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Marie Celeste

»And Then Perhaps«

Guerssen Records

Das spanische Label Guerssen gräbt tief und birgt regelmäßig verloren geglaubte Schätze aus staubigen Archiven, muffigen Dachböden und feuchten Kellern. Manche der restaurierten Artefakte erscheinen mit Blick auf ihre historische Authentizität zwielichtig, denn ob es jemals wirklich Krautrock-Formationen namens Galactic Explorers oder Cozmic Corridors gab, daran scheiden sich die plattensammelnden Geister. Die wiederkehrende Debatte um die Herkunft und Originalität bestimmter Aufnahmen im Katalog des Labels kann allerdings als zusätzlicher Spaß an der Sache mitbetrachtet werden, denn die Jagd nach obskuren Aufnahmen und raren Tonträgern kann die eine oder andere Narretei durchaus vertragen und als Sammler*in sollte man auch über sich und sein kostspieliges Hobby lachen können, weil wenn man sonst keine Sorgen hat – Glück gehabt! An der Authentizität von Marie Celeste und ihrem einzigen Album »And Then Perhaps« besteht allerdings kein Zweifel. Das kurzlebige Ensemble existierte auf dem Höhepunkt des Folk-Rock-Booms und veröffentlichte 1971 im Eigenverlag sein einziges Album, bevor es sich kurz darauf sang- und klanglos auflöste. Musikalisch entspricht das Repertoire von Marie Celeste dem Zeitgeist. Einflüsse von der amerikanischen Westküste, aus dem New Yorker Greenwich Village und der Londoner Folk-Szene klingen in den stilgerechten Eigenkompositionen an und die Cover-Versionen sind entsprechend ausgewählt: Joni Mitchells »Night In The City«, »I Am A Rock« von Simon & Garfunkel und das Traditional »Sally Free and Easy« interpretiert das Quintett – und »Ruby Tuesday« von den Rolling Stones kehrt als Folk-Ballade wieder. Insgesamt verströmt das sparsam produzierte Album einen rotwangig-rustikalen Charme, der zwischen Schulaula, Lagerfeuer und Kirchenchor changiert. Als heiliger Gral des privat gepressten britischen Folk-Underground kommt das Album aufgrund seines historischen Schicksals in den rückwärtsgewandten Blick – es kann aber in musikalischer Hinsicht mit der Souveränität und Virtuosität von Formationen wie Fairport Convention oder Pentangle nicht mithalten. Muss es auch nicht – und wie sollte es, Zeit zu reifen hatten Marie Celeste ja nicht, ihre Zeit wahr vorbei, bevor sie überhaupt begann. Dies sei angemerkt, nicht um den vermeintlich gescheiterten Marie Celeste ihre rechtmäßige Existenz als Fußnote in der Geschichte des britischen Folk-Rock zu bescheinigen, sondern die Frage zu beantworten, ob man »And Then Perhaps« unbedingt braucht? Ja und nein. Wer die Klassiker wie »Liege and Lief«, »Cruel Sister«, »Hark! The Village Wait« oder »The Power of the True Love Knot«, zuhause stehen hat, kann sich überlegen, ob diese repräsentative Auswahl genügt oder ob nicht doch auch die Mauerblümchen Beachtung und Aufnahme in die Sammlung finden sollten. Schön ist »And Then Perhaps« allemal. 

Home / Rezensionen

Text
Holger Adam

Veröffentlichung
15.10.2025

Schlagwörter

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