Amerlinghaus © Yusuke Kawasaki, Wikimedia Commons, CC BY 2.0
Amerlinghaus © Yusuke Kawasaki, Wikimedia Commons, CC BY 2.0

Kulturstadt Wien retten!

Die geplanten Kürzungen der Stadt Wien sind für zahlreiche Kultur- und Bildungseinrichtungen existenzbedrohend. Die Stadtregierung schenkt damit her, was in Jahrzehnten aufgebaut wurde.

Hochverehrte Volksvertreter*innen, bitte kurz die Stammbücher aufschlagen, skug schreibt da jetzt was rein. Erster Satz: Gesellschaften sind niemals stabil. Diese Illusion wird gerne von Politiker*innen verkauft, weil sie wissen, dass Wähler*innen Ruhe lieben. Aber Gesellschaften verändern sich pausenlos. Deshalb werden sie freier, pluraler, demokratischer – oder genau das Gegenteil. Deshalb zweiter Satz: Die Frage an die Politik ist, ob sie die unausweichlichen Änderungen mitgestaltet oder über sich ergehen lässt. Selbstverständlich fliegen jetzt alle Arme begeistert nach oben und die gewählten Vertreter*innen rufen: »Wir wollen gestalten!« Gut, aber wie sieht dies in der Realität aus?

Mit Austerität ist kein freier Staat zu machen

Hierzu richten wir den Blick auf den aktuellen Krisenfall Wien. Die Stadt ist, wie offenkundig alle westlichen Demokratien, einem eisernen Spardiktat unterworfen. Das bedeutet im Kern: Bei Besitzverhältnissen darf es keine demokratische Mitbestimmung geben. Die Folge ist, wer wenig hat, muss immer mehr arbeiten, mehr Miete zahlen, höhere Gebühren entrichten etc. Wer viel hat, darf genüsslich nach Möglichkeiten der Kapitalvermehrung trachten (um noch reicher zu werden) und verbietet sich mit Hinweis auf die klischierten und nachweislich falschen Stehsätze (Sicherung des Standorts, Kapitalflucht, Leistung muss sich lohnen) die notwendige Umverteilung durch Besteuerung. Wenn einnahmenseitig somit nichts passieren darf (weil dies von Vermögenden erfolgreich verhindert wird), dann kann nur ausgabenseitig gespart werden und man befindet sich im Schlamassel der Stadt Wien. 

Und das ist ein wahres Schlamassel, denn die meisten Volksvertreter*innen und Magistratsmitarbeiter*innen im Rathaus wissen genau, dass die aktuelle Politik falsch ist. Sie wissen seit Langem, dass eine Austeritätspolitik nichts anderes ist als die Umverteilung von unten nach oben, aber sie glauben zugleich auch, dass sie keine gesellschaftlichen Mehrheiten bei Wahlen gewinnen können, um das zu ändern. Sei es im Bund oder in der Stadt, wo – bis auf eine kleine, süße Ausnahme – die gleichen Parteien regieren. Wenn Austerität akzeptiert wird, muss eine soziale und kulturell vielfältige Stadt einen langsamen Tod auf Raten sterben. Und der wird jetzt nochmal beschleunigt. 

Die Lage verdunkelt sich rapid. Immer tiefer sickert der Frust in immer weitere Teile der Bevölkerung. Die Menschen werden dadurch offen für autoritäre Deutungsmuster und wünschen sich den Systemwechsel. In ganz Europa ähnelt sich das Bild: Die Bürger*innen ächzen unter der himmelschreienden Ungerechtigkeit ungleicher Verteilung und sind wütend, weil die Institutionen, die sie schützen, kaputtgespart werden. Mithin genau das, was gerade in Wien passiert. Die strukturelle Ungerechtigkeit wird nicht angegangen und das, was die Menschen brauchen und schätzen, wird weggespart. Wer als Politiker*in also noch gestalten will, sollte dies lieber schnell tun. 

Wien war anders 

Österreichs größte Stadt hat sich als Gegenmodell zum immer schon ein wenig autoritäreren und obrigkeitsgläubigeren Flächenösterreich positioniert. Wien macht auf große, weite Welt und will sich lieber mit New York vergleichen als mit Neulengbach. Dazu gehören eine weltbürgerliche Gesinnung, Buntheit und eine innovative und freche Szene, mit der man sich dann auch gerne brüstet. Das Spektrum reicht von den gefeierten Burgschauspieler*innen, die auf Demos so schön die pathetischen Texte vorlesen (denen man fleißig zustimmt), und endet bei den nicht-kommerziellen Räumen, in denen sich die kleinen Initiativen mit ihren unzähligen Projekten treffen und zeigen, dass es in der Stadt nicht nur um Gewinnmaximierung geht. Denn wir wollen ja einen lebendigen Diskurs über ein besseres gesellschaftliches Miteinander führen. Weil Demokratie, you know. 

