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Outlook Festival in Pula – Vom Dubstep zur Bassmusic

Rückblick auf 2010 anlässlich der bevorstehenden, infolge des fantastischen Line-ups (alle dabei von Benga über Falty DL bis Zed Bias) bereits ausverkauften, Ausgabe von Europas größtem Bassmusic & Soundsystem Culture Festival (1.-4. 9. 2011).

Fotos: © Ashley Taylor
Crowd: © unknown

 

»Drop Bass, not bombs« steht auf dem T-Shirt eines Besuchers des Outlook-Festivals im kroatischen Pula. Ein schönes Leitmotiv für das grö&szligte Festival für Dubstep, Drum & Bass und Artverwandtes. Auf den acht unterschiedlichen Bühnen innerhalb der altehrwürdigen Festung Punta Christo konnte man vom 2. bis 5. September 2010  die unzähligen Abzweigungen des von Simon Reynolds beschworenen Hardcore Continuums quasi gleichzeitig erleben. Zwischen unzähligen Bassdrops und ?evap?i?i fand sich im Gespräch mit Mala und Loefah au&szligerdem Zeit, der Vergangenheit von Dubstep nachzuspüren und dessen Gegenwart zu reflektieren.

ashley_taylor2.jpgNach den Aussagen des 23-jährigen Mitorganisators Joe Barnett befanden sich unter den ca. 5.000 Besuchern 75% Engländer, was aufgrund der fast ausschlie&szliglich im Geburtsland moderner Bassmusik getätigten Werbung jedoch nicht verwunderlich ist. Und trotzdem hatte das Festival einen internationalen Charakter, der historisch begründet ist: englischer Dub-Import aus Jamaika Mitte der 1970er-Jahre; die Vermischung mit US-amerikanischem House vor allem in London: Hardcore, Jungle, Two Step und so weiter – seit den 1990ern nimmt die Hybridisierung kein Ende. Was bleibt sind die beiden Konstanten tiefer Bass und komplexer Beat, und Dubstep als nächster Zwischenstation. Zu den unter diesem Ettikett Firmierenden zählt auch Distance, der am Freitagabend die Anwesenden auf der – für den Mungo’s Hi Fi-Auftritt präparierten – riesigen Bühne mit seinen so düster wie druckvollen Tracks die Anwesenden in eine widersprüchliche Mischung aus Ekstase und Kontemplation katapultierte. Vierundzwanzig Stunden später wurde eine weitere Grö&szlige mit frenetischem Applaus begrü&szligt, nachdem der Zugang zur Bühne aufgrund zu gro&szligen Andrangs versperrt wurde: Mala. Auch hier verbreitete sich wieder diese immersive Atmosphäre aufgrund des immensen Bassdrucks, die sich in den unterschiedlichsten Tanzstilen entlud, sodass man den Eindruck bekam, jeder würde auf eine andere Musik tanzen. Diese Art des In-sich-gekehrt-Seins braucht Mala auch zum Produzieren: »Um kreativ zu sein, benötige ich eine gewisse Isolation. Für mich gibt es immer einen bestimmten Prozess, der geschehen muss, damit ich einen Track beenden kann. Ich benötige das Studio, um Musik zu machen, denn es braucht viel Zeit, um eine fokussierte Konzentration zu erreichen. Musik ist für mich kein Endprodukt, es geht nicht darum, etwas zu releasen. Für mich ist das eigentliche Vergnügen nur das Suchen und Finden im Studio.«
Hie&szlig deshalb der Name des ersten Albums »Return II Space«?
»Ja, denn im Studio kann ich manchmal den ganzen Tag verbringen, ohne irgendetwas anderes zutun. Dann brauche ich noch nicht einmal die essentiellen Dinge, die man als Mensch benötigt. Es ist ein pures Gefühl der Energie, man lebt  einfach nur diesen Moment. Letztes Jahr spielte ich so viele Shows, dass ich mich richtig verloren fühlte. Und mit dem Track ??Return II Space?? fand ich wieder zu meinem eigenen Raum zurück.«  

