Vier Ronnys aus Sachsen und ein Theremin, das sind die Grundbausteine für Pisse. Seit über einem Jahrzehnt stehen die Musiker, die ihre echten Namen nicht preisgeben, gemeinsam auf der Bühne und entwickelten sich mit der Zeit zu einer der wichtigsten deutschsprachigen Bands ihres Genres. Die ersten Schritte machten sie auf dem Label Mamma Leone und veröffentlichten dort neben einer Kollabo-EP ihr eigenes Tape »Praktikum in der Karibik« im Jahr 2014. Dieses war Vorreiter eines unverkennbar rotzigen Sounds, getragen von kehligem Gesang und rapiden Rhythmen. 2015 erschien dann ihr Debütalbum »Mit Schinken durch die Menopause« auf Phantom Records und besiegelte den Schleudertrauma-Effekt, den die Band seither mit ihrer Musik hervorruft.
Pumafrauen und Szeneprinzen
Obwohl das energiegeladene Tempo des ersten Albums kaum zu überbieten ist und die Idee einer Punkband im klassischen Sinne vermuten ließe, zeigen die Künstler seit frühesten Anfängen, wie breit gefächert ihr Musikverständnis ist. Es beginnt mit dem Titel »Pumafrau«, gesungen von der israelischen Musikerin Miss Red, der mit seinen dubbigen Beats alles andere als ein Post-Punk-Album andeutet. Erst die darauffolgenden Tracks tragen die Handschrift der vorlauten Ronnys und heißen zum Beispiel »Scheiß DDR« oder »Biertitten«. Wo Polemik erwartet wird, verbirgt sich humoristische Gesellschaftskritik. Intros und Skits werden bestückt mit Filmzitaten, darunter Harun Farockis »Nicht löschbares Feuer« aus dem Jahr 1969. Auf »Szeneprinz« erklingt die unverwechselbare Stimme der genialen Françoise Cactus, die bis zu ihrem Ableben 2021 Teil des legendären Duos Stereo Total war. »Mit Schinken durch die Menopause« läutet den Werdegang einer Band ein, die wichtige Messages in raffinierte Wortspiele einflicht und mit schwindelerregenden Melodien untermalt.
Bezeichnend für den Pisse-Sound ist vor allem das Theremin. Das 1920 erfundene Instrument, das Töne ohne direkte Berührung erzeugt, sorgt unverzüglich für außerirdische Klänge und verleiht den Musikstücken etwas Schauderhaftes. Der stetige Einsatz des Synthesizer-Vorreiters begünstigt sowohl den Wiedererkennungswert als auch die musikalische Komplexität von Pisse. Ihre Stücke klingen verspielt, bieten Kontraste aus melodischen Komponenten und forschen Drums und werden dominiert vom schrillen Krächzen des Leadsängers Ronny. Mit Leib und Seele schreit er Zeilen wie »Füttern wir die Enten« (aus »Alt sein«) oder »Massier ich dir die Hühneraugen, wirst du mir die Lügen glauben« (aus »Heiratsschwindler«) in eine Welt hinaus, deren Missstände auf zynische Weise aufgedeckt werden. Es gibt sie also, die groben Bausteine eines bandtypischen Kanons – darauf festlegen lassen sich Pisse jedoch keinesfalls.
Zweifel für den Widerspruch
Auf ihrer neuesten Veröffentlichung »Dubai« wartet man vergeblich auf Ronnys charmantes Krächzen. Es ist ein Album, das die Stimmbänder schont und sich sowohl gesanglich als auch textlich in düsterere Tiefen begibt. Entstanden sind die Aufnahmen in der Zeit, in der die Band eigentlich durch die USA touren wollte. Wegen Visaproblemen wurde die Tour allerdings abgesagt. Die Songs weisen einen starken 1980er-Jahre-Einfluss auf, wechseln von industriellen Klangkörpern zu schwungvollen Krautrock-Riffs und besingen den ganz normalen Wahnsinn der modernen Gesellschaft. Pisse zeichnen ein unliebsames Männerbild, nehmen sich dabei auf »Möbelhaus« souverän selbst auf die Schippe und stellen sich gegen Konsumgesellschaft und Ausgrenzung. Ein Highlight auf dem Album ist die Liedfolge von »Tempel I« und »Tempel II«. Ersteres besteht aus einem Orgelsolo, aufgenommen in der Taborkirche in Berlin-Kreuzberg. Es bildet den behutsamen Aufbau seines dystopischen Nachfolgers, der sich vielschichtig und rapide zum Höhepunkt ausbreitet. Mit »Dubai« veröffentlichten die Künstler ein Album, das weniger schelmisch als seine Vorgänger klingt und sich eher einreiht in die Finsternis, die schon ihrer EP »Album Name« aus dem Jahr 2018 innewohnte.
Am 25. Jänner 2025 kann jede*r in der Arena mit Pisse ihren*seinen Unmut über das derzeitige politische Klima für ein paar Stunden hinaustanzen und krächzen wie Ronny. Zu erwarten ist ein abwechslungsreiches, energetisches Konzert von einer Band, die ihre Musik lebt. Ihr Einfallsreichtum spiegelt sich wider in präzisen Wortgefechten und dem hemmungslosen Austoben an ihren Instrumenten. Pisse positionieren sich, wie wir es heute alle tun sollten, setzten sich zum Beispiel 2021 als Grupo Pisse y las hermanas Martinez mit der EP »Los alemanes no pueden bailar« für die Zivilbevölkerung in Kolumbien ein und sprechen seit Anbeginn aus, was niemals verstummen darf. Begleitet werden Pisse live von Hase und Die fremden Hände. Wer danach noch nicht genug hat, sollte anschließend einen Ausflug zum Gürtel machen. Dort findet im Venster99 und Einbaumöbel das Take a Stand Hardcore-Festival statt.
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