Wenn der kosmische Kurier zweimal klingelt … Erst vor wenigen Wochen erschien Paul Riedls Split-Release mit Enno Velthuys und nun legt er nach, und zwar gleich doppelt! Wie macht er das und woher nimmt er die Zeit, wo er doch quasi dauernd mit Blood Incantation auf Tour ist? Die fantastischen Vier aus Denver, Colorado, haben es ja mit dem »Stargate« und anderen experimentellen Vorstellungen, also wer weiß, welche Hintertürchen Paul Riedl sonst noch findet – den Raum krümmen, durch die Zeit reisen oder einfach nur nicht schlafen –, um neben seinen Aktivitäten in der sehr erfolgreichen Death-Metal-Band noch Zeit für seine anderen musikalischen Interessen zu finden. »Demystification//Forestscapes« enthält zwei Alben zweier musikalischer Projekte, die als eigenständige Arbeiten gehört werden können, aber eben auch in einem Zusammenhang stehen. Unter seinem bürgerlichen Namen (früher unter dem Alias Hoverkraft) geht Riedl seiner Neigung für elektronische Musik nach, in Genrebegriffe gefasst: Ambient, Kosmische Musik und New Age. In der Umsetzung greift er hierbei auf diverse Synthesizer zurück und wenn die akustische Gitarre mit ins Spiel kommt, dann firmiert die Musik unter dem Projektnamen hanging moss und die entspannten Klangreisen ragen mithin in den Folk hinein. Alles ist jeweils mit viel Liebe zum Detail gemacht und darin liegt nicht zuletzt der Charme dieser Veröffentlichungen. Einerseits stehen diese Alben für sich und andererseits bzw. im Verhältnis zu den Releases von Blood Incantation zeigen sie, dass die stilistischen Gratwanderungen dieser Band in einem weiteren Zusammenhang betrachtet nichts anderes als das Resultat einer organischen Entwicklung, eines größeren Ganzen sind. Lange schon interessieren sich Paul Riedl, Morris Kolontyrsky, Isaac Faulk und Jeff Barrett nicht nur für Metal und warum sollten sie damit hinterm Berg halten? Wir haben ja nicht mehr 1986 und müssen auf dem »Heavy Metal Parking Lot« ausschließlich den harten Mann markieren. Jetzt könnte man sagen, ja, Moment mal, so neu ist das alles aber auch nicht, was ist zum Beispiel mit Mortiis, der seit seinem Ausscheiden bei Emperor zu Beginn der 1990er-Jahre als Ambient-Musiker in Erscheinung tritt? Ja, richtig, aber der Dungeon-Synth des spitzohrigen Norwegers zeichnet sich deutlich durch eine gewisse prinzipielle Dunkelheit und damit Nähe zu Spielarten und Ästhetik des extremen Metal und der Industrial Music aus – es wird in aller Regel noch immer schwarzgemalt und finster dreingeschaut. Nicht so bei Paul Riedl, dessen Ambient-Musik ist lichtdurchflutet und könnte genauso gut unter therapeutischen Bedingungen zum Einsatz kommen, um sich die Chakren richten zu lassen. Auch hier (letztes Mal, versprochen) besteht nur ein scheinbarer Unterschied zu Blood Incantation, denn die bürsten ihr Genre gegen den Strich und richten ihren Death Metal thematisch dezidiert positiv aus. It’s a New Age, can you dig it? Das ist die Frage, der man sich zu stellen hat. Frech formuliert: Riedls Musik kratzt hier und da am Kitsch entlang, sie ist teilweise derart schwelgerisch und aufstrebend, dass daneben der Katalog des Windham Hill Labels beinahe wie Neue Musik erscheint. Als Fan setze ich mich daher schon mit der kritischen Frage auseinander, ob ich mir diesen Strauß bunter und lieblicher Melodien auch von jemandem unterjubeln ließe, der nicht Mitglied in einer der Hype-Bands der Stunde ist? Aber ich habe auch Soloalben von Ralf Illenberger oder späte Alben von Tangerine Dream hier herumstehen – und ich höre sie gerne. Die gelten in aller Regel nicht als besonders cool, aber wie gesagt, wir sind ja vom Parkplatz runter bzw. das wahre Nerdtum erfährt bekanntlich in der Hinwendung zum vermeintlich Verfemten seine höheren Weihen. Ja, so langsam kommen wir der Sache näher – und wer an dieser Stelle längst nicht mehr folgen will oder kann: Einfach weiterlesen, ich komme noch zum Punkt bzw. das ist ja der Punkt. Alles hängt mit allem zusammen! Musik als endloses Gespräch, als Einladung zum Dialog, als Aufforderung, den Faden aufzunehmen und weiterzuspinnen, Altes mit Neuem zu verbinden, im Bestreben, Sinn und nicht zuletzt Freude im Leben zu stiften! Da fungiert auch die Plattenkritik frei nach Lessing als Sinngebung des Sinnlosen. Ich schaue zurück und rufe nacheinander Edgar Froese, Florian Fricke, Iasos, Paul Horn, Deuter, Jean-Michael Jarre, Vangelis, Emerald Web, William Ackerman, Michael Hedges, Andreas Vollenweider und viele andere auf, bringe aus der jüngeren Vergangenheit Mark McGuire, Norman Chambers, Daryl Groetsch oder Günter Schlienz ins Spiel und stelle Paul Riedl dazu. Und wozu das alles? Damit einem das Leben nicht sauer und die Welt nicht zum Jammertal wird! Gerettet ist damit weder das eine noch das andere, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. So muss man das schon einordnen: »Durch Musik zum Selbst« (Peter Michael Hamel) – bzw. damit einhergehend »For You And Me« (Popol Vuh). Wer ob solch spirituell gerichteten Spintisierens die Krise kriegt, sollte vielleicht noch mal in sich gehen. Sicher, die Welt ist voller Scharlatane, Demagogen und anderer verdächtiger Gestalten, die einem irgendwas andrehen oder sonst wie schaden wollen. Ich sage ja nicht, dass man sich nicht seine eigenen Gedanken machen und sein eigenes Urteil bilden soll! Aber ich sage auch: Esoterik mit Augenmaß! Zur Erinnerung: Diskurs-Rocker, als gesellschaftskritisch und fortschrittlich apostrophierten Musterschüler der Popkultur, kommen ja auch mit der Forderung durch, dass pure Vernunft niemals siegen dürfe. So. Mein Gott, wo sind wir hier wieder gelandet? Aber so ist das eben. Eigentlich wollte ich nur sagen, dass »Demystification//Forestscapes« eine sehr schöne Veröffentlichung ist. 1 Stunde und 22 Minuten Healing Music, rezeptfrei.
Paul Riedl
»Demystification//Forestscapes«
Special Low Frequency
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