Bruce Lee des Dubstep
ashley_taylor3.jpgMala sitzt währenddessen bei Orangensaft und entspannter Nachmittagssonne am höchsten Punkt der Festung. Der hinter ihm liegende Ausblick könnte genauso gut Gegenstand eines impressionistischen Gemäldes sein. So malerisch erheben sich die von der Sonne angestrahlten grauen Festungsmauern, während sie das verhei&szligungsvolle Glitzern des adriatischen Meeres leicht verdecken. Die Natur, gepaart mit dieser historischen Anmutung bildet einen interessanten Kontrast zur durchdigitalisierten Szene, in denen Internetforen mittlerweile mehr sozialer Treffpunkt sind als Plattenläden. Was Mala, leidenschaftlicher Vinyl-Verfechter, kritisch sieht: »Das Internet bringt eine Art Feigheit mit sich. Ohne die Anonymität dieser Netzwerke wären die Menschen viel ehrlicher zueinander. In London benutzen die Menschen nicht mal mehr Türklingeln. Stattdessen rufen sie per Handy an.« Die Tatsache, dass es auf seinem Label DMZ keine digitalen Releases gibt, macht seine Skepsis gegenüber dem Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit am besten deutlich. Als er aber kürzlich aufgrund seiner Erlebnisse in Venezuela bemerkte, dass vielen dort der Weg zum Plattenladen verwehrt bleibt, veröffentlichte er auf seinem eigenen Label Deep Medi mehrere CD-Compilations. Aber nicht nur dieser Umstand wurde von der Gegenwart eingeholt.
Denn Dubstep ging in letzter Zeit immer wieder Liasions mit Popmusik ein. Da wäre zum einen der zum Star avancierte Skream, dessen Sound sich teilweise dem scheinbaren Lechzen englischer Teenager nach cheesy Remixen angepasst hat und zum anderen die ambitionierten Undergroundkünstler, die vor allem auf Subtilität setzen. Mala wei&szlig auch das zu kommentieren: »Das Interessante heute ist, wie unterschiedlich auf die Musik der einzelnen Künstler reagiert wird. Als gestern Distance auflegte, konnte man die hohe Konzentration der Leute richtig spüren. Im Gegensatz zum Set von N-Type, bei dem die Leute völlig ausrasteten und ständig ihre Arme hochwarfen. Diese Fokussierung ist genau das, was ich an dieser Musik liebe. Joe Nice war vor ein paar Jahren in meinem Studio. Dort sagte er zu mir, dass meine Musik klingt wie Bruce Lee. Er war ja bekanntlich stets sehr ruhig und ausgeglichen. Aber das, was eigentlich in ihm steckte, war pure Energie. Wenn er wollte, konnte er einfach explodieren. Als ich dies hörte, wurde mir erst richtig klar, was ich tat. Dubstep hat ja mittlerweile viele verschiedene Richtungen. Und manche Leute kritisieren vor allem den Mainstream-Dubstep. Ich aber kenne Skream und Benga z. B. persönlich und respektiere sie und ihre Musik.«

Lange Build-Ups vs. direkte Drops
OUTLOOK_ARENA_1_crowd.jpgLoefah, Mitgründer von DMZ und ebenso Ikone wie sein Kollege ist sich bewusst darüber, dass Dubstep gerade im Underground neue Impulse benötigt. Er bringt nach eigenen Aussagen mit seinem eigenen Label Swamp 81 genau diesen in Schwung. »Das Label repräsentiert Musik, die mehr Club sind als Rave. Das Tempo ist etwas gedrosselt und bewegt sich zwischen 125 und 135 bpm statt der üblichen 140. Gerade fühle ich mich eigentlich wie damals, 2003. Die Musik ist neu und frisch, es macht wieder richtig Spa&szlig«, findet der etwas mitgenommene, aber sympathische Künstler. Zum Schluss verspricht er, vor allem Musik zu spielen, die »bisher niemand gehört hat. Swamp Shit«, wie er verschmitzt mitteilt. Seine Versprechung hält er ein und die Musik, die der einstige Vater des darken Halfsteps spielt, erweist sich als innovativ und könnte wieder mal wegweisend sein.
Zeit, eine Bilanz des Dubstep zu ziehen. Als Au&szligenstehender, der zu der Zeit der Entstehung weder in England war noch damals etwas von dieser Musik zu hören bekam, konfrontiere ich Mala mit einer Frage, die sich schlicht aufdrängt: »Kann man Dubstep, diese Musik, die aus dem Kontrast aus gleichzeitiger Geschwindigkeit und Langsamkeit sowie aus der Ästhetik des Stets-etwas-Verbergens ihre Innovation erhält, nicht als eine Art Opposition verstehen, die sich gegen die damals wie heute doch sehr oberflächliche Musiklandschaft stellt?«
»Um 2003 war die Musik vor allem eins: Schnell. Es ging vor allem um die Build-Ups und die Drops. Und bei dem, was die Leute heute als Dubstep bezeichnen, geht es auch genau darum. Doch damals war die Entwicklung genau umgekehrt. Es gab vielleicht ein 16-taktiges Intro, dann folgte bereits der Drop. Es war Rückwärtsbewegung und Fortschritt zugleich. Im damaligen Dubstep gab es nicht die konventionellen Faktoren, die in der elektronischen Tanzmusik üblich waren. Daher war es interessant zu sehen, wie die Leute im Club darauf reagierten. Als ich mit Coki damals im Studio sa&szlig, dachte niemand von uns, dass wir Tanzmusik schreiben. Ich nutzte das Studio, um negative Energie loszuwerden, die sich in meinem Brotjob aufstaute. Es war nie geplant, dass ich Jahre später auf dem Sónar Festival vor 8.000 Leuten auflegen würde.«
Nach dem Interview wird deutlich, dass Malas gelassene Persönlichkeit das Wesen von Dubstep genau widerzuspiegeln scheint. Er ist stets präsent, hält aber gleichzeitig stets etwas zurück. Zum Schluss hallen seine Worte nach wie die letzten Töne seines gro&szligartigen Sets am Samstagabend: »Ich versuche immer so ehrlich wie möglich zu sein und versuche niemandem etwas zu verkaufen, es gibt keine gro&szlige Presseveröffentlichungen, denn eigentlich geht es doch nur um Sound. Das Problem mit Technologie, mit den Regierungen und mit den Medien ist, dass alle versuchen, die Menschen daran zu hindern, für sich selbst zu denken. Wir können doch alle selbst denken. Und ich hoffe, dass die Leute, die meine Musik hören, selbst denken, und sei es nur für ein paar Sekunden.« 

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Text
Philipp Rhensius

Veröffentlichung
17.08.2011

Schlagwörter

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