Nur leider, leider – mit all dem verdient man kein Geld. Schlimmer noch, es kostet einen Riesenbatzen. Die billigste Eintrittskarte für die Oper würde 1.000 Euro kosten, wenn es keine Subventionen gäbe, und dann wäre der Laden nach einer Woche dicht. Was im Großen gilt, gilt fürs Kleine ebenso. Wer eine Hoch- und eine Subkulturszene will, muss dafür zahlen. Es liegt in deren Natur, dass sie nicht gewinnbringend sind. Der ganze neoliberale Quatsch von »Innovation« und »Neuaufstellung« ist Themenverfehlung, denn es ist das Businessmodell dieser Institutionen, eben nicht »gewinnbringend« im monetären Sinn zu sein. 

Jetzt müssen mehr als sieben Millionen Euro allein bei der Kultur eingespart werden. Die großen Häuser müssen das meiste schultern. Das ist insofern klug, weil die mit weniger Produktionen überleben können. Abgesehen davon, dass sicherlich Mitarbeit*innen gekündigt werden und dank steigender Mieten und immer schlechterer Verdienstmöglichkeiten im gesamten Medienbetrieb einer unsicheren Zukunft entgegengehen. Ungleich schlimmer als beim Kulturressort sieht es bei der Bildung aus, denn hier wird massakriert. Wenn die zuständige Magistratsabteilung 13 dem Amerlinghaus zwei Drittel der Förderung kürzt und dem Community-Radio Orange 94.0 gleich die gesamte Förderung streicht, wird der Rotstift zum Mordwerkzeug. Diese Institutionen werden verschwinden, ihre kulturelle Arbeit, ihre Bildungsinitiativen und ihre integrative Kraft für unsere Gesellschaft werden erlöschen.

Wo wird dies enden?

Diese Art Spardiktat ist der Expresszug in den Faschismus. Eine Aussage übrigens, die vor ein paar Jahren noch als völlig übersteigert abgetan worden wäre. Heute reicht es zu entgegnen: »Beweisstück A: Donald Trump«, und selbst konservative, neoliberale Abwiegler*innen müssten (bei entsprechender Aufrichtigkeit) kleinlaut zustimmen. Trump sprengt in den USA reihenweise Rechts- und sozialstaatliche Institutionen mit dem Argument, sie seien zu teuer. Je dysfunktionaler der Staat wird, desto mehr kann er behaupten, »durchgreifen« zu müssen. Ob Trump aufgrund seines Alters und immer offenkundigerer Verblödung durch die US-Zwischenwahlen im nächsten Jahr noch gestoppt werden kann, wird sich zeigen. Die Blaupause für eine autoritäre Machtergreifung im 21. Jahrhundert hat er längst geliefert und die Nachahmer*innen stehen in den Startlöchern. Auch in Wien. 

Noch ließe sich das aufhalten, was heutige Umfragen bereits versprechen, denn auch in Österreich ist eine rechtsautoritäre und in Teilen faschistische Partei die mit Abstand beliebteste im Land. In Wien sieht es derweil in den Umfragen noch etwas rosiger aus. Aber warum? Weil die Stadt sich bislang als Alternative positionieren konnte. Findige Stadtpolitik war in der Lage, Gelder für Kunst-, Kultur- und Bildungseinrichtungen umzuverteilen. Durch die wurde die Stadt widerständig gegenüber autoritärer Verblödung, Menschenhass und Spaltung.

Dafür haben sich viele Wiener*innen jahrzehntelang eingesetzt und taten dies für ’n Appel und ’n Ei, wenn es nicht gänzlich Freiwilligenarbeit war. Sie haben die Stadt zu dem gemacht, was sie heute ist, und genau denen fällt man jetzt in den Rücken. Gerade jetzt, wo Demokratie und Rechtsstaatlichkeit überall in der »westlichen Welt« zunehmend auf der Kippe stehen. Politik und im geringeren Maße die Verwaltung der Stadt Wien sind deshalb jetzt als Staatsbürger*innen gefragt, Wege zu finden, mit denen es gelingt, eine freie und liberale Zukunft zu erhalten. Wir schließen das Stammbuch und hoffen das Beste.

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