Matthias Osterwold (c) Brunilda Castejon
Matthias Osterwold (c) Brunilda Castejon

Klangspuren Festival 2017 Q&A

Die 24. Ausgabe des »Tiroler Festivals für Neue Musik« findet von 7. bis 24. September 2017 in Schwaz und Umgebung statt. Motto: »Noch Fragen? Any Questions?« Intendant Matthias Osterwold hat skug einige Antworten gegeben.

Die Fragen, die das Klangspuren Festival 2017 aufwirft, gehen auf ein Zitat des eingeladenen Stimmkünstlers Chris Mann zurück. Er bezeichnet sich selbst als kompositionellen Linguisten. Kernsatz zu Deutsch in etwa: »Sprache ist der Mechanismus, mit dem du besser verstehst als ich selbst, was ich denke (wobei ›ich‹ definiert ist durch die Veränderungen, für die ›ich‹ gebraucht wird).« Der künstlerische Leiter Matthias Osterwold rückt dabei Aufführungen von Frauen in den Vordergrund. Beispielsweisen von Laurie Anderson und Joan La Barbara, zwei Pionierinnen avancierter Vokal-Performance.

skug: Können Sie kurz erklären, was es mit dem diesjährigen Festivalmotto »Noch Fragen? Any Questions?« auf sich hat? Der Australier Chris Mann, der mittlerweile schon lange in New York lebt, performt seine Texte in höchst verdichteter, polymetrischer Manier. Sie sind Inhalt sowie abstrakte Reflexionen des Inhalts zugleich. »Any Questions?« ist die Ûberschrift einer seiner typischen Satzaneinanderreihungen, die in der Sprachwahl irgendwo zwischen australischem Straßenlingo und hoher Theorie angesiedelt sind.

Matthias Osterwold: Das augenzwinkernde Motto des Festivals Klangspuren 2017 ist eigentlich eine ganz übliche Alltagsformulierung – die in diesem Fall aber ein Zitat ist. Wir haben es nämlich mit Musik zu tun und in diesem Festival an verschiedensten Stellen mit Sprachklang. Man muss das so betonen: »Noch FRAGEN? – Any QUESTIONS?« Das ist eine Art und Weise zu fragen, als ob alle Fragen letztlich schon beantwortet sind. Also der Fragende möchte lieber nicht, dass zurückgefragt wird. Damit – tongue in cheek – ist gemeint, dass man das Motto quasi umdrehen muss. Dass es heute wahrscheinlich mehr offene Fragen gibt, im gesellschaftlichen und politischen Kontext, als zuvor. Dann natürlich auch mehr Fragen an die Kunst und die Musik, wie sie sich ins Verhältnis setzt zur Wirklichkeit. Zum einen verfolgen wir das, indem es eine Reihe von Projekten, Konzerten, Performances gibt, die sich mit den Mitteln der Kunst direkt oder indirekt auf die offenen Fragen beziehen lassen. Zum anderen wollen wir in diesem Festival viel Musik von und mit Frauen präsentieren. Wir wollen aber kein Frauenmusikfestival machen, sondern wir wollen die Proportionen einmal umkehren.
 
Bleiben wir kurz beim Thema Frauen in der neuen Musik …

Auf den Programmzetteln der zeitgenössischen Musik muss man die Frauen oft mit der Lupe suchen. Das gilt aus meiner Sicht besonders für die Autorinnen, also für die Komponistinnen, mehr noch als für Interpretinnen und Performerinnen. Und deshalb wollen wir das zahlenmäßige Verhältnis umdrehen, denn es gibt ja ein reichliches und schönes Angebot der von Frauen geschaffenen Musik der Gegenwart. Ich weiß nicht, was eine weibliche Musik im ästhetischen Sinn sein könnte. Diese Frage kann, glaube ich, niemand sinnvoll beantworten. Die sollte man auch gar nicht so genau untersuchen. Aber was natürlich stimmt, ist, dass der traditionelle und institutionelle Hintergrund des Betriebes – ich nenne das gerne das Betriebssystem neuer Musik – nach wie vor von Männern dominiert wird. Da ist es so, dass es keine offiziellen Schranken gibt, aber es gibt eine schludrige und unachtsame Praxis in der doch immer noch ausgeprägten Herrengesellschaft. Die Stärke von Frauen in der Musik und wohl auch in anderen Kunstgattungen scheint mir zu sein, dass sie zu sehr eigenständigen, spezifischen und persönlichen Lösungen finden. Vielleicht gerade wegen der immer noch zu beobachtenden institutionellen Trägheit. Wir haben in der Auswahl der Projekte versucht, genau diese Spuren zu verfolgen. Nicht so sehr auf Künstlerinnen zu setzen, die sich leichter in übliche Schemen einordnen lassen, sondern die durch ihre ausgeprägt individuellen und radikalen Entwürfe hervortreten und damit ihre Stärke zeigen.

Das bringt uns zu einem der Stargäste des heurigen Klangspuren Festivals, der legendären amerikanischen Performance-Künstlerin Laurie Anderson.

wla.jpgLaurie Anderson ist wahrhaft eine echte Ikone, eine Pionierin, Galionsfigur in mehrfacher Hinsicht. Performance Art, auch Music Performance Art ist aus meiner Sicht vielleicht die erste künstlerische Gattung in der Geschichte, die maßgeblich von Frauen geprägt ist. Zumindest haben die Frauen an der Entstehung dieser Kunstgattung in den 1960er-Jahren, rückgreifend auf die 1920er-Jahre – die freien Tanzperformances zum Beispiel -, einen wesentlichen, einen prägenden Anteil, der auch damit zu tun hat, dass die Beschäftigung mit dem Körper bei der Ausübung ihrer Kunst eine große Rolle spielte. Hier steckt ein integraler und damit dann auch von vornherein implizit interdisziplinärer, und bei Laurie Anderson auch intermedialer, Ansatz. Das ist etwas Genuines, das von den Frauen in die Kunst eingebracht wurde.

Bei Laurie Anderson verbinden sich viele Elemente miteinander. In ihrer frühen Phase arbeitet sie ganz auf der Schiene der experimentellen Musik in Amerika, etwa wenn sie in einer ihrer ersten Arbeiten die Ellbogen als Ûberträger von Resonanzen benutzt, so dass mit den Knochen gehört wird (»Handphone Table«, 1978) – eine Tischinstallation, wo man sich mit den Ellbogen aufgestützt hat und dann die Resonanzen aus dem Tisch heraus in den Körper übertragen wurden. Hier ist der Körperaspekt zentral. Aber dann kommt sie in den 1980er-Jahren durch die Beobachtung dessen, was sich in der Popkultur tut, zu dem eigenständigen Ansatz, wie wir ihn noch heute von ihr kennen: diese unverkennbare Mischung von Erzählung, Reflexion des Wirklichen, Poesie, Performance und Musik, die aber technologisch verfremdet ist, inklusive der elektronischen Behandlung ihrer eigenen Stimme, die durch den Einsatz des Harmonizer-Vocoders keine klare Geschlechtszuordnung mehr zulässt. Und es gab bei ihr einen sehr modernen Umgang mit Videobildern. Ich habe damals diese ersten Musikvideos gesehen, die Laurie Anderson auf ihre ganz eigene Weise frühzeitig aufgegriffen und weitergedacht hat.
 
Poesie und Aktualität
Ich bewundere, wie Laurie Anderson mit dem Älterwerden umgeht. Sie ist am 5. Juni 70 Jahre alt geworden. Irgendwie ist sie »ever young«; gleichzeitig verleugnet sie ihr Alter nicht. Sie hat etwas sehr Feines, wenn man sie kennenlernt und mit ihr spricht. Das changiert zwischen diesem immer jungen – Vorsicht! – »Mädchen« und einer Frau, die in Würde älter geworden ist. Ähnlich ist das auch mit ihrem Projekt »The Language of the Future«, das sie 1984 begonnen hat als ein offenes, fortlaufendes Kunstwerk. Damals war das supermodern. Ich kann mich noch genau erinnern, wie wir alle furchtbar aufgeregt waren, als Nam June Paik, dessen Fans wir waren, »Good Morning, Mr. Orwell« gezeigt hat, diese frühe Satelliten-TV-Show, die in ganz Amerika und von vielen Fernsehstationen in der Welt übertragen wurde. Zwar eher auf dritten Kanälen, aber doch weltweit. Und da hat sie ihre erste Stufe von »The Language of the Future« präsentiert. Seitdem hat sie, gespeist von ihrer inneren Entwicklung und von dem, was in der äußeren Welt passiert, den kulturellen Wandel und insbesondere die Veränderungen in der amerikanischen Kultur in diesem Work in Progress immer wieder aufgenommen und verarbeitet. Das finde ich wirklich außerordentlich schön: diese Balance zwischen Poesie und Aktualität.

Laurie Anderson kann man ja durchaus eine gewisse Europhilie zuschreiben. Sie ist eine Halbschwedin, hat Europa oft besucht und gerade durch diese Distanz scheint ihr die Beschreibung amerikanischer Zustände so gut zu gelingen. Ihr letztes Studioalbum »Homeland« aus dem Jahr 2010 ist da eines von vielen Beispielen.

Sie stammt aus einer Kleinstadt in Illinois und aus einer Familie mit sieben Geschwistern – typisches Mittelklasse-Amerika als gesellschaftlich-familiärer Hintergrund – und ist doch Europa-affin. Sie hat auch eine kleine Tiroler Vergangenheit. Sie war 2003 bei Klangspuren zu Gast, dann war sie etwas später im Treibhaus in Innsbruck. In der Kleinstadt Schwaz in Tirol, wo unser Headquarter steht, hatte sie, wenn wir es richtig wissen, eine Freundin, die Malerin Martha Murphy, die leider nicht mehr lebt.

Neben »The Language of the Future«, ihrer performativen Sammlung von Songs, Geschichten, Filmen und Fotos, die sie am 24. September als Abschlussveranstaltung der Klangspuren selber performen wird, wird am 22. September im Rahmen der »Série Rose – Neue Musik & Erotik« auch »Langue dʼamour« aufgeführt.

»Langue dʼamour« für Stimme und E-Piano von Laurie Anderson: das ist auch wieder etwas Universelles in Gestalt eines einfachen aber vielschichtigen Songs. Einfach und komplex zugleich. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang Joan La Barbara erwähnenswert, die 2017 auch 70 Jahre alt wurde. Sie ist gleichfalls eine Pionierin, die eine ganze Richtung, die noch heute wirkt, geprägt hat: »Extended Vocal Techniques« – erweiterte Stimmtