Robbie Robertson performing with The Band, Hamburg, May 1971 © Heinrich Klaffs, Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0
Robbie Robertson performing with The Band, Hamburg, May 1971 © Heinrich Klaffs, Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0

Mister Americana – Ein Nachruf auf Robbie Robertson

Am 9. August 2023 verstarb der Gitarrist und Songwriter Jaime Royal »Robbie« Robertson im Alter von 80 Jahren. Der kanadische Musiker zählte zwar nicht zu den medial präsentesten Superstars, prägte die Musik der letzten sechzig Jahre aber mit wie wenig andere.

Robbie Robertsons unverkennbarer Gitarrenstil machte ihn zu einem wichtigen Einflussgeber für viele Gitarrist*innen und seine Arbeit im Bereich der Filmmusik, vor allem in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Martin Scorsese, führte zu einigen legendären Soundtracks. Robertson wurde 1943 in Toronto geboren. Seine Mutter Rosemarie Dolly Chrysler war Cayuga-Mohawk und wuchs auf dem Six Nations of the Grand River Reservat auf. Robbie Robertson besuchte das Reservat in seiner Jugend oft, lernte dort auch Gitarre spielen und sollte sich Zeit seines Lebens mit der Geschichte und der Musik der First Nations beschäftigen. Nachdem sich Robertsons Eltern trennten, erfuhr er, dass sein biologischer Vater der jüdische Amerikaner Alexander David Klegerman war. Robertson nahm daraufhin Kontakt zu dessen Familie auf. In dem Song »Rags and Bones« aus dem The Band-Album »Northern Lights – Southern Cross« beschäftigte sich Robbie Robertson mit der Geschichte der osteuropäischen jüdischen Immigrant*innen in Toronto. 

Als Teenager nahm Robertson Gelegenheitsjobs bei einem reisenden Karneval an und begann dann in Bands zu spielen. Der erste Durchbruch gelang ihm als Mitglied der Rockabilly-Gruppe Ronnie Hawkins & the Hawks. Robertson wurde 1959 angeheuert, der spätere The-Band-Schlagzeuger Levon Helm war bereits Mitglied, Bassist Rick Danko, Pianist Richard Manuel und Organist Garth Hudson – allesamt später Mitglieder von The Band – kamen etwas später dazu. 1964 trennten sich die Hawks von Ronnie Hawkins und machten als Levon & the Hawks weiter, ein Jahr später wurde die Gruppe von Bob Dylan als dessen Backing Band angeheuert. Die neuen, elektrisch-rockigen Arrangements und surrealen Texte, die Dylan und seine Band auf den nächsten Touren zum Besten gaben, stießen auf zum Teil extreme Ablehnung bei Dylans Fans, die sich eine Fortführung seiner politisch engagierten Folk-Karriere erhofften. 1966 führte die Tour Dylan und seine Band auch nach Europa, wo unter anderem das legendäre »Royal Albert Hall Concert«, das in Wirklichkeit in der Manchester Free Trade Hall stattfand, aufgezeichnet wurde. Der Auftritt wurde 1998 als »The Bootleg Series Vol. 4« veröffentlicht und stellt einen wichtigen Entwicklungsschritt sowohl von Dylan als auch von The Band dar. Levon Helm wollte sich nicht weiter den feindseligen Fans aussetzen und wurde auf dieser Tour durch Sandy Konikoff ersetzt. Robertsons aggressiver, höhenbetonter Gitarrenstil wurde zu einem nicht wegzudenkenden Bestandteil dieser Phase von Dylans Werk.

Pioniere des Americana

Zurück in Amerika verunglückte Bob Dylan mit dem Motorrad und zog sich für einige Jahre in die ländliche New Yorker Gemeinde Woodstock zurück. Bald begann er mit den Mitgliedern der Hawks, die ebenfalls nacheinander nach Woodstock zogen, an neuen Songs zu arbeiten. Viele davon wurden später als »The Basement Tapes« veröffentlicht. Dylan und seine Mitstreiter zelebrierten hier eine Musik, die wenig mit dem Zeitgeist der späten Sechzigerjahre gemeinsam hatte, sondern sich vielmehr auf traditionelle, amerikanische Liedformen berief. Ein wichtiger Einflussgeber war hier Harry Smiths »Anthology of American Folk Music«. Marcus Greil bezeichnete die Art von Musik, die auf den »Basement Tapes« sowie auch auf den ersten Alben von The Band zu finden war als »Old Weird America«. Sie sollte zu einem der wichtigsten Ausgangspunkte jenes Genres werden, das heute meist »Americana« genannt wird. 

Das erste Album von The Band, »Music From Big Pink«, erschien 1968 und war nach dem Haus benannt, in dem Garth Hudson, Richard Manuel und Rick Danko in Woodstock wohnten. Robertsons Song »The Weight« wurde zu einem der größten Hits für die Gruppe, unter anderem auch durch seine Verwendung in dem Film »Easy Rider«. Hier wird auch bereits die Faszination mit dem Kino offenbar, denn laut Robertson waren die Filme von Luis Buñuel eine wichtige Inspiration für den Text des Liedes. Obwohl oder gerade weil das Album im von Psychedelic Rock geprägten Jahr 1968 eine Anomalie darstellte, übte es einen ungeheuren Einfluss auf andere Musiker*innen aus. Eric Clapton gründete gemeinsam mit Duane Allman die Gruppe Derek and the Dominoes, laut eigener Aussage, weil er selbst in einer Gruppe wie The Band spielen wollte. 

