Es ist diese Stimme, pathostrunken hollernd und verzweifelnd übersteuert, die einem in die Knochen fährt. In knacksender Spannung war zuvor der Start vorbereitet worden, zischend und krachend die Rakete gestartet und schließlich atmosphärisch klirrend in den Weltraum geglitten: Zu diesen Klängen in den ersten Minuten von Max Brands Tonbandkomposition »The Astronauts« aus 1962 sind ebenfalls schon Stimmen zu hören, diesseits von jeglichem Pathos allerdings. Max Brand hatte NASA-Aufnahmen der Funksprüche zwischen der Bodenstation und John Glenn während dessen ersten Weltraufluges als Grundlage für seine elektroakustische Ode verwendet. Später allerdings setzt in der Komposition die Stimme des »narrators« ein, »there were anxious moments, very anxious moments«, und was immer bis dahin auch nach einem räudigen Elektroakustikexperiment geklungen haben könnte, verwandelt sich augenblicklich in das, was es ist: Ein pathetisches Oratorium zu Ehren eines Gottes, der da heißt Technik.
»Glad to meet you, Mr. Brown. I am the Machine«. Der technisch-künstlerische Visionär sucht sich ein Sprachrohr und schon geht sein Ich auf in Schaltkreisen: »Electronic Oscillation has its own voice«, fährt die Maschine fort. In unnachahmlicher Verschränkung von Expressivität und Maschinenglauben formuliert der Komponist Max Brand mit Sprechpassagen wie diesen – aus einem skizzierten Aufführungsprojekt zu Beginn der 60er Jahre – sein elektronisches Credo. Das fingierte Autobiographische der Maschine gerät zur selbstreferentiellen Identitätsschleife des Komponisten: Rückkoppelung at it’s best.
Der Komponist Max Brand, 1896 in Lemberg geboren und sechzig Jahre später zum einsamen Elektronikpionier in New York mutiert, erreichte mit seiner elektronischen Musik kaum mehr eine Öffentlichkeit und auch nur selten ein künstlerisches wie technisches Produktionsniveau, das seinen eigenen Ansprüchen genügt hätte. Aber er hinterließ aus diesen Jahren nicht nur eine wunderbare Maschine und eine Sammlung Tonbänder, sondern auch die Fama von seiner künstlerisch integren Besessenheit und die Kunde von einem Zeitalter, das an technische Utopien schlicht glaubte.
Wenn phonoTAKTIK Max Brand entdeckt, dann sind die Voraussetzungen zur Mythenbildung aus dieser Konstellation ideal: Der alte Mann und die Maschine, die Liebe, die Utopie, der Glaube auf der einen Seite, die jungen Männer und die Verbeugung, die Ironie und die unbekannte Vorgeschichte au der anderen.
Die phonoTAKTIKER sehen zum Wohle Max Brands das nicht, was jahrelang auf traditionelle Weise gesehen wurde: »Leben und Werk«. Aber stattdessen beobachten sie etwas, was den anderen noch selten beachtenswert erschienen ist: Sounds and Media. Nach Jahrzehnten als Komponist, in denen sich zwischen 1920 und 1955 europaweite Erfolge mit mindestens so weitreichendem Ignoriertwerden abwechseln, in denen er vor den Nazis von Wien über Prag, Paris, Lausanne, Rio de Janeiro nach New York flieht, beschließt Max Brand, fortan ausschließlich mit elektronischen Mitteln zu arbeiten. Das war 1956 prinzipiell nicht einfach, aber Brands Sonderrolle beruht darauf, dass er im Gegensatz zu den meisten damals an Elektronik interessierten E-Musik Komponisten keinen Zugang zu den großen, im Aufbau befindlichen Studios der amerikanischen Universitäten und europäischen Radiostationen fand. Also begann er; gemeinsam mit Freunden, sein eigenes Studio einzurichten. Sie stießen auf den jungen Robert Moog, kooperierten an der Entwicklung einiger Komponenten, kauften einige gerade serienreif gewordenen Geräteteile. Im Laufe von gut zehn Jahren entstand dabei jenes Unikat der Elektronik, jene Maschine, die heute noch existiert und vielleicht mehr noch das Vermächtnis dieses Künstlers ist, als die überlieferten Tonbandwerke. An diesem Gerät, an dessen notorischen Unzulänglichkeiten, vor allem aber an dessen rabiater, intensiver, analoger Klanglichkeit können sich Mythen entzünden.
Das ist der entscheidende Punkt dieser Wiederbegegnung: Nicht die »Kompositionen«, nicht die Biographie, das Emigrantenschicksal, nicht das Erfolgsstück »Maschinist Hopkins«, nicht die noch unaufgeführten, oder gar verschollenen Werke sind der Ansatzpunkt, sondern die Klanglichkeit, der Sound des Spätwerks. Rumpelnd und polternd, pulsierend und übersteuert jagen die Bässe völlig monoton durch ein 1960 komponiertes »Nocturno Brasiliero«, wild gewordene und losgelöste einzelne Klänge und Töne konterkarieren diese Hypnose. Vom Standpunkt der akademischen Elektronik aus ein verzweifeltes Nichts an Komposition, vom Standpunkt eines independent/bruitistisch/noise/pop sozialisierten Hörers ein wahres Kleinod an visionärer Kraft.
Dem Künstler Max Brand begann in den 60er Jahren – aus seiner Sicht – die Zeit davon zu laufen: In der E-Musik eine Avantgarde, die keine altwerdenden Emigranten braucht, in diesem Punkt ging es damals Ernst Krenek nicht viel besser, in der Elektronik eine Schnelligkeit der Entwicklung, der man nur mit untauglichen Mitteln hinterherhecheln kann, zum Kommerz nicht die geringsten Anknüpfungspunkte und in der ästhetischen Landschaft weit und breit keine Verbündeten für die alte Idee, eine quasi-theatralische Verbindung von Musik, Licht und Bühne anzustreben. Max Brand konzipierte seine Elektronik-Werke nicht als Konzertstücke, sondern als Musik für Tanztheater, für Werbefilm, für künstlerische Environments. »Klang, Licht und Farbbild: eine strenge Durchführung dieser drei Parallelen. Diese Vorgänge wären vollkommen irreale Vorgänge«, schrieb er 1926 in einem programmatischen Aufsatz für die Wiener Zeitschrift »Anbruch«, und 1963 trat Brand in einer New Yorker Galerie auf mit »The B.B.R. Group presents: Electronic Sound Structures with Transparencies In Motion.«
Dieser eigentümliche Fall von künstlerischer Kontinuität über Jahrzehnte und Kontinente hinweg beruht auf den Idealen einer interdisziplinären Avantgarde der 20er Jahre. Deren Kernideen bewahrt Brand bis in die 60er:
»The paintings in motion and the electronic sounds reflect a world, that lies between the rational and the irrational, between the real and the irreal.«
Jene intermediäre Avantgarde wahrzunehmen, die in New York zur selben Zeit rund um LaMonte Young und Allan Kaprov in all ihrem aufgeklärt-lichtem Irrationalismus entstand, war Brand nicht möglich. Er beharrte auf seinem gestischen Maschinendenken, voll Expressivität, voll Direktheit, unmittelbar. Dunkle Nächte mit abstrakten Filmen an den Wänden und wütend übersteuerten Elektroniksounds, das war, oder besser hätte seine Welt sein können:
»Denn die Bühne ist nun [von Menschen] leer. Nur die Musik ist. Und sie soll der Bühne Leben geben«.
Das ist noch ein Zitat aus einem Brand-Manifest aus den 20er Jahren, das sich von heute aus visionär hören lässt, »Die Bedeutung von Musikmaschinen, in Zusammenhang mit der ebenfalls mechanisch bewegten Bühne, ist heute kaum übersehbar.«
In diesem Sinn sind auch die »Astronauts« – den Weltraumflug John Glenns feiernd – vom Anfang der 60er Jahre selbstverständlich nicht als »absolute Musik« konzipiert. Übersehen wurden sie jahrelang trotzdem, ganz im Wortsinn auch, weil ein aufgeschriebenes Drehbuch mit Weltraumfilmszenen nie fertiggestellt, geschweige denn realisiert wurde.
Dass Max Brand nicht nur konzeptuell seiner alten Linie treu blieb, ist auch unüberhörbar: Mehrmals geistert jenes chromatisch absteigende Viertonmotiv durch die »Astronauts«, das schon seiner Oper »Maschinist Hopkins« vom Ende der 20er Jahre als konstruktiv verbindendes Motiv gedient hatte. Die traditionelle Analyse von Tonhöhenorganisation oder formalen Strukturen führt aber in diesem Fall notwendigerweise ins Abseits. Max Brands »Astronauts« leben nicht von kompositorischer Subtilität, sondern vom Mut der Verzweiflung, musikalisch wie ideell.
Folgerichtig inszeniert Brand kurz vor Ende seines Stücks eine Art Trauermarsch als Fluchtp
unkt der Technikverehrung. Opfer müssen nolen volens gebracht werden, darauf insistiert der Sprecher mit beschwörender Stimme, während im Hintergrund dieselbe Stimme – diejenige Max Brands – ein »Requiem aeternam« intoniert, eine wahrlich abgründige Szene. Die Wurzeln im Denken der für Max Brand prägenden 20er Jahre sind evident.
»Philosophie der Technik« lautet der Titel eines in den späten 20er Jahren mit hohen Auflagen gedruckten Buches des konservativen Philosophen Friedrich Dessauer. Brands Hommage an die Opfer des technischen Fortschritts erinnert noch in ihrer Wortwahl an die von Dessauer seinem Technikbuch vorangestellte Widmung an die »unbekannten Helden, in Dunkelheit Opfernden, Vergessenen«. Was man in seiner dramaturgischen Anlage als Oratorium für Sprecher, Orchester – ersetzt durch Tonband – und Chor erkennen kann, geriet in der Produktionsrealität zur rabiat-pathetischen homestudioproduction als Zeitdokument, dem Gott Technik ein Denkmal setzend, das in seiner Gleichzeitigkeit von unbedingtem Furor und durchlittener Erbärmlichkeit seinesgleichen sucht.