»Wir sind die deutsche Leitkultur!«
So zumindest tönten die Berlintouristen anläßlich ihres Konzerts in Wels beim heurigen Music Unlimited.
Toll, wenn die so ausschaut, dann kann man sogar mit dieser absurden, fürchterlich regressiv-nationalen Konstruktion leben, behaupte ich mal, nur sie ist ein wenig laut. So laut, dass statt eines Noël Akchoté Interviews auf meinem Tape der Berlintouristen Soundcheck zu hören ist.
Aber ein paar relevante Sachen sind dann doch noch übriggeblieben, irgendwo zwischen linkem Aktionismus, kulturellem und politischen Pessimismus und, trotz (wegen?) aller lärmenden Improvisationen Noëls, ein Bekenntnis zur Vergangenheit – mit einigen Einwürfen des biertrinkenden Andrew Sharpley.
Und eine mir nicht unsympathische Breitseite gegen Elektronikgefrickelfundamentalisten.
Die neue Radiohead Platte ist besser als die zehn letzten Mego Veröffentlichungen. Die neue Fennesz ist zwar gut, aber sie ist nur wieder eine weitere Fennesz Platte.
Gut so, Heiligtümer sind da um kritisiert zu werden, und zwar ebenso in der Musik wie in der Politik, was Noël schon mit seinem M.A.O. Projekt deutlich machte.
back-ground
Geboren im Dezember 1968 waren die 80er Jahre für seine musikalische wie politische Sozialisation ausschlaggebend. Eben die Zeit Francois Mitterands, zwar links, aber wie Noël beklagt, immer institutionalisierter. Was er später auch im Jazz, mit dem er schon sehr früh in Kontakt kam, wiederfinden sollte und Grund für seinen Bruch mit eben jenem wurde.
Also ist die Differenz institutionalisierte vs. offene, bewegliche Formen, wie sie die Politik prägt, auch in der Musik wichtig, in der Form von Komposition vs. Improvisation?
Ich improvisiere fast nur. Ich schreibe zwar Ideen nieder, aber das kann man nicht komponieren nennen, ich wüßte nicht einmal, wie das geht. Ich glaube dieser Gegensatz ist etwas sehr präzises. Es ist nicht »gegen«, komponieren gegen improvisieren, es sind einfach völlig verschiedene Welten. Improvisation heißt einfach, daß du machen kannst, wonach dir gerade ist, auch auf der Bühne.
Die Referenzliste Noëls ist ziemlich beachtlich – und dort findet man dann auch die von ihm mittlerweile verlassene Welt des Jazz wieder.
John Abercombie, Chet Baker, Henry Texier und Louis Sclavis sind nur einige wenige davon, den Weg in die Improvisation markieren dann Menschen wie Evan Parker oder Fred Frith – und natürlich Derek Bailey.
Wenn man sich Musiker als Philosophen vorstellt, dann bin ich mir sicher, daß in zukünftigen Büchern Derek als einer der größten Philosophen unserer Zeit gehandelt werden wird.
M.A.O.
Anfang der 90er, als eines der ersten eigenen Projekte, gründete Noël M.A.O. – Trash-Core (oder was auch immer) zur Vertonung von Mao Texten (denn die Revolution muß laut sein!!). Für sein aktuelles Schaffen wohl nicht ganz so relevant, aber immer noch interessant, weswegen es auch da geschrieben steht.
M.A.O. war für Noël eine Reise in die eigene Vergangenheit, zu den französischen 68ern, für welche Mao eine Leitfigur war. Wo aber anfänglich jeder über ihn sprach, auch und vor allem als inhaltlich wenig hinterfragtes Modephänomen, da war später gar nichts.
So stellt denn auch Noël klar, daß er nicht schockieren wollte, sondern, vor allem in Verbindung mit dem Free Jazz der frühen 70er, Fragen stellen.
»Ich, der ich 20 Jahre jünger bin als sie (die 68er, Anm.), wollte einfach wissen, was damals geschah. But it was a dark period, I couldn’t find anything about that thing.«
Somit wurden zwar die Fragen gestellt, aber die Reaktionen waren doch sehr spärlich, bis auf drei Morddrohungen von Alt-Maoisten, die die Veröffentlichung des Projekts verhindern wollten.
