Horrorfilme sind romantisch. Deswegen ist ihr Ende auch immer enttäuschend. Die Romantik reagierte auf eine sich industrialisierende Welt mit einer Flucht ins Ungewisse. Mehr oder weniger muss diese Welt – zumindest geistig – einmal verlassen werden, um einen Bogen im Außerweltlichen zu schlagen. Der Ausflug ist hierbei das Entscheidende, denn während ihm wird das öde Szenarium des weitgehend beschriebenen und kontrollierbaren Diesseits verlassen und ein Jenseits durchforstet, in dem die Einbildungskraft überquellen darf. Was von romantischen Theoretikern schlüssig dargelegt wurde, stimmt übrigens: Unsere Erfahrung der Alltagswelt steht in einem festen Zusammenhang zu den wilden Imaginationen unserer geistigen Trips, weil wir nur dank ihrer das graue Einerlei unseres Lebens überhaupt erkennen können. Menschen sind so, sie haben eine produktive Einbildungskraft und sie erfinden, um zu erkennen. Deswegen ist jede Kaffeetasse auf dem Schreibtisch und jeder Bürostuhl ein wenig überweltlich. Allerdings wird die in der Realität befindliche Start- und Landebahn durch die phantastische Flugreise nicht gewandelt – zumindest nicht solange man noch alle Tassen im Schrank hat.
Damit kann das enorme und unlösbare strukturelle Problem jedes Horrorfilms erklärt werden. Zu Beginn können die Horrorstreifen genüsslich Alltag zeigen, da dieser bereits durch eine dunkle Bedrohung aufgeladen ist. Dann kommt der Hereinbruch des Phantastischen und bis hierin sind die meisten Filme gut. Nur leider muss das Außerweltliche sich im Laufe der Handlung konkretisieren und allmählich in den bekannten Weltbestand zurückkehren. Das ist fast immer eine Enttäuschung. »Aha«, denkt sich das eben noch schockierte Bewusstsein beim Anhalten des DVD-Players, »da steht also so ein Typ mit ’ner Maske hinter Duschvorhang – naja. Cool.« Kein Wunder also, dass seit der Romantik das Fragment und die Ruine so geschätzt werden, denn sie erlauben, in ihrer teils geplanten Unvollständigkeit, die dauernde imaginäre Ergänzung. David Lynch weiß dies natürlich und da er keine Lust auf die öde Auflösung und Rückkehr in die bekannten Verhältnisse hat, bastelt er seit Jahren an einem Script, das ihm Ausflug ohne Wiederkehr ermöglichen soll. Alle seine Filme sind auf die eine oder andere Weise Fragmente und nur bedingt kohärent versteh- und interpretierbar, was ihre Größe ausmacht und zugleich natürlich auch ihr unbehebbarer Schaden ist. Im Grunde macht er seit Jahrzehnten ein und denselben Film und ärgert sich vermutlich jedes Mal, wenn er seine Arbeit beenden muss.
Eine seltsame Beobachtung
Nach diesem Streifzug durch die Kunsttheorie soll eine kurze anekdotische Erzählung aufzeigen helfen, dass diese Ûberlegungen zur Romantik zum Verständnis von »Twin Peaks« relevant sind: Ich erwache in der Nacht. Ein Geräusch hat mich aufgeschreckt. Es war nicht unbedingt laut, aber klar vernehmbar. Es hielt einige Momente an, aber ich kann es keinem mir bekannten Vorgang zuordnen. Eindeutig ist etwas in dem dunklen Nebenzimmer geschehen, dessen Tür zu meinem Schlafzimmer weit offen steht. Teils aus Sorge, teils aus Neugierde schalte ich das Licht an und betrete den Raum. Meinem beklommenen Blick zeigt sich nichts Ungewöhnliches, das Zimmer scheint genauso, wie ich es verlassen habe. Ich lösche das Licht und schlafe weiter. Am nächsten Tag finde ich in der Mitte des Raumes eine Kerze liegend. Ihr Docht ist verkohlt und sie ist etwa zu einem Drittel heruntergebrannt. Ihr stumpfes Ende ist verrußt, offenbar wurde es erhitzt, um in einem Kerzenständer befestigt zu werden. Einen Kerzenständer finde ich nicht, ich besitze auch keinen. Ich kenne diese Kerze nicht. Ich habe sie nicht in dieses Zimmer getragen und weiß niemanden, der dies sonst getan haben könnte. An dieser Stelle gibt es nun eine interpretatorische Weggabelung.
Der eine Weg würde David Lynch wenig interessieren. Aus der Realität einer Beobachtung wird hierbei mittels phantasievoller Imagination die Verbindung zu einer plausiblen und real möglichen Erklärung gesucht. Etwa: Irgendwann habe ich in das große, unübersichtliche Bücherregal eine Kerze gestopft und sie bald darauf vergessen. Da Kerzen zylindrisch sind, ist ihre Lage immer labil. Ein kleiner Impuls und sie rollen los. Aus dem Bücherregal werden Bücher gezogen und achtlos hineingestopft, dadurch änderte sich, von mir unbemerkt, die Position der vergessenen Kerze. In der Nacht kam es zu einer kleinen Temperaturverschiebung auf die das Wachs der Kerze anders reagierte als der papierene Buchrücken, auf dem sie lag, und sie kam ins Rollen. Sie stürzte aus dem Regal, schlug auf und kullerte über den Paketboden. Dieses Potpourri an Klängen hatte ich vermutlich in der Nacht gehört und mir keinen Reim darauf machen können. Schlaftrunken hatte ich die Kerze am Boden nicht entdeckt. So irgendwie muss es gewesen sein. Langweilig, aber wahr. Der zweite Weg zu einer Erklärung wäre der von David Lynch. Er würde ungefähr 200 Kilometer Zelluloid verbrauchen. Es kämen Zwerge und Riesen vor, lasziv in übergroße Mikros gehauchte Jazzsongs, erbarmungslose Killer, zahllose wallende Samtvorhänge, dekaptierte Leichen, eine Reihe von FBI-Agenten in Anzügen sowie zum Aufputz Agentinnen in unbequemen Kostümen, Männer mit sehr schmutzigen Gesichtern, ein sprechender Fuß, eine Küchenschabe mit Froschschenkeln und letztlich ein Gnom, der eine Kerze an zwei Enden anzuzünden versucht, wobei sie ihm entgleitet und durch eine Art Sphärenfenster aus einer anderen Dimension in mein Zimmer plumpst. (Ganz richtig, bis auf die Sache mit der Kerze ist das die Zusammenfassung der neuen »Twin Peaks«-Staffel – keine Ûberraschungen also).
Das lästige Schweigen Gottes
Akira Kurosawa meinte einst, wer keine Angst im Dunkeln habe, sei einfach ein phantasieloser Mensch. Das Ûberquellen der Einbildungskraft, das auch abgestumpfte Naturen zumindest aus ihrer Kindheit kennen, ist enorm wichtig für menschliches Erleben. David Lynch weiß dies und bedient sich dessen seine gesamte Karriere über sehr pfiffig. Dafür darf man ihm dankbar sein. Ûberhaupt für seine Fähigkeit, einen höchst eigenwilligen Kosmos zu entwerfen und lebenslang zu bebildern. Allerdings wird ein »Baufehler« des Lynch’en Kosmos mit den Jahren immer deutlicher: Realitätsverlust. Dieser Preis ist hoch. Begab sich Kurosawa ins unheimliche Dunkel, dann fürchtete er sich vor der intimen Begegnung mit sich selbst. Dem Schrecken davor, was in ihm verborgen lag und durch seine Einbildungskraft jederzeit vor ihn treten konnte. Zu Recht. Er fürchtete sich aber nicht vor dem Bi-Ba-Butzemann. Den gibt es nicht. Seine Existenz zu postulieren, ist kindisch und auch wenig künstlerisch.
Diesen schlüpfrigen Pfad gleitet Lynch allerdings hinab. Seine Gestaltungen wirken mehr und mehr wie Beschwörungen. Ein spiritueller Atheist, der das Schweigen Gottes einfach nicht mehr aushält und endlich transzendenten Kontakt wünscht. Deswegen wird das Auftauchen von Spukgestalten bei Lynch stets freudig begrüßt. Endlich darf hinter den roten Vorhang getreten und die tröstliche Zauberwelt dahinter erlebt werden. Für Lynch mag es angenehm sein, auf dem Sofa im Hinterzimmer der Realität Platz zu nehmen, fürs Publikum ist es letztlich ein Schaden. Wer nicht dort drüben bleiben will und den Ausflug in die Zwischenwelt mit einer Rückkehr in die Realität zu beenden gedenkt, für den sind die ästhetischen Ergebnisse der Lynch’en Erzählungen irrelevant. So zeigt sich in der neuen »Twin Peaks«-Staffel, wie die reale Belanglosigkeit der Spukfiguren, die nicht mehr zu sein scheinen als sehr spezielle individuelle Obsessionen ihres Erfinders, allmählich die anderen Figuren übernimmt und sie aushöhlt. So ist das eben, wenn Realität entgleitet.
Infantilität und Grausamkeit
Lynch wird zurzeit über Gebühr abgefeiert. Sein 2001er-Film »Mulholland Drive« soll das erste große Meisterwerk dieses Jahrhunderts sein. Ist es natürlich nicht. Es ist ein kurzweiliger Streifzug durch eine nicht entschlüsselbare Privatmythologie. Kurosawa, Antonioni, Bergman – um einmal drei Filmschaffende zu nennen, deren Hervorbringen von Meisterwerken weitgehend außer Streit steht – bedienten sich traumhafter Elemente. Sie gestalteten Szenerien und Konstellationen, die rätselhaft bleiben. So wie jene Dinge, die der furchtsame Kurosawa in der Dunkelheit seines Zimmers gesehen haben mochte. Sie führten diese Elemente aber als Spiegelungen ihres Seelenlebens zurück in eine allgemein menschlich nachvollziehbare Dramaturgie, die existenziell berührte. Das kann Lynch nicht.
Er kann es nicht, weil in seiner Parade der Witzfiguren Menschen keinen Auftritt haben. In der neuen Staffel von »Twin Peaks« erleben wir wieder den FBI-Spezialagenten Dale Cooper, der sich höchst eigenartig verhält und offenbar in zwei Personen aufgespalten hat. Klar ist, David Lynch findet Schlaganfallpatienten wirklich unterhaltsam, folglich ist der eine Cooper Aphasiker geworden, der nur mehr über eine rudimentäre Umweltwahrnehmung verfügt, allerdings durch magische Hilfe durch die Geschichte geleitet wird. Sein manichäischer Widerpart ist eine jener Manifestationen des abgrundtief Bösen, das Lynch in der Serie auf mehrere brutale, wiewohl virile, Männerfiguren aufteilt. Dieser zweite Dale Cooper – vom ansonsten häufig blass bleibenden Kyle MacLachlan überzeugend verkörpert – tötet und bosnigelt als Lederjacken-Rocker so vor sich hin und am Ende wird irgendetwas die beiden Teile wohl zusammenführen. Nur ist dies ziemlich unerheblich, denn beide Charaktere wirken hohl wie ausgeblasene Eier.
Folglich haben sie kein erkennbares Seelenleben. Somit kann mittels dieser Protagonisten auch nichts aufgezeigt werden. Der Reiz eines erzählerischen Kunstwerkes liegt nicht unwesentlich darin, den RezipientInnen ein fremdes menschliches Wesen verständlich zu machen. Dafür müssen die Figuren einen Wandel durchlaufen, der Teile von ihnen offenbart, die sich nicht direkt und unumwunden aussprechen ließen. Solche Ergebnisse dürfen bei David Lynch als ausgeschlossen gelten. Seine Figuren durchleben keinen inneren Wandel, sie bieten keinen existenziellen Aufschluss, sie verschwinden einfach hinterm Vorhang und kommen nach einer Weile noch bekloppter dahinter hervor. Und dies gilt nicht nur für die Protagonisten, alle Figuren bei Lynch strotzen vor Infantilität und Grausamkeit. Ihr Verhalten ist erratisch und vollständig unnachvollziehbar. Sie springen auf, reden wirres Zeug und säbeln sich die Rüben runter. Ein einziges Bestiarium der Psychopathologie, wo niemand einen Rest Einfühlungsvermögen besitzt und alle drogenzerfressene Hirne zu haben scheinen. Und an dieser Stelle muss man sagen: »Chapeau, Großmeister Lynch!« Das ist natürlich irgendwie gut und leider auch eigentümlich zutreffend. Ein Stück brauchbarer Gegenwartsdiagnose liegt ja doch darin. Ob jetzt die verschwörerischen Verrücktheiten der Trump-Regierung oder der aufgeblasene Hass eines US-Talkshow-Hosts wie Alex Jones (porträtiert in der Serie durch »Dr. Lawrence Jacoby«) als Beispiele herangezogen werden, hier scheinen Lynch-Figuren mit all ihrem wortlosen Redeschwall in unserem Alltag am Werk zu sein. Und ja, sie wirken wie reale Endzeitgestalten.
Das Veto der Bombe
Lynchs Privatmythologie muss etwas zugestanden werden. Große KünstlerInnen entwickeln ihr eigenes Weltgefühl, sie können nicht kritisiert werden ohne den Versuch, dieses besondere Erleben nachzuvollziehen. Ein seltsamer Typ erlebt eine seltsame Welt. Es wäre eine kolossale Dummheit, dies im Falle Lynchs als bloße Spinnerei abzutun. Die Frage muss lauten, welche Teile unserer Realität trifft »Twin Peaks«, die weitgehend übersehen wurden und nur durch das einzigartige Einfühlungsvermögen des Künstlers Lynch sichtbar werden konnten? Am 16. Juli 1945 wird in der Wüste von New Mexiko die erste Atombombe gezündet. Für den kosmischen Bruch, den dies in der Entwicklung der Menschheit verursachte, sind kaum Bilder und Erzählungen gefunden worden. Zunächst gibt es in »Twin Peaks« kleine Andeutungen, so wird ein FBI-Büro mit dem Foto eines Atompilzes geschmückt, nicht mehr als die üblichen Lynch-Kuriosa. In dem Büro findet sich auch ein Bild von Franz Kafka. Dann aber kommt die mittlerweile bereits legendäre achte Folge der neuen Staffel. Sie stellt so etwas wie den Versuch dar, eine Innenperspektive der Bombe zu bieten.
Befreit von den lästigen dramaturgischen Anforderungen, die Lynch kaum mehr zu erfüllen imstande ist, kann er in dieser Folge alles zeigen, zu dem er fähig ist. Perfektes Sounddesign, freie, assoziative Bildcollagen und einen fulminanten Sog rätselhafter Vorgänge. Mit dem Zünden der Bombe der Dreifaltigkeit (»Trinity«) wurde das Schweigen Gottes zu einem offenkundigen Desinteresse. So sehr sind dem lieben Gott die Menschen wurscht, dass er ihnen die Möglichkeit gibt, per Knopfdruck alles Leben, alle künstlerischen und intellektuellen Hervorbringungen auszulöschen. Darin ist kein Heilsplan mehr zu erkennen. Die Erfahrung dieser Möglichkeit eines vollständig sinnlosen Endes von allem führte zu einer besonderen Form der Sprachlosigkeit. Diese zeigt sich tagtäglich. Donald Trump und Kim Jong-Un können die Menschheit ausknipsen wie ein Hoflicht. Was soll man dazu noch sagen? Verstümmelte Sprache kann den Wahnsinn kaum mehr fassen. »Kosmos kaputt.«
Folgerichtig hört der Film selbst in bezeichnender Weise auf zu sprechen. In der achten Folge der neuen Staffel beginnen die Kader zu flackern, die Erzählstränge reißen und die Musik kann nur mehr notdürftig von Krysztof Pendereckis Hiroshima-Splittern im (Nicht-)Laufen gehalten werden. Plötzlich ist das enigmatische Agieren der Figuren nachvollziehbar. Nach dem großen Lichtblitz, der alle Materie verglühen lässt, ziehen sich die verbliebenen Individuen in seltsame kosmische Bunker zurück. Sie leben fortan in Häusern auf Klippen über nachtschwarzen einsamen Meeren. Sie können einander nicht mehr mitteilen, weil es nichts mehr mitzuteilen gibt. Rätselhafte Energien durchziehen diese Alptraumwelt. Etwas stimmt nicht mit dem elektrischen Strom. Dieser hält äußerlich das Leben in Gang, seine Strom- oder Telefonleitungen durchziehen viele »Twin Peaks«-Szenerien. Kabel, die durch den Himmel gehen. Lynch scheint zu erwarten, dass die um ihre nicht stoffliche Spiritualität beraubte Seele in ein elektrisches Feld aufgehen wird. Die Serie beginnt ja auch mit einer absurden Apparatur, mittels welcher der Nachweis dieses Seelenstromfeldes gelingen soll … und damit wären wir zurück im Lynchesken Schmarrn. Dem Millionenheer an Lynch-Exegeten im Internet seien an dieser Stelle zwei Dinge gesagt: 1. Die meisten Interpretationen von »Twin Peaks« sind symbolische Traumdeutung und nicht werkimmanent und 2. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der intellektuelle Hintergrund Lynch’er Gestaltungen geistreicher ist als jener von Comicverfilmungen à la »Dr. Strange«. Lynch hält sich im Kontext des Kunstfilmes, weil er (anders als Marvel und DC) schlau genug ist, rechtzeitig ironisierend zu vernebeln.
