Soda & Gomorra © Jelena Kopanja
Soda & Gomorra © Jelena Kopanja

Migrantischer Sprachwitz, rabiater Hardcore-No-Wave

Soda & Gomorra beindrucken nicht nur durch einen facettenreichen Sound und YU-Speak meets Ösi-Deutsch, sondern als glorios-anarchische Live-Band mit Schnauzer-Renaissance und Posertum. Das Sextett ist eine herausragende Erscheinung – wie auch das selbstbetitelte Debütalbum!

Am 15. November 2019 war der helle Wahnsinn los im Venster99. Ex-AU-Impresario Michael Podgorac alias Mikal Maldoror, umtriebiger Drummer der Combo, wie Sänger Aleksandar Marković mit mächtigem Moustache ausgestattet, lud zur Präsentation des tollen, selbstbetitelten Debütalbums von Soda & Gomorra, das stilgemäß als Cassette wie Vinylscheibe erworben werden kann. Viele Ex-Jugoslaw*innen und Wiener Fans im Publikum. Distonacija und Die fitten Titten gefielen bereits als Support Acts. Mikal Maldoror treibt die Band furios an und hat sichtlich großen Spaß dabei. Soda & Gomorra spielen um ihr Leben und Teile der Band finden sogar noch Zeit zu posen. Höllisch guter Hardcore meets No Wave anno 2020! Grandiose Show! Man fühlt sich wie weggeblasen, so forsch ist das Tempo. Und dann noch die klugen, argen Texte, die mit von Migrant*innen gesprochenem Deutsch spielen. Der Autor dieser Zeilen ist hin und weg. Mehr als ein Grund, Soda & Gomorra näher vorzustellen.

Soda & Gomorra © Jelena Kopanja

Die beiden Schnurrbartträger, Michael Podgorac aka Mikal Maldoror an der Schießbude und Sänger Aleksandar Marković am Mikro, selbstverständlich nicht mit Funk, sondern mit Ständer zum Festhalten und Herumfuhrwerken ausgestattet, verkörpern so etwas wie einen proletarischen Haudrauf-Gegenpol zu den drei weiteren Bandmitgliedern. Maldoror fungiert als präziser Düsentrieb, der mit Jaki Liebezeit und Tool-Drummer Danny Carey großartige Vorbilder hat. Und in Marković vereinigen sich David Thomas, Captain Beefheart und Mark E. Smith zu einem Bühnendarsteller erster Güte. Marković ist ein liebenswerter Wüterich, der mit Zwirbelschnurrbart über die Bühne fegt. Dazu gesellen sich der toll posende Bassist Tommy Jirku und der sich ebenso hart abrackernde Gitarrist Filip Rački, der die goldene Mitte besetzt. Außerdem ist Synth-Spieler Nenad Stankov, der sich gern hinter Lautsprecherboxen verbirgt, mit seinen flirrenden Sound-Loops ebenso ein Ruhepol im tobenden Orkan. Besonders exzentrisch wirkt auch der stylisch gekleidete Trompeter Thomas Wirthensohn, der zusätzlich für schillernde Avantgarde-Eleganz im orgiastischen Live-Furor sorgt. Irgendwie erinnern Soda & Gomorra an den Sound von US-Hardcore-Bands, doch haben die Wiener Jugos diesen Sound anarchisch in die Jetztzeit katapultiert!

Soda & Gomorra © Jelena Kopanja

Welches Potenzial im ex-jugoslawischen Zuwanderer*innen-Milieu steckt, zeigte allein die bravouröse Auswahl der Vorgruppen. Distonacija sind natürlich nicht wirklich eine Gastarbeiterband, sondern knüppeln typischen Yugo-Punk à la 1980er-Jahre, der sich an Elektricni Orgazam ein Beispiel nimmt. Noch mehr in Erinnerung bleibt die Revue der Fitten Titten. Drei Kunststudentinnen performen front, dahinter spärlich bekleidete Männer, einer ganz nackt mit prächtigem Glied und Hoden und goldener Perücke, deren Haare das Gesicht verhängen … Anfangs schieben sie ihre Brüste im Rhythmus herum, die Choreografie bleibt witzig, die Performance schillernd, teils räudig und doch auch voll anmutiger Disco-Chansons. Die sehr guten feministischen Texte zeichnet ein Jonglieren mit migrantisch »verhunztem« Deutsch aus, wie das auch Soda & Gomorra brillant rüberbringen.

