pcn © Christian Nothaft
pcn © Christian Nothaft

Leuchtturm in der Münchner Subkulturnische

Christian Nothaft verdingt sich als Sozialarbeiter und sorgt nebenbei für einen ansehnlichen musikalischen Output. Der Münchner veröffentlicht als Demonum, p.c.n Ambiloco und pcn (»Collector« 2023) einen experimentellen DIY-Sound, der Popmusik nicht verleugnet, sondern vortrefflich umschifft.

Schön langsam wurde es mir peinlich. Christian Nothaft schickt skug jeden seiner neuen Tonträger. Um endlich den Ungehört-Stapel einigermaßen abzubauen, hat sich insbesondere seine aktuelle Rückschau-Compilation »Collector« in mein Herz gebohrt. Dazu gibt es parallel einen Rezensionsartikel auf skug.at, in dem persönliche Höreindrücke den Notizen von pcn gegenübergestellt werden. Ein wunderbarer Anlass, von Christian Nothaft im E-Mail-Interview über seine Randexistenz im Orchideenfach Undergroundmusik in München mehr zu erfahren. So segnen zwar auch Orte, die in Wien als Nischen für die Subkultur fungieren, das Zeitliche, die Situation in München ist aber schlimmer. Doch der »Rollischubser-Brigadist« (Auflösung des Rätsels gegen Ende) lässt sich davon keineswegs beirren, sondern stellt fest, dass die Subkultur in Bayern – welche früher am Land u. a. in Pfarrheimen werken durfte, Anmerkung aus der Ennstaler Jugend des Autors dieser Zeilen – städtischen Kinder-, Jugend- und Familienprogrammen einiges verdankt.

skug: Meine musikalische Sozialisation in der oberösterreichischen Provinz fand hauptsächlich via Radio statt. Einerseits durch die Ö3 »Musicbox«, andererseits durch den »Zündfunk« auf Bayern 2. Längst kann B2 im Ennstal nicht mehr gehört werden, weil es durch Privatradiofrequenzen überlagert wird. Wie lief das bei dir?

Christian Nothaft: Ähnlich – Meine musikalische Prägung fand Ende der 1970er/Anfang der 1980er statt, als in ein Zuhause, in dem Musik keine Rolle spielte, Rundfunk und Fernsehen die bunte Welt der Rock- und Popmusik brachten. Da schien alles möglich und ich nahm alles auf (auch buchstäblich, auf Kassette), von Abba bis Zappa, von Sweet bis Sex Pistols, von The Damned bis Donna Summer etc. Nebenbei fühlte ich mich auch verpflichtet, quasi als Grundlagenforschung, mir die Wurzeln des Rock’n‘Roll zu Gemüte zu führen, vermittelt durch die Radiosendung »Aus meiner Rocktasche« auf B3, begann aber auch, per Second-Hand-Schallplatten, mich für klassische Musik zu interessieren. Auf diese »Grundausbildung« folgten die höheren Weihen von Independent und Alternative Music, vermittelt auch bei mir durch den »Zündfunk«. Daher kommt wohl mein Faible für kräftigen Geschmack, Abwechslung und Vielfalt. Ein Werdegang, der vielleicht nicht unüblich ist für jemand meiner Generation, abgesehen davon, dass mein musikalischer Interessenkosmos sehr weit geworden ist.

Inwiefern hat das alles mit deiner Soundproduktion zu tun? 

Vielleicht bin ich durch den oben erwähnten vielfältigen Konsum verdorben – zu schnell gelangweilt? Ich probiere gern Neues aus, statt mich festzulegen und mich in eine bestimmte Materie zu vertiefen. Dazu müsste man sich ja auch erstmal entscheiden können … Im Prinzip sehe ich mich auch in geistiger Nachfolge früher Independent Music, wobei Originalität das Wichtigste war, selbst wenn das hieß, sich seine eigenen Produktionsstrukturen zu schaffen. Gern steht auch ein einzelnes Stück für sich selbst und funktioniert nach seinen eigenen Regeln. Das ist auch ein Dilemma: Wenn kein stilistischer Wiedererkennungswert da ist, zumindest kein offensichtlicher, wird die Rezeption schwierig. Da gibt’s dann auch keine Subkultur(-Splittergruppe), in der man heimisch würde und die mehr oder weniger Öffentlichkeit generiert.