Ermüdende Endlosschleifen
Wie eingangs bereits dargelegt: Es gibt kein gutes Ende für Horror. Und gerade Lynchs schwarze Romantik bedarf der Offenheit, sie kann nicht ausformuliert werden. Blöd, dass Lynch genau dies trotz aller planvoller Mehrdeutigkeit immer wieder zu versuchen scheint. Genreprägende Erzählungen wie »Die Affenpfote« haben ihren ganzen Effekt in ihrem offenen Ende, das eine Art Nicht-Ende ist, und überantworten die RezipientInnen dem Spiel ihrer Imaginationen. Das Fragment ist hier unabdingbare Voraussetzung, weiter erzählen wäre sinnlos und kontraproduktiv. Aber Lynch kann einfach nicht Schluss machen und überdreht. Er kann einen fantastischen dunklen Traum erzeugen, der dank seines Bezugs zur atomaren Vernichtung und den damit verbundenen – nun ja – Menschheitsfragen ungeheuren Reiz, echte Tiefe und künstlerische Schlüssigkeit hat und dann … häuft er fragwürdige, inszenatorische Einfälle aneinander. Kostprobe gefällig? Folge 12: Wieder einmal sitzt ein höchst seltsamer Typ am Telefon, er bekommt eine erschreckende Nachricht, aber verspricht der Person am Apparat, diese nicht preiszugeben. Tja – und er tut es dann auch nicht. Komm bitte, David! Für solche Cliffhanger sollten Pönalzahlungen fällig werden. Wer will, kann dies in die unendliche Liste der Ûberschmähs des Herrn Lynch aufnehmen, es kann aber auch unter D wie deppert abgeheftet werden. Irgendwann reicht das Beglotzen von Effekte nicht mehr, um zumindest Teile des Publikums über die nächste Klippe dramaturgischer Verzweiflungstaten zu schubsen. Vielleicht hat auch deswegen die neue Staffel nur mehr knapp ein Zehntel der ZuschauerInnen der früheren Folgen.
Wurde eben der Einsatz der Musik von Penderecki gelobt, dann soll auch erwähnt werden, dass die Musikauswahl an anderer Stelle weitgehend enttäuscht. Die Songs sind alle ein bisschen um High-School-Coolness bemüht und die gelungene Folge 8 wird durch einen langweiligen Nine-Inch-Nails-Auftritt kontaminiert. Wer bedenkt, auf welchem hohen Niveau heutzutage die Score-Auswahl bei US-Serien ist, muss bei »Twin Peaks« die Schultern zucken. Es gibt DJs, die bunte Indie-Abende gestalten können, ausschließlich mit Songs einzelner Serien, wie »Breaking Bad«, »Weeds« oder »Shameless«, mit »Twin Peaks« geht das sicher nicht. Lynch scheint halt seinen Kram promoten zu wollen und der ist eben nicht mehr als »okay«. Die Musikauswahl wäre zum Zeitpunkt der ersten »Twin Peaks«-Staffeln passender gewesen, die spielten ja noch im Highschool-Umfeld. Mittlerweile ist die Show im Pensionistenmilieu angesiedelt und dreht sich um das Verhältnis Enkel und Opa. Die Steinalten sind übrigens die einzige Gruppe, in der es Lynch gelingt, eine gewisse menschliche Wärme zu zeichnen.
Da die Show weitergehen muss, mäandert Lynch um des Mäanderns willen und erzeugt verwirrte Verwirrnisse. Das ist dann bald ziemlich ermüdend. Längst covert er andere, jüngere Horrorfilmer und man muss sagen, »Under the Skin« ist einfach besser. Der elfundneunzigste Kaffee wird getrunken, unzählige Donuts werden verzehrt und Laura Dern blickt mürrisch aus der Leopardenfelljacke. Brav bekommen die alten Stars aus den ersten beiden Staffeln ihre mehr oder minder sinnvollen Auftritte und man blickt allseits über aberwitzige Karten. »Das ist so schrecklich, das wollen sie gar nicht wissen«, sagt irgendwann Deputy Hawk – na komm. Was soll schon passieren, außer das wem der Kopf abgeknipst wird? Unsympathischerweise von schmutzigen Obdachlosen, die im manichäisch-dualistischen Weltbild Lynchs das Abgrundtiefböse darstellen müssen, während das Gute-an-sich sauber geputzte Mädchen in Bobby Socks verkörpern. Manchmal zuckt man als Zuschauer mit Restanteilnahme zusammen, wenn plötzlich Aliens erwähnt werden. Bitte, großer Altmeister des abstrusen Horrors, erspare uns wenigstens die kleinen grünen Männchen! Ansonsten wird das Filmstudio wohl bald ein Einsehen haben und den Kram abdrehen. Dann findet äußerlich ein Ende, was innerlich für David Lynch nicht abschließbar war.
Auf Showtime kann jeden Sonntag geschaut werden, wie es weitergeht: http://www.sho.com
Weiteres hier: http://welcometotwinpeaks.com