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Paradise Lost

»Ascension«

Nuclear Blast

Himmel, wie fang’ ich an und wo? Vorne oder hinten? Oder in der Mitte? Ich war schon gespannt, wie es weitergehen würde mit Paradise Lost, seit sie vor zehn Jahren anfingen, sich mit »The Plague Within« (2015) langsam wiederzufinden. »Medusa« (2017) und »Obsidian« (2020), die letzten beiden Studioalben, waren erfreulicherweise auch wieder mehr als okay, was in diesem Fall heißt: orientiert am Sound der klassischen und prägenden Frühwerke von »Gothic« (1991), »Shades of God« (1992) und »Icon« (1993). Mit »Draconian Times« stellte sich 1995 dann der ganz große Erfolg ein, aber mich haben sie mit dem Album für die darauffolgenden zwanzig Jahre verloren. Mit »The Plague Within« ging’s dann langsam wieder … Soweit zu vorne und hinten. Was ist nun mit der Mitte? Wer hier mitliest und ob der Jahreszahlen und genannten Alben nicht bloß Fragezeichen auf der Stirn stehen hat, weiß Bescheid: Paradise Lost haben sich so einiges geleistet in ihrer Karriere. Mit dem Erfolg kamen die fragwürdigen Ideen. Sie haben sich ausprobiert, könnte man diplomatisch formulieren. Sie haben ein paar echte Stinker (in Fachkreisen »Arschbomben«) in ihrer Diskografie, könnte man auch sagen – je nach Gesinnung und Geschmack. Veröffentlichungen wie »Host«, »Believe In Nothing«, »Symbol of Life«, oder »Paradise Lost« hätten genauso gut von Depeche Mode, HIM, den Nine Inch Nails oder Tokio Hotel aufgenommen worden sein können – und die hätten das vielleicht oder sicher jeweils auch besser gemacht, unter Verwendung der experimentell-elektronischen Sounds, der blöden Stampfgitarrenriffs von der Resterampe des Alternative-Rock und der kitschigen Keyboard-Arpeggios. Hoffnungslos verirrt haben sich die Herren Macintosh & Co. damals und in der Mitte ihrer Karriere – des Menschen Wille ist sein Himmelreich – unbeirrbar lausige Alben zusammengeschustert. Wären sie mal bei ihren Leisten geblieben! Dahin kehrten sie dann vor ca. zehn Jahren langsam zurück, zum Glück. Aber davor bzw. in den Jahren nach »Draconian Times« bis »Tragic Idol« 2012 (die ging vielleicht sogar halbwegs, irgendwie) – Schwamm drüber! Oder passender: Den staubigen Mantel des Vergessens! Ich muss aber trotzdem bzw. eben deshalb so weit ausholen, um der musikalisch-historischen (und autobiografischen) Bedeutung von »Ascension« gerecht werden zu können. »Gothic« habe ich kennengelernt und in Berlin auf Klassenfahrt gekauft, da war ich 15 – jetzt werde ich 50 … Und dazwischen, die Mitte? Na, wollen wir es mal nicht übertreiben mit den Analogien! Gut, ich habe auch manches ausprobiert, aber das haben nicht so viele Leute mitgekriegt (manche werden trotzdem enttäuscht worden sein). Wie dem auch sei bzw. wenn man Paradise Lost über die Jahrzehnte hinweg tatsächlich die Stange gehalten hat, dann hat man einiges mitgemacht. Mir wurde das schnell (mit »Draconian Times«) zu bunt. Ich wollte damals und will bis heute ausschließlich den Sound des nasskalten Nordenglands, die torfschweren Riffs, das eichenholzschwere Schlagzeug, die sehnsuchtsvoll gestimmten Gitarrenleads, die nur Greg Macintosh so spielen kann, wie er sie eben spielt. Darüber der prophetische Gesang (mal mehr, mal weniger klar) von Nick Holmes. »Shattered«, »As I Die«, »Embers Fire« – das meine ich, wenn ich Paradise Lost sage, und das kriege ich jetzt tatsächlich wieder. Das eröffnende »Serpents On The Cross« trieb mir beinahe die Tränen in die Augen. Kann es sein? Ist das wahr? Ergriffen suchte ich nach Halt und fand ihn in Erinnerungen an längst vergessen geglaubte Zeiten. Damals! Der heftig nostalgische Schub währt die ersten vier Titel von »Ascension« (beim zweiten, »Tyrants Serenade«, lässt Pete Steele grüßen). Die eröffnenden vier Tracks hintereinander, da wird die Old-School-Gothic-Doom-Brigade eingesammelt, dann geht’s mit »Lay A Wreath Upon The World« in etwas ruhigere Fahrwasser. Aber schon mit dem darauffolgenden »Diluvium« kreist wieder der Hammer. »Savage Days« danach ist dann wieder ein bisschen – hm, geht so … aber »Sirens« anschließend wieder schnörkelloser und erinnert an die Zeiten, als Paradise Lost mit dem effizienten Sound von Metallicas schwarzem Album liebäugelten; auch stimmlich liegen Holmes und Hetfield hin und wieder nah beieinander. Das gilt ebenso für »Deceiver« danach und dann schließt das Album mit »The Precipice« ab, wenn man sich nicht die Version mit den Bonustracks gönnen will, was ich empfehle, denn »This Stark Town« und »A Life Unknown« hätte ich zugunsten von »Lay A Wreath Upon The World« und »Savage Days« aufs reguläre Album raufgenommen, aber sei’s drum: Mit »Ascension« setzen Paradise Lost ihren Weg zurück zu alter Stärke erfolgreich fort. »Medusa«, »Obsidian« und »Ascension« kann man sich gut neben die Heilige Dreifaltigkeit »Gothic«, »Shades of God« und »Icon« stellen. 

Home / Rezensionen

Text
Holger Adam

Veröffentlichung
24.09.2025

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