Improvisierter Widerstand?
I don’t believe in politically engaged artists.
Politische Aussagekraft oder gar die Fähigkeit etwas zu bewegen findet Noël in Musik nicht wirklich.
Vielleicht stellst du eine Verbindung her zwischen meinen Songtitlen und politischem, aber ich mache das nicht, o.k., außer vielleicht bei Dingen wie »Résistance« (zu finden auf »Réel«, dem auf Rectangle erschienenem Duo mit Fred Frith). Ich glaube nicht, daß du irgendwas politisches machst, wenn du eine Platte veröffentlichst, außer du bist ein Pop Star wie Peter Gabriel oder es geht um Dinge wie »rock against whatever«. Dort kann vielleicht ein klein wenig bewirkt werden, aber sicher nicht in der Improvisation.
Auch der Behauptung, daß Musik durch ihre innermusikalsiche Radikalität (politische) Aussagen machen kann, gewinnt Noël nicht viel ab. Improvisation und experimentelle Musik sind für ihn höchstens in einem sehr persönlichen Sinn radikal, nämlich darin, daß die Musiker einfach ihr Ding machen.
(Kennt irgendwer »Die lachenden Außenseiter« – tolles Buch!)
Willst du politische Aussagen machen, brauchst du auch jemanden, mit dem du sprechen kannst, und ich glaube nicht, daß Improvisatoren zu sehr vielen Leuten sprechen, sie unterhalten sich nur untereinander. Auch ökonomisch sehe ich keine Radikalität, denn wenn man nicht nur von den Ticket Verkäufen leben kann und Subventionen erhält, ist es schwer, von politischer Aktivität zu sprechen.
Politik
Wenn wir über Politik reden, dann möchte ich auch unterscheiden zwischen »culture« und »art«. »culture« ist institutionalisiert, »art« ist etwas persönliches, du mußt klarmachen, wer du bist, was du bist, wo du bist, was deine Fähigkeiten sind. »Culture« aber involviert dich nicht, es heißt nur ein Buch zu kaufen und dann ins Regal stellen.
Wenn man nun »culture«, Pop Musik, als kontrollgesellschaftliche Instrumente zur Gedankenkontrolle sieht, würdest du dich und deine Musik dann als subversiv bezeichen?
Ich bin sicher nicht subversiv, denn ich bin in Frankreich zumindest einmal in der Woche in Magazinen.
Andrew Sharpley bringt das mögliche Subversive an experimenteller Musik, abseits von politischen Inhalten, auf den Punkt:
Ich glaube es wird so viel über Noël geschrieben, weil er ziemliche musikalische Fähigkeiten hat. Die Leute respektieren das als rationale, traditionelle musikalische Fähigkeit sich musikalisch auszudrücken, wie bei einem Maler, der ein Portrait macht, worauf der Gemalte dann auch zu erkennen ist. In den letzten drei Jahren, seit wir uns kennen, versucht Noël sich auszudrücken, zu sagen was er will, ohne dabei auf seine Skills zurückzugreifen. Er versucht die Fähigkeiten, die die Leute anziehen, wegzulassen und ihre Aufmerksamkeit mehr auf den Sinn, welcher auch immer das ist, ob politisch oder künstlerisch, zu konzentrieren
Na gut, könnte man als subversiven Ansatz so gelten lassen.
Noël: Jim O’Rourke meinte dazu, daß es Improvisierte Musik und Improvisation gibt, wobei ich ihm zustimmen muß. Was haben die Trios von Evan Parker und Sonny Rollins gemeinsam?
Klar, auch Charly Parker hat Improvisiert, aber »Derek Bailey is a fucking improviser«, er ist sicher nicht Jazz oder was auch immer.
Eben hier findet sich dann auch das Problem der Repräsentation.
Man muß genau unterscheiden zwischen den Improvisatoren aus Chicago und Derek Bailey.