Auch wenn nicht in allen Fällen ein direkter Einfluss von The Band nachgewiesen werden kann, so lag jedenfalls eine Entwicklung weg von Psychedelic Rock und hin zu einer von ruralen Musikformen beeinflussten Musik, die damals meist als »Country Rock«, heute oft auch als »Cosmic Americana« oder eben auch nur »Americana« bezeichnet wird, wohl in der Luft. The Byrds engagierten Gram Parsons und nahmen mit ihm das Album »Sweetheart of the Rodeo« auf, das ebenfalls 1968 erschien. Auch hier kamen zwei Dylan-Cover, die ursprünglich während der »Basement Tapes«-Sessions entstanden waren, zum Einsatz. Grateful Dead wiederum zogen von San Francisco auf eine Ranch im nordkalifornischen Novato und veröffentlichten 1970 das von Folk und Country beeinflusste Album »Workingman’s Dead«, das ihr bisher größter kommerzieller Erfolg werden sollte. 

Der cinematografische Blick

Ein Aspekt, der die Werke von The Band aber zu etwas ganz Eigenem macht, ist das Songwriting Robertsons. Sein oft sehr cinematografischer Blick und seine Tendenz, fiktive historische Ich-Erzähler*innen mit Elementen aus seiner Familiengeschichte und der Geschichte des amerikanischen Kontinents zu verbinden, nahm auf »Music from Big Pink« seinen Anfang und setzte sich in seinem weiteren Schaffen fort. Das 1969 erschienene Zweitwerk »The Band« beschäftigte sich als relativ freies Konzeptalbum mit verschiedenen Aspekten der amerikanischen Geschichte. Der Song »The Night They Drove Old Dixie Down« beschreibt beispielsweise das Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs und die Zeit danach aus der Sicht eines Konföderierten Veteranen. Es wurde vor allem durch Joan Baez’ Interpretation weltbekannt. »King Harvest Will Surely Come« wiederum erzählt vom Beginn der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung. Mit »Stage Fright« veröffentlichte die Gruppe 1970 ein drittes, äußerst erfolgreiches Album, es folgten »Cahoots«, »Moondog Matinee«, »Northern Lights – Southern Cross« und »Islands« sowie das Doppel-Live-Album »Rock of Ages«. 

1973 trat The Band gemeinsam mit The Allman Brothers Band und Grateful Dead bei Summer Jam at Watkins Glen auf. Das Konzert zog über 600.000 Menschen an und fand als das bis dahin bestbesuchte Konzert Eingang ins Guinness Book of World Records. 1976 beschloss die Gruppe, nicht mehr auf Tour zu gehen, und gab ein Abschiedskonzert, das zu Thanksgiving im Winterland Ballroom in San Francisco stattfand. Robertson wollte das Konzert filmen lassen und konnte dafür Martin Scorsese als Regisseur gewinnen. Bei dem Konzert traten neben The Band auch unzählige Wegbegleiter*innen auf, unter anderem Joni Mitchell, Dr. John, Van Morrison, Ronnie Hawkins und natürlich Bob Dylan. Der daraus resultierende Konzertfilm »The Last Waltz« gilt heute als wegweisend für das Genre der Rockumentary. Die einzelnen Bandmitglieder erzählen in kurzen Sequenzen zwischen den musikalischen Beiträgen von ihren Tourerfahrungen und den Gründen, weshalb sie das Touren aufgeben wollen. Dadurch entsteht ein Narrativ über den Erfolg von Underdogs und die daraus resultierenden Probleme, das auch gewisse Ähnlichkeiten mit vielen andereren Werken Scorseses aufweist. Die Zusammenarbeit war jedenfalls sowohl für Scorsese als auch für Robertson sehr positiv und Scorsese engagierte den befreundeten Gitarristen und Songwriter für viele weitere Film-Soundtracks, unter anderem für »Raging Bull«, »The King of Comedy«, »The Color of Money« und »The Wolf of Wall Street«. Auch für den Soundtrack des bald erscheinenden Films»Killers of the Flower Moon« zeichnete Robertson verantwortlich, was eine seiner letzten Arbeiten darstellt. 

Seit den Siebzigerjahren arbeitete Robertson auch als Session-Gitarrist und Produzent und war unter anderem an Alben von Joni Mitchell, Eric Clapton und Tom Petty beteiligt. 1987 veröffentlichte er sein erstes, von Daniel Lanois produziertes Soloalbum »Robbie Robertson«. Der darauf enthaltene Song »Broken Arrow« wurde zu einem kleineren Hit für Robertson und zu einem größeren in der Cover-Version von Rod Stewart. Grateful Dead spielten das Lied ebenfalls regelmäßig, wobei Bassist Phil Lesh den Gesangspart übernahm. Für das 1994 veröffentlichte Album »Music for The Native Americans«, den Soundtrack zu einer TV-Doku-Serie, gründete er das aus First-Nation-Musiker*innen bestehende Red Road Ensemble. Das Nachfolgewerk »Contact from the Underworld of Redboy« verband traditionelle Musik der First Nations mit Rock, Trip Hop und Electronica. Das letzte Album Robertsons, »Sinematic«, erschien 2019 und enthielt unter anderem Songs aus dem Scorsese-Film »The Irishman«. 

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Text
Ulrich Musa-Rois

Veröffentlichung
25.08.2023

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