Soda & Gomorra © Jelena Kopanja

skug: Dies führt gleich zur ersten Frage an Soda & Gomorra. Auch bei euren Lyrics ist das Spiel mit Muttersprache meets österreichisches Deutsch zu konstatieren. Mir gefällt dabei insbesondere euer dadaistischer Zugang. Ist Kurt Schwitters ein Vorbild? Sind Ernst Jandl oder H. C. Artmann ein Begriff, um von großen Wiener Poeten zu sprechen. Oder gab es auch jugoslawische Dadaisten, die hier in Wien nicht bekannt sind?
Mikal Maldoror: Die dadaistischen Parallelen der Songtexte sind definitiv nicht zu leugnen, auch wenn eine direkte Bezugnahme beim Schreiben der Werke gefehlt hat – der Dadaismus in Jugoslawien war eher eine Randerscheinung und, wenn überhaupt, jenseits der Grenzen Belgrads und Zagrebs nur von geringer Relevanz. Das Spiel mit den Wörtern ist ein wichtiges Element in unseren Texten – eine neue Werkvertonung von Ernst Jandl und H. C. Artmann wäre mit Sicherheit ein spannendes Projekt. Um dem Ganzen einen Extrakick zu geben, schicken wir nochmal davor alle Gedichte durch den BKS Google Translator.

Nun kommen Fragen zu jedem Song auf dem Soda-&-Gomorra-Debütalbum. Mir gefällt die Mixtur aus Nonsens und Ernsthaftigkeit. Beim Auftakt »YouTube Stern«, wo die Trompete die ausschmückende Melodielinie zieht, der Rest der Band aber unbarmherzig rabiat zugange ist, tappe ich bezüglich Interpretation im Dunkeln. Bitte die Intention des Songs mitteilen.
Ein Song über die per Überwachungskamera aufgenommenen Peinlichkeiten des Lebens. Erwischt werden beim Deppertsein und schon bist du das Gelächter des Internets. Wir leben in harten Zeiten.

In »Hundescheiße«, das mit durchaus schönen Melodien beeindruckt, raun(z)t euer Sänger beefheartesk und am Schluss den zentralen Satz: »Welcome in Vienna«. War das Erstkontakt in Wien oder habt ihr ein gespaltenes Verhältnis zu Hunden oder nur zu deren Scheiße auf den Gehsteigen? Übrigens wurde mir mal in Belgrad der Inhalt eines Aschenbechers auf den Kopf geleert von hoch oben.
Das erstmalige Hören jener Textzeilen war für jene Bandmitglieder, die Wien noch vor Ulli Simas Kampagne gegens Gackerl kannten, geradezu empörend, weil wir ehrlich dachten, dass es nicht mehr schlimm ist. Aber vielleicht wohnen wir schon zulange in dieser Stadt und für alle Neuankömmlinge ist Wien noch immer eine einzige große Hundezone.

»Stop swimming« wird auf Englisch/Jugoslawisch gesungen. Für mich ziemlich Dada: »Problem is beginning / When you stop swimming«, mit radebrechendem Sänger, herzhaft intonierter Trompete über Breitwand-Hardcore-Dampfwalze, ist genial. Wie kamt ihr darauf?
Das ist aus einer alte Zeichentrickserie. Aleksandar kann sich zwar nicht mehr dran erinnern, aber es ist grundsätzlich gemeint: Wenn du einmal »stoppst« und du dir einmal Geld leihen musst, um Schulden zu bezahlen, und dann kommt der Hai, dann fängt die Scheiße an.

Mir imponiert die Zweisprachigkeit in »Funky Pidgeon«, dem No-Wave-funky-Anti-Hohelied auf die Tauben, die in der Stadt bleiben und nicht gen Süden fliegen, sondern im instrumental bedrohlich bremsenden Landeanflug sind. Nerven euch Tauben? Und wie? Es gibt ja ein tolles Wiener Lied von Georg Kreisler: »Gemma Tauben vergiften in Park«!
Diese Tauben sind ein ewiges Ärgernis. Verschissene Haare im Winter bei minus 5 Grad sind einfach nicht schön. Taubendurchfall ist noch schlimmer, das bekommt man weder aus dem Gewand noch aus den Haaren so richtig raus. Unsere Missgunst muss in allen verfügbaren Sprachen gesungen werden, wir werden an einer türkischen und arabischen Strophe arbeiten! 

»Kuda Muda«, in dem Trompete und Band eher im Gleichschritt marschieren, meint Kuddelmuddel? Bitte den YU-Speak erklären!
»Kuda Muda« ist ein Wortspiel im Konjunktiv und fragt danach, was wäre passiert, hätte ich nur, wäre ich nur, würde ich nur, wenn ich nur etc. Der Refrain klärt dann auf, es ist alles egal, dem eigenen Schicksal entkommt man am Ende dann doch nicht.

Das psychedelische »Soda & Gomorra« ist autobiografisch? Sodium Bicarbonate hilft gegen Alkoholbrand und Missstimmung am nächsten Tag?
Quasi inhaltlich der Schwestersong zu »Tut mir leid«. Hier geht es nicht um den Konflikt mit dem*der Ehepartner*in, sondern den Konflikt mit dem eigenen Körper nach dem Durst. Neben Sodium Bicarbonate gibt es noch ein zweites exzellentes Hilfsmittel gegen Kater, und zwar gekochten Slivovica.

Da muss ich kurz nachhaken: Eure zweite, nicht auf dem Album vertretene Single »Tut mir leid« spiegelt also eventuell die Pein eines AU-Besuchers?
Definitiv ein autobiographischer Song. Der überschwängliche Hang zum alkohollastigen Feiern bis in die Morgenstunden und die Liebe zur Ehefrau, ein ewiges Spannungsverhältnis. Der Kater am Morgen verhaut den Familiensonntag, aber wir geloben mit Kopfweh und auf Knien Besserung.

Auch »Slave Of The Banks«, das no-wavig um die Ecke biegt, scheint mitten aus dem Leben gegriffen. Ist das nur Kritik am oberflächlichen Konsum auf Kredit oder tiefergehend?
So ein Kredit macht alles wunderbar und neu. Die Türklinke der neuen Eigentumswohnung glänzt aus Gold und die alte Kategorie-D-Wohnung und das Gangklo sind Geschichte. Die schreiende Nachbarsfamilie mit den fünf Kindern raubt dir nicht mehr den Schlaf und es werden keine alten Autoreifen im Innenhof mehr verbrannt. Doch irgendwo im Hinterkopf fragt dich dein vom Duft des Zirbenholzbettes besoffenes Gemüt: Geht das alles gut? Der Chef hat dich gekündigt, die Scheidung ist eingereicht, die Wohnung und das Zirbenholzbett sind Geschichte. Aber die Bank hilft dir mit einem endfälligen Überbrückungskredit, nur dieses Mal, um deine alte Kategorie-D-Wohnung mit erhöhter Miete und deinen täglichen Einkauf beim Pennymarkt zu finanzieren.

Vor dem englisch gesungenen, melodramatischen Finale »Summer Rain« ist das instrumental-versöhnliche, beinah schon progrockige »Outro« mit dem Satz »Aco geht eine Zigarette rauchen« untertitelt. Erneut eine Hymne an ein Suchtmittel, das man in neuen Spielfilmen kaum mehr sieht. Sehen sich Soda & Gomorra als subversive Bewahrer früher geduldeter kultureller Praktiken des Genusses?
Zwischen unseren Rauchpausen proben wir auch manchmal. Während unser Sänger sich beim Betreten des Proberaums schon die nächste Zigarette dreht und es sich mit dem Üben nochmal anders überlegt, proben wir schon mal die nächste Nummer. Dass es zwangsläufig zu Songs ohne Text kommt, ist daher bei uns ganz gewöhnlich. Genuss steht bei uns in der Rangordnung sicher weit oben, am besten lässt es sich gemeinsam und viel genießen, wie ein Ritual.

Ganz zum Schluss erinnere ich mich an »Tschusch«, eure erste Single, die bereits die Essenz von Soda & Gomorras Sprachminimalismus enthält und immer noch enorm gut einfährt. »Ich bin Tschusch« wird darauf repetiert und sehr oft auch das Wort »Arbeiten«. Was heißt in diesem Kontext »Čuješ, čuješ«?
»Čuješ, čuješ« heißt übersetzt »Hörst du, Hörst du!« und kann auch übersetzt werden mit »Gemma, gemma, weiter hackeln!« Das Wort »Tschusch« wird in Österreich oft abwertend für Menschen aus den Balkanländern gebraucht und kommt ebenfalls von »čuti« (hören), čuješ (du hörst) bzw. čušʼ (höre).

Soda & Gomorra: »S/T« (Eigenverlag)

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