Wer repräsentiert was und kann man überhaupt von »authentischer Repräsentation« sprechen?
Auf die Frage wie er sich selbst diesbezüglich sieht, antwortet Noël mit dem Beispiel eines anderen Musikers.
Es gibt da Joe McPhee. Er war
10 Jahre in Paris und hat dort gehungert. (Und sich in der Improvisationsszene bewegt, siehe z.B. Aufnahmen mit den Evan Parker Trio, Anm.) Seit er in Chicago ist und mit Leuten wie Tortoise zu tun hat, wird er bekannt.
Stimmt natürlich, daß Tortoise nicht europäischen Free Jazz repräsentieren – aber Noël?
Ich repräsentiere nichts, ich tue nur, was ich tun will.
Ein längerer Dialog zwischen Noël und Andrew führt dann irgendwie zu dem Ergebnis, daß man Jazz oder Improvisation einfach nicht mit anderen Dingen vergleichen kann.
Andrew: Wenn Roni Size eine Platte »Represent« nennt und das dann auch noch mit »z« schreibt, weißt du, um was es ihm geht. Aber wenn Derek Bailey eine Platte so nennen würde, dann ist klar, daß es ein Witz ist.
Noël: Nicht das es das in der Improvisation nicht gäbe, aber nicht im Sinne von z.B. Bristol. Dort hat »represent« keine doppelte Bedeutung.
Oder schau zu den Plattenständen da draußen, da findest du jede Menge Tzadik Platten, die alle extrem pro Israel sind, I don’t go with this, by the way, aber da kaufen Leute Masada Platten, ohne zu wissen, was das eigentlich ist.
Winter&Winter
Mittlerweile drei CDs von oder mit Noël sind auf dem wohl sehr bourgeoisen Label Winter&Winter veröffentlicht worden, zuletzt das in Wels vorgestellte Projekt »Rien« (featuring Andrew Sharpley von Stock, Hausen & Walkman und Eric Mikkinen).
Ja, Winter&Winter ist ein sehr bourgeoises Label, aber auf der anderen Seite sehr viel klarer als viele die Avantgarde unterstützende Labels. Stefan Winter ist ein großartiger Geschäftsmann, er weiß wie man Geld macht, wie auch John Zorn, mit dem Unterschied, daß Zorn dies nie zugeben würde. Stefan sagt, daß er, wenn er sein eigenes Ding machen will, auch Platten verkaufen muß, um es zu finanzieren. Mit ihm zu arbeiten bietet einfach viel mehr Freiheiten als mit einem kleinen Label. Und ich sehe auch politisches darin: ich glaube, daß es viel interessanter ist, Rien auf Winter&Winter als auf Mego zu veröffentlichen. Bei Mego sind das Umfeld und der Stil klar, jemand der keine Mego Platten kauft, würde auch Rien nicht kaufen. Winter&Winter hat sowohl Jazz als auch Klassik im Programm, womit auch neue Leute angesprochen werden können.
Geschichte
Zentral ist für Noël das Historische, keine Gegenwart ohne Geschichte – oder so.
So wie er seine eigene Geschichte mit M.A.O. betrachtet hat, so schätzt er dies auch an anderen Musikern. Genau deswegen schwärmt er auch mehrmals von »Kid A«.
Die neue Radiohead ist für mich so interessant, weil sie über Geschichte spricht. Radiohead haben sich gesagt o.k., we’re british, we’re popstars, we go back to Soft Machine and early electronic music. Und ob das dann auf Capitol oder auf einem kleinen Label erscheint ist nicht der Punkt.
Auch mit Rectangle versucht Noël Geschichte zu nehmen und zur Richtigen Zeit etwas anderes, neues daraus zu machen.
Lange spricht er über all die vergessenen Helden, vor allem aus dem Blues. Und bringt, wohl um seine eigene Position zu unterstreichen, noch eine nette Derek-Bailey-Anekdote. Eben jener wurde Ende 1998 von Wire gefragt, was für ihn das abgelaufene Jahr bedeutet und gebracht hat. »1998? I don’t know, I still try to figure out 1954!«