Fotos: © Klaus Heim
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Nirvana im skug-Interview 1991

Jubiläen und ein damit einhergehender Ausverkauf in Form von Extended Versions oder Deluxe Editions machen mittlerweile auch nicht vor den unendlichen Tiefen des skug-Archivs halt. Never mind, Zweitverwertung geht in unserem Fall auch anders. Bei einem Blick in den Rückspiegel gibt es nun 20 Jahre nach ihrem Interview (anlässlich des legendären Arena-Gigs im Jahre '91) in skug #07  noch einmal Nirvana im Gespräch.

Knöcheltiefer Morast. Schleppendes Waten. Verschwimmende Riffs. Frequenzen aus dem Keller. Düsternis, die ihren Unmut schon mal vor sich herstö&szligt, aber alles getrieben von einem/r dumpfen Verlangen/Sehnsucht. Eigenartige Kontrastierung von ganz tief und nicht ganz so tief. So wie die Instrumente eben an den Musikern hängen. Im Falle des Bass sogar so tief, dass der mit ihm Hantierende gerade nicht in Konflikt mit seiner Anatomie kommt. Und weil er gro&szlig ist, bedeutet das für Durchschnittsgrö&szligen Schienbein.

Nirvana legen 1989 das Debutalbum »Bleach« (produziert von Jack Endino) auf Sub Pop vor, das bald als eines der herausragendsten Werke des Seattle-Stalls gilt. Es enthält im Grunde einfache, klare Stücke, auf das Minimum reduziert, die aber durch einen ganzen Wust von Stimmungen müssen. So blöd es klingt, die Songs brechen einfach ab, wenn sie aus sind und besitzen eine seltsame Faszination. Dieses geht in erster Linie auf die überzeugende Einfachheit der Songs zurück, die nichts mit Stupidität zu tun hat, sondern vielmehr damit, dass sie die Erkenntnis ihrer selbst voraussetzt, also Einfachheit als Wert an sich (an)erkennt. Mit der entsprechenden Dosis Wucht wird daraus sogar so etwas wie eine Grundschule des Rock, und die haben auf diese Art fast alle Sub Pop Bands (von Soundgarden, Melvins, Mudhoney bis herauf zu den Smashing Pumpkins) durchlaufen. Die folgende I2“ »Blew« bringt bereits eine auffallend deutlichere Ausformulierung des Pop-Merkmals. Die beiden Stücke auf Seite zwei werden von Steve Fisk produziert, und bei ihnen fällt auf, dass sich der Gitarrennoise mehr auf seinen eigenen Bereich begrenzt und nicht mehr die ganze Songstruktur durchwuchert wie vorher bei Endino.

nirvana_1.jpgDiese Tendenz geht auf »Nevermind« (auf dem Maior BMG) durch die Produktion von Butch Vig sogar so weit, dass der Noise aus der Perspektive des Pop radikal uminterpretiert wird. Brachiales Krachen verbindet sich mit tänzerischer Leichtigkeit, die Musiker ziehen sich total zurück und schlagen mit den Instrumenten nach Belieben zu. Kunstvoll konstruierte Melodien unterstreichen diesen Charakter. Geht rein wie ein guter Schluck Bier und ist wahrscheinlich neben der ganzen PR-Arbeit der eigentliche Grund für den Erfolg der Platte. Innerhalb des ersten Monats hat sich »Nevermind« allein in Amerika 700.000 Mal verkauft und liegt zur Zeit des Interviews (14. Nov.) an vierter Stelle der amerikanischen Verkaufscharts. Eine Tatsache, die sie Spekulanten schon als nächste Guns’n’Roses bezeichnen hat lassen. Vor diesem traurigen Schicksal bewahrt sie jedoch eine unschätzbare Tatsache: Sie sind jung. Ihnen ist durchaus auch ein »nein« zuzutrauen, wenn es darauf ankommt.

Doch zurück zum Interview. Was fragt man nun eine Bund, die scheinbar aus dem Nichts kommend in allen Medien derart überpräsent ist, dass eigentlich schon alles gesagt zu sein scheint? Veränderungen? Unterschiede zu früher?

Kurt Cobain: Unser erstes Album haben wir mit zwei verschiedenen Drummern aufgenommen. Jetzt haben wir Dave. Er ist technisch besser. Als Musiker sind wir straffer geworden, sehr viel auf Tour gewesen. Everything has chilled together really well. Wir betrachten uns jetzt mehr als eine lebendige Einheit. Seit wir des Label gewechselt haben, geben wir mehr Interviews.

skug: Das entsprach wahrscheinlich auch eurer Absicht – mehr Interviews, mehr Presse, mehr Airplay, grö&szligerer Bekanntheitsgrad.

Cobain (nach einer abwesenden Pause): Was war die Frage?

David Grohl: Well, have we chose to do more interviews???

Cobain: Am Anfang taten wir es, weil wir dachten, es würde uns schmeicheln. Während der Zeit auf Sub Pop hatten wir in Amerika insgesamt nur ganze fünf Interviews. Deshalb gaben wir zu Beginn dieser Tour jedes Interview, das möglich war. Jetzt langweilen sie uns, because it’s just not that fun to try to describe the same answers in a different way everytime. Es ist schon verständlich, dass Interviewer immer diese Fragen zu stellen haben, weil es alles ist, was sie fragen können. Für uns ist das aber frustrierend, weil wir ständig versuchen müssen, dasselbe immer anders zu beantworten. Also haben wir einige Termine platzen lassen.


Territorial piss off

nirvana_3.jpgskug: In Europa wart ihr in einer bestimmten Szene mit eurer ersten LP bereits relativ bekennt. Für diese Szene war Sub Pop sehr faszinierend, weil es typisch gegenkulturelle Merkmale aufzuweisen schien, das fing beim spezifischen Sound an und reichte bis zur Art der Präsentation. Seit ihr jetzt auf BMG seid, scheint sich das zu wenden, am deutlichsten durch die massive Promotion und Medienpräsenz. »Nevermind« ist bereits mehrfach zum besten Rockalbum des Jahres gekürt worden, und die Verkaufszahlen scheinen dem erheblich Rechnung zu tragen.

Cobain: I don’t see anything wrong with exposing a quality product. Uns gefällt das Album, das wir dieses Jahr herausgebracht haben. In gewissem Sinn sind wir stolz darauf und finden keinen Grund dafür, warum wir es nur einer bestimmten Hörerschaft zugänglich machen sollten. Alle sollten es hören und selber entscheiden.

Grohl: Ich verstehe, warum Leute aus der Underground Musikszene sort of feel ripped off when they find a product of a band they used to like very much being hyped on a major label. Aber ich fühle mich nicht schlecht, nicht mit diesem Album.

Cobain: Ich fühle mich nicht schuldig. Mich verwirrt diese strikte Art zu denken im Underground viel mehr. Die Leute schauen zu solchen Kultfiguren wie Iggy Pop auf, who used to cut himself and take a lot of drugs and he was like the Godfather of Punkrock and he was a very wild person. Er brachte einige wirklich gute Alben heraus. Heute schauen die Leute auf all das als etwas von äu&szligerster Wichtigkeit zurück und vergessen dabei, dass die Stooges auf diesem Weg so populär wie möglich zu werden versuchten. Sie spielten das ganze kommerzielle Spiel mit, vielleicht nicht unbedingt nach denselben Regeln, die die Majors vorgaben. Diese Mentalität entwickelte sich in den 80ern, in denen Majors für bullshit gehalten wurden, alle ihre eigenen Szenen, Lebensstile hatten und einfach ignorierten, was nicht Underground war. Das war auch richtig, denn ich kann mich an keine ekelhaftere Zeit als die Jahre seit den frühen 80ern herauf erinnern, als die Musik prostituiert wurde und gegen sie als Hure rebelliert werden musste. Ich war stolz, ein Teil dieser Szene zu sein. Als in den 70ern Punkrock anfing, war es dasselbe. Ich sehe die 90er als etwas, das den Leuten einen Meinungswechsel ermöglichen sollte. Es sollte alles nicht mehr so engstirnig und abgesondert sein. Wir wollen nicht mehr nur für eine Undergroundband gehalten werden. Wir wollen die Underground Szene so gut wie möglich promoten, in einem kommerziellen Sinn.

skug: Musikalisch scheint mir in eurem Fall der Schritt zu einem Major ein logischer gewesen zu sein. Die verbesserten Arbeitsbedingungen sind der Entfaltung eurer Musik sehr entgegengekommen, sie ist poppiger, transparenter geworden. Als einziges Beispiel aus letzter Zeit fallen mir diesbezüglich eigentlich nur die Meat Puppets ein, auf die sich der Wechsel zu einem Major ähnlich signifikant ausgewirkt hat und ein sich bestens zu bewähren scheinendes Pop-Profil einstellt. Andererseits gibt es natürlich genug und viel mehr Beispiele dafür, dass Bands durch den Wechsel zu einem Major gekillt werden.

Cobain: Ja, das passiert, und das wird immer geschehen. Es hängt viel davon ab, welchen Vertrag eine Band mit der Firma aushandelt, wer für sie arbeitet. Ständig werden Leute gefeuert, ständig kommen neue, ich habe viele Horrorgeschichten von Independent-Bands gehört.


Jack’n’Jim

skug: Ihr habt bis jetzt mit drei Produzenten gearbeitet: Jack Endino, Steve Fisk und Butch Vig. Welchen Einfluss hatten sie auf die Musik, wo liegen die Unterschiede?

Cobain: There’s not really much difference at all, they’re both equally nice guys (Anm.: waren da nicht drei?). Sie gehören zu den nettesten Leuten die wir je getroffen haben und es ist komisch, dass sie nur Produzenten sind.

skug: Siehst du keine musikalischen Veränderungen durch sie?

Cobain: Nein, nicht wirklich. Die Qualität, die Sounds sind zwar offensichtlich unterschiedlich zwischen den beiden Alben, das hat aber mehr mit dem Equipment, mit dem wir sie aufgenommen haben, zu tun. Jack Endino nahm auf einem Achtspurgerät in einem sehr kleinen Studio auf, und dieses Album nahmen wir mit einem 24-Spurgerät auf. Damit ist es fast unmöglich, den Achtspursound zu reproduzieren, weil sie tiefere Frequenzen erzeugen. Alles scheint viel mehr gepresst zu sein, weil du für alle Instrumente nur acht Spuren zur Verfügung hast. 24 Spuren sind weiter offen. Beide verstehen welche Art Band wir sind.

skug: Unterscheiden sie sich nicht in ihren Arbeitsweisen?

Cobain: Nun, wir drehen die Gitarren auf, trinken Jack Daniels und Jim Beam, das ist alles.

Rebel, Rebel

skug: Wovon handelt »School«?

Cobain: Es spiegelt meinen Eindruck von der Underground Szene wieder, als ich zu den ersten Punkrock Konzerten ging. Ich war in der Highschool, äu&szligerst frustriert, dealing with all these social clichès and situations, wie sie aufeinander reagierten, die Footballer kamen sich besser als der Rest vor, usw. Ich dachte, bei Konzerten würde ich andere Leute treffen, die auf dieses Verhalten verzichten könnten, dieselbe Musik wie ich mögen würden, wo alles halt anders sei. Aber es war nicht sehr viel anders, im Underground wurden dieselben sozialen Spielchen gespielt. »School« means that I thought like I was in Highschool again.

skug: In den Promotexten werdet ihr immer wieder zitiert als Kreuzung zwischen The Knack, Bay City Rollers einerseits und Black Flag, Black Sabbath andererseits. Was machen denn die Bay City Rollers da drinnen?

Grohl: Sie symbolisieren Pop. nirvana_4.jpg

Cobain: Das haben wir selber geschrieben. We aren’t such a serious band that we can’t make fun of ourselves. Bay City Rollers are kind of a humorous band and I think we’re pretty close to it in a way. 

Grohl: Wir stie&szligen auf sie, als wir »Rebel Rebel« von David Bowie coverten?? 

Cobain: I got all their records, I like to listen to Bay City Rollers. Als ich mit dem Underground – die ersten Punk Konzerte usw. – zu tun zu haben begann, herrschte eine Mentalität vor, in der Bands wie etwa Aerosmith vollkommen tabu waren. Du konntest sie nicht mögen, weil du nur Black Flag und Hard Core mögen könntest. Ich habe die späten 70er, frühen 80er noch nicht so richtig miterlebt, aber als ich anfing, war es cool, zu sagen, alter Punk Rock wie die Sex Pistols und Ramones würden sucken und HC sei in. Du konntest nicht einmal sagen, du würdest die Sex Pistols hören. Das beunruhigte mich sehr, weil ich immer ein Musikliebhaber gewesen bin. Mir gefallen alle Arten von Musik, die Monkees, Devo. Die waren ebenfalls ein Tabu in der Szene.

skug: Devo waren hier in Europa anerkannt.

Cobain: Sie waren überhaupt eine der ersten Bands für mich, die völlig anders klangen als nur Rock’n’Roll.

skug: Glaubst du, dass die Tendenz weg von der Independent Ebene hin zur Industrie stärker werden wird, schaut man z.B. auf die vielen Hip-Hop Acts, die – kaum haben sie ein erfolgversprechendes Produkt auf einem kleinen Label veröffentlicht – sofort von der Industrie aufgekauft werden (was systemkritisch nochmal ein eigenes Kapitel darstellt, Anm.)? Kann die Independent Szene dem Druck der Majors standhalten? Oder werden Indiebands sowas wie Salz im Mainstream?

Cobain: Die Zeiten für die Independent-Welt sind heute wirklich hart. Junge Bands, die als Independentbands anfangen, denken über sich nach, ihre Karrieren, überlegen sich, wie sie zu einem Majorlabel kommen, wie sie sich promoten müssen. Viele kommen auch gleich dort unter, aber die meisten leiden darunter, weil sie von den Majors keine Gelegenheit bekommen, sich weiterentwickeln zu können. Ich denke, dass es gut und wichtig für eine Band wäre, zuerst ein Album independently herauszubringen. Es schwirren genügend Bands auf Majors herum, die Punkrock oder Alternativen zu sein behaupten, tatsächlich aber nur deren Produkte (Guns’n’Roses z.B., Anm.) sind. In gewisser Weise sind die frühen 90er wie die frühen 80er. Andererseits wissen viele Leute heute nicht mehr, dass selbst die Sex Pistols auf einem Major Label waren and they were totally willig to be exploited everywhere. Und daran ist nichts Falsches, solange deine Musik gut ist.

skug: Was bedeutet dir zusammenfassend der Begriff »Nirvana«?

Cobain: Freiheit.

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Text
Rupert Heim

Veröffentlichung
04.11.2011

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