Insofern musste es auch eine Doppel-LP werden, ob der Fülle des Materials.

Obwohl das Album durchaus vom Stil und der Machart her Grenzen hat, gehts recht bunt zu. Ich habe einfach drauflosexperimentiert, und was sich draus ergab, füllt dieses Album (und meine Hälfte des Pöschl-Split-Albums, by the way). Ausschuss gibt’s bei mir eigentlich nicht – aus den meisten Ideen lässt sich etwas machen, wenn man sich keine Grenzen setzt.

Irgendwie klingt dein aktuelles Werk wie Post-Homerecording, nur keineswegs lo-fi. Was sind deine Instrumentarien anno 2023?

Analog ist mein Hauptinstrument die Gitarre, die auch bei pcn immer wieder auftaucht. generell werden bei pcn aber Samples auf dem heimischen PC zusammengepuzzelt. Meistens nicht »Dosenware«, sondern selbst fabrizierte und gesammelte. Aber auch das/der eine oder andere Synth-Plugin oder Fertig-Drumsound. Nix ist zu schade, ist meine Devise. Vorarbeiten werden im Cool Edit Pro erledigt, Hauptwerkzeug ist mein Lieblings-Sequencer Cubase SX 1.

Deine Tonträger erscheinen im Eigenverlag, in welcher Auflage? 

Die Auflagen bei der Demonum-EP und bei dem p.c.n Ambiloco-Album lagen bei je 500 Stück, die Pöschl-Split, die »Arowana Sessions« und das »Collector«-Album bei jeweils ca. 300. Die Pöschl-Split ist die einzige, bei der eine Zusammenarbeit mit einem Label zustande kam. Immerhin hab’ ich mittlerweile einen Vertrieb für meine Eigenveröffentlichungen gefunden: Timezone betreut auch Künstler ohne Label. 

 Welche Medien nehmen eine derart experimentelle Produktion wie »Collector« noch insofern wahr, dass eine Rezension publiziert wird? 

Gute Frage. Ich schicke die Sachen schon gut rum, soweit ich ’ne Adresse hab’ und es stilistisch zumindest ein bisschen passt; das sind so an die hundert Adressen. Für »Collector« gibt’s bis jetzt Rezensionen in »Faze« und »Trust« sowie Quasi-Anzeige und Playlist-Platz bei »technoscene.de« bzw. »Schwarzes Bayern«. Die Resonanz ist, was die »Arowana«-, Demonum- und p.c.n Ambiloco-Platten anbelangt, auch recht mager gewesen, manchmal auch nicht nachprüfbar. Wie z. B. »The Wire«, die jedenfalls nie geantwortet haben. Ob trotzdem was in einem Heft rezensiert wurde, ist schwer nachzuprüfen, wenn man, wie ich, kein Abo hat. In München ist die Zeitschrift schwer zu kriegen, ich hab’ zumindest schon lang kein Exemplar mehr gesehen. Was Radiostationen angeht, ist es meist ähnlich. Immerhin konnte ich feststellen, dass immer wieder was bei »WFMU« in den USA lief und ein bisschen bei »Borderline – Musik für Grenzgänger – Freies Radio Kassel«. Ein »Collective Zine« aus dem UK hat eine verständige Kritik geschrieben, von »Cashmere Radio« in Berlin kamen ein paar Zeilen positiver Resonanz, im »Legacy«, im »Trust« und im »Ox« waren Rezensionen für Demonum; das »Side-line« (Dark-Wave-Gothic-Online-Mag) und ein gewisses »Fatal Underground«-Metal-Fanzine haben bis jetzt zuverlässig rezensiert, wenn auch erstere nicht sehr beeindruckt und zweitere (ich hatte den Kontakt noch von meiner ersten [Metal-]Platte) verständlicherweise überfordert. Highlight war eine wohlwollende Rezension in der »SZ« für die Split mit Albert Pöschl, da hat sicher dessen Renommee geholfen. Also scheint es weniger ein prinzipielles Interesse zu sein als der Faktor »Connections«, die ich bei den meisten vorher hatte.

Für den Bayern 2 »Zündfunk« bist du zu sehr Avantgarde?

Generell ist das Interesse an meiner Musik in München, von ein paar Bekannten und Freunden, ähnlich gesinnten Noise-Underground-»Mitinsassen«, gering. Da scheint auch der »Zündfunk« keine Ausnahme zu machen, jedenfalls keine Reaktion, von der ich wüsste. Ich höre die Sendung ohnehin nur noch sehr selten und mir scheint, dass sich die Präferenzen doch deutlich in Richtung Indie-Pop verschoben haben – not my cup of tea. Aber einer der erwähnten »Mitinsassen« (Martin Krejci, im experimentellen Noise unterwegs) hat ein Radiofeature mit mir in seiner Sendung »Non Minus Ultra« auf Radio Lora in München gemacht.

Wie fristest du deine Existenz? Theatermusiker, oder?

Ich bin in der »Rollischubser-Brigade« (»Rollischubser« stammt angeblich von einer Betroffenen, die selbst im Rollstuhl sitzt, und bezeichnet die Leute, die für Behinderte arbeiten und diese eben auch durch die Gegend schieben) unterwegs, mittlerweile 18 Jahre. Ich hab’ da einen Teilzeitjob, der finanziell das Nötigste abdeckt und mir Zeit für die Musik lässt. Für Darüberhinaus und so Sachen wie Platten-pressen-Lassen zehre ich von einer kleinen Erbschaft. Manchmal aber, wie kürzlich, ergibt sich ein kleiner Auftrag für ein Theaterstück oder ähnliches.

Gibt es auch Live-Präsentationen von »Collector«? Wo überall trittst du live auf, was hat sich geändert, seit du angefangen hast, in Venues zu spielen? 

Momentan habe ich keinen Auftritt geplant, aber vielleicht ergibt sich ja heuer noch was. Ich trete selten live auf und fast nur in München, kann also wenig zu dem Thema sagen. Bei mir sind’s gern mal Ausstellungsvernissagen. Feierwerk und Kafe Kult habe ich bespielt, bei einem Freund in der Wohnung, in Kneipen, die’s nicht mehr gibt; im Irrland, einem kleinen feinen Hort der Undergroundkultur, zeitweise in hiatus, nun wieder aktiv; im Kösk, das gerade dicht gemacht wurde, wohl aber eine neue Heimat bekommt – der Altbau muss einem Wohnungsneubau weichen. Generell, denke ich, wird in München gerne gebaut. So werden Orte, die als Nischen für die Subkultur taugen, zerstört und durch was Neues ersetzt, am liebsten natürlich durch Bürobauten. Deshalb, scheint mir, ist die Subkultur oft an städtische Kinder-, Jugend- und Familienprogrammen angehängt (Feierwerk, Kösk …), damit sie überhaupt überleben kann – ist das nur in München so oder woanders auch?

Welche Sounds hörst du eigentlich aktuell sehr gern?

Zurzeit höre ich eigentlich nicht wirklich Musik, wenn man von dem regelmäßigen Konsum von mehr oder weniger anonymen Ambient-Tracks aus einer Linkliste zur Entspannung absieht – akuter Zustand der Übersättigung. Im Prinzip höre ich immer noch sehr kreuz und quer. Ist gar nicht so lange her, dass ich Terry Riley für mich entdeckt habe, obwohl ich schon in den Achtzigern Minimal Music via Michael Nyman kennen und schätzen gelernt hab’. Noiserock und Metal mit experimentellem Ansatz taugen mir gut, z. B. Black Midi (obwohl mir die mittlerweile zu jazzig werden), 75 Dollar Bill, die letzte Disharmonic-Orchestra-Scheibe habe ich letztens für mich entdeckt; Doomsday Student, die Flying Luttenbachers und Daughters. Im elektronischen Bereich taugen mir PS Stamps Back, Anna Meredith und Ramleh sehr. Ansonsten hab’ ich vor, mir mal Anton Bruckner zu Gemüte zu führen 

Zurück zu deiner Musik. pcns von Electrofunk über E-Metal und Minimal Music zu Ambient und zurück pendelndes Album »Arowana Sessions« (Bodensatz 2022) basiert zumeist auf selbstgebastelten Samples? Was ist die Ausgangsbasis dieser Klänge? 

Das wurde konstruiert auf einem Uralt-PC, die Midi-Noten steuerten eine Billo-Soundkarte an, die aber so originell klang, dass ich die Sounds über den langen Entstehungsprozess hinweg bewusst weiternutzte und die Soundkarte als Namensgeber für das Album herhalten ließ. »NToR/tm und »n/n (tekn[on_off]}« enthalten hauptsächlich diese Sounds. Die Drone-Ambient-Stücke »almost.all« und »df1 (total system shutdown)« sowie die »klassischen« »df4/b« und »df5/b« enthalten eine Mischung aus den Soundkartensounds und »anständigen« handelsüblichen Instrumentensamples. Bei »DF 2.1« und »DF3/a« hab’ ich alles durch gängige Soundsamples ersetzt.

Gibt es das Label Bodensatz noch? Ein Label für Electronic-Experimentatoren? 

Anfangs hat ein erweiterter Freundeskreis in München um mehrere verbandelte Bands, die in etwa einen im Alternative/Punkrock verwurzelten eigenen Sumpf bildeten, beschlossen, ein Label aufzuziehen. Allerdings konnte oder wollte keiner richtige Labelarbeit machen. Nur einen gab es, der die Rolle als Labelchef übernahm, aber eben nur als ironisch gemeinte Rolle. Er verstand sich hauptsächlich als Focus, um den sich das Volk sammelte. Bloß sich nicht zu ernst nehmen, war die Devise, deswegen war der Underground schon zu hoch und der Name Bodensatz als passend erachtet. Jeder war willkommen, der etwas machen wollte, nicht nur Musik. »Spaßaktionen« war damals das Stichwort. Der Bodensatz sollte nur als Rahmen dienen, in dem sich der eine oder andere einbrachte oder auch nicht. Aber egal, man machte tatsächlich einige Platten oder Plättchen, die es aber nirgendwo anders zu kaufen gab als auf der Website (und zeitweise in ein paar Münchner Plattenläden). Und wie’s so geht, der Ehrgeiz der meisten Musiker ging bald übers Hobbymusizieren nicht mehr hinaus, später reichte es nicht mal dafür und die Sache versandete. Geblieben ist bis heute der Freundeskreis, die Website, die noch online ist, aber nicht mehr gepflegt wird, und die Tradition, jeden Winter ein Festival zu veranstalten, anfangs gedacht, um die eigene Musik zu präsentieren, wo man mittlerweile wieder zusammenkommen und der Nostalgie frönt, während hauptsächlich Punk- und Underground-Nachwuchs auftritt. Ich war der, der als einziger die Sache ernst genommen hat und gern gesehen hätte, dass daraus ein richtiges Label geworden wäre. Ich habe dort einiges von den Alben produziert und meine Musik »veröffentlicht«. Ohne mein Zutun wären es sicher nicht so viele Tonträger geworden … Der Stil? Elektronisch war außer der »Arowana«-CD nur der »Heinz K. aus H.«-Sampler, für den wir immerhin deinen alten Kollegen Didi Neidhart interessieren konnten … am bekanntesten sind wohl Autozynik, die Kraut-Prog-Punk machen, ansonsten reichte das Spektrum von Punk über Trash-Musikkabarett bis zu Indiepop und Alternative-Indierock.

P.S.: Es gibt eine trashige Noiserock-Band namens Suddenly the Goat, die wohl demnächst ein Album veröffentlicht und tatsächlich darauf Wert legt, das Label-Logo drauf zu haben.

Link: http://www.christiannothaft.de/ 

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen