Pentangle in Amsterdam, 1969 © Jac. de Nijs / Anefo, Wikimedia Commons, CC0
Pentangle in Amsterdam, 1969 © Jac. de Nijs / Anefo, Wikimedia Commons, CC0

Pentangle: Springtime Promises

Pünktlich zu Frühlingsbeginn erscheint das gesamte Frühwerk von Pentangle in einer luxuriösen Vinyl-Edition bei Svart Records. Aus diesem Anlass eine Erinnerung an das nach wie vor bezaubernde Werk der britischen Folk-Legende.

Willkommen auf Collector’s Island, der Insel der Seligen. Umgeben von einem in allen Vinyl-Farben bunt schillernden Meer liegt sie fern des Alltags, erreichbar ist sie allerdings nur unter Einsatz nicht ganz geringer finanzieller Mittel. Hätten wir also mit dem Einstieg gleich den Haken an der Sache benannt. Umsonst ist bekanntlich nur der Tod, und der kostet das Leben. Und was wäre das Leben ohne Musik? Okay, 5 Euro ins Phrasenschwein, und jetzt zur Sache bzw. noch eine Vorbemerkung: Die nachfolgenden Worte sollen ausschließlich dazu dienen, ich fürchte überwiegend eher nicht mehr ganz so »junge Leute von heute« mit der Nase auf Pentangle zu stoßen. 

Anlass zur unverblümten Lobhudelei ist die äußerst luxuriöse und kostspielige Wiederveröffentlichung der ersten sechs Studioalben der britischen Folk-Legende als 14-LP-Multi-Colored-Vinyl-Box-Set bei Svart Records. In ähnlicher Zusammenstellung erschienen diese Alben bereits 2017 in einer CD-Box auf dem englischen Label Cherry Red. Zum Vergleich: Diese weiterhin leicht erhältliche CD-Version kostet in der Regel um die 60 Euro, die vorliegende Schallplattenversion in etwa das fünffache. Beide Versionen sind (dem jeweiligen Format Rechnung tragend) ansprechend aufgemacht und enthalten neben den Songs der regulären Alben eine Reihe von hörenswerten Studio-Outtakes und Live-Tracks sowie umfangreiche Begleittexte.

Was für eine Band!?

Aber wer waren Pentangle? Die Älteren werden sich hier und da nicht mehr erinnern können, denn sie sind eventuell schon tot, wie leider auch John Renbourn und Bert Jansch, die beiden Gitarristen des fünfköpfigen Ensembles, das von 1968 bis 1972 existierte und sich dann auflöste (und in den folgenden Dekaden immer wieder in abweichenden Besetzungen reformierte und noch ein paar Platten veröffentlichte, um die es hier aber nicht gehen wird). Am Gesang Jacqui McShee, am Bass Danny Thompson, am Schlagzeug Terry Cox, die sich alle noch hoffentlich guter Gesundheit erfreuen; zumindest Jacqui McShee rührt gegenwärtig in einer Serie kurzer Interviews die Werbetrommel für »The Albums: 1968-1972«. 

Wie dem auch sei, Pentangle spielten eine einzigartige und in ihrer Ausführung bis heute unerreichte Musik, die aus Jazz, Alter Musik, Folk und Blues ihre Inspiration bezog und ihren unorthodoxen und experimentellen Charakter u. a. auch durch die (zeitgenössisch durchaus typische) Hinzunahme fernöstlicher Instrumente (Sitar) unterstrich. Auf der Bühne überzeugte die Band durch ihr handwerkliches Können ebenso wie ihr lockeres und unaufgeregtes Miteinander. Sie hatten es einfach drauf und sahen dabei noch cool aus, ohne daraus eine große Show zu machen: Der wuschelköpfige Bert Jansch, die schlaksige Jazz-Fraktion an Schlagzeug und Bass, der rundliche Ritter Rebourn und das Burgfräulein mit der engelsgleichen Stimme, Jacqui McShee! Was für eine Band! Dementsprechend großer Erfolg war ihnen in den Jahren ihres Bestehens beschert. Touren führten sie durch die USA und Europa, und nach sechs veröffentlichten Studioalben war es 1972 dann (fürs erste) genug.

Fünf Freunde auf geheimnisvollen Spuren

Wer meint, ich übertreibe, höre sich »Jack Orion« von »Cruel Sister« an, die 20-minutige Komposition, basierend auf einem Traditional, führt weit über stilistische Grenzen hinaus, ohne dass die Musik auch nur eine Sekunde lang verkopft, zerfasert oder langweilig erscheint. Pentangle waren immer beides: raffiniert und zugänglich, hatten Hits (»Light Flight«), coverten Furry Lewis und Charles Mingus, verbeugten sich vor Moondog und nahmen wiederholt Folk-Balladen auf, die sie durch ihre unnachahmlich eigene Spielweise aktualisierten. Am Beispiel von »Will O’ Winsbury« (auf »Solomon’s Seal«) führt auch ein Weg ins Genre des Folk-Horrors, denn Paul Giovanni hat ebenfalls Motive dieses Traditionals für ein Instrumentalstück namens »Procession« im Soundtrack zum Filmklassiker »The Wicker Man« verwendet. (25 Jahre später, 2007, hat Meg Baird, Sängerin u. a. der Espers, einer Band aus dem sogenannten »New Weird America«, die es ohne Pentangle und Fairport Convention gar nicht hätten geben können, es ebenfalls interpretiert.) 

Man sieht, ein Universum aus Referenzen und Zusammenhängen tut sich auf, ein Klangkosmos, den zu erkunden einige Zeit kosten kann, keine Sekunde davon verschwendet! Natürlich je nachdem, wie tief man schon drinsteckt, dann ist das alles nichts Neues. Aber ein Problem in der Vermittlung ist ja nicht selten, dass immer dann, wenn vieles als bekannt vorausgesetzt wird, irgendjemand sich beschwert: entweder ad hoc als Zwischenruf, weil in allem nicht explizit Gesagten eine ausschließende Distinktionsgeste gewittert wird (Vorwurf des vorsätzlichen Zurückhaltens von vermeintlichem Geheimwissen!) oder weil man es im Nachhinein doch gerne genauer hätte wissen wollen, weil, so betrachtet – Blues, Jazz, Folk-Revival, The Horseshoe Club in London, Folk-Horror, »The Wicker Man«-Soundtrack, das mythisch verklärte bzw. verballhornte Albion (Ritter der Tafelrunde resp. Kokosnuss), New Weird America – interessant! 

Pentangle »The Albums: 1968-1972« © Svart Records

Britain’s Visionary Music: Wiederentdecken und weiterforschen

Also, »The Albums: 1968-1972«, ob in der hochpreisigen Vinyl-Variante oder im Rückgriff auf die schon etwas ältere und weiterhin erhältliche CD-Version, egal: Hauptsache Pentangle! (Wer darüber hinaus neugierig geworden ist, dem empfehle ich das Buch »Electric Eden: Unearthing Britain’s Visionary Music« von Rob Young und als Soundtrack dazu die 3-CD-Anthologien »Dust On The Nettles: A Journey Through the British Underground Folk Scene 1967-1972« und »Sumer Is Icumen In: The Pagan Sound Of British & Irish Folk 1966-1975«.)

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