entgrenzung von Pop neue Trennlinien und Dichotomien?
Der Beitrag geht diesen Fragen anhand von Beispielen aus lokalen Wiener Communities nach.
Katharina Seidler
Die FM4-Sendungsmacherin im fiktiven Talkradio-Interviewgespräch. Ob Festival-Großveranstaltungen wie das Primavera, Sónar, Frequency oder Elevate, Clubs wie Pratersauna und Flex, oder Off-Spaces, in denen neben dem DJ und dem Barkellner nur sie zugegen ist: Katharina Seidler ist Wiens Partyauskennerin. Wie ist das, dafür zu arbeiten, dass andere Party feiern können? Was hat das Publikum davon, ob der DJ seine kiloschweren Plattentaschen mitschleppt oder am Laptop durch die Tracks surft? Wovon ist die Berufspraxis Musikjournalistin aktuell geprägt? Wie kommt man heutzutage, wo alle, die mehr als zwei Nummern kennen, sich DJ nennen, zu den Informationen? Wie ließe sich Clubkultur heute fassen und medial darstellen?
Klaus Walter
Atemporalität als »sound of now«
Ausgehend von Themen um Krise des Musikjournalismus und seiner Kritik: wer braucht überhaupt noch Popkritik, wie kann sie zeitgemäß funktionieren und wie finanziert sie sich? Exemplifiziert werden dabei Konzepte der Atemporalität, des Nomadentums und der Mehrsprachigkeit. Diese Parameter prägen die Arbeit von Künstlerinnen wie Inga Copeland, Maria Minerva oder Fatima Al Qadiri, die, aus dem Außen der Pop-Weltordnung (Russland/Estland, Estland, Senegal/Kuwait) kommend, in dieser buchstäblich neue Positionen eigenommen haben; ihren Standortnachteil also in einen Vorteil konvertieren konnten.
Der Begriff Atemporalität ist im deutschsprachigen Diskurs bis jetzt noch nicht so etabliert und geläufig, wie er es sollte. Er kam im Zusammenhang mit Simon Reynolds »Retromania« auf. Atemporalität kann helfen, zu verstehen, was heute Musik zur Zeit ist.
Eine selektive Literaturliste:
Behrens, Roger: »Hauptstrom. Zur Krise der Kritik«, in: »testcard. Beiträge zur Popgeschichte«, #7: Pop und Literatur 1999, 6-13.
Diederichsen, Diedrich: »Ûber Pop-Musik«. Hamburg 2014.
Doehring, André: »Musikkommunikatoren. Berufsrollen, Organisationsstrukturen und Handlungs-spielräume im Popmusikjournalismus«. Texte zur populären Musik 7. Bielefeld 2011.
Helms, Dietrich: »History? My Story! Ein Plädoyer für das Ich in Pop-Geschichte«, in: Dietrich Helms/ Thomas Phleps (Hg.): »Geschichte wird gemacht. Zur Historiographie populärer Musik«. Beiträge zur Popularmusikforschung 40. Bielefeld 2014, 115-126.
Holert, Tom/Terkessidis, Mark (Hg.): »Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft«. Berlin 1996.
Marchart, Oliver: »Das unmögliche Objekt. Eine postfundamentalistische Theorie der Gesellschaft«. Frankfurt/M. 2014.
Niedermayr, Susanna: »Elektronische Club Kultur im Wandel«. Wien 2012.
Reynolds, Simon: »Retromania. Warum Pop nicht von seiner Vergangenheit lassen kann«. Mainz 2012.
Seliger, Berthold: »Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht«. Berlin 2013.
Spichtinger, Philipp: »Wiens subkulturelle Musikpresse. »Flex Digest«, »Cracked« und »Rokko’s Adventures« – Magazin-Entwicklungen seit Mitte der 1990er Jahre«. Marburg 2010.
Fotostrecke von skug-Autorin Bianca Ludewig hier.
Und auf dem Berliner Webradio-Programm „WiseUp“ gibt’s ein 2-Stunden-Special zum skug Symposium von und mit Sendungsmacherin Bianca Ludewig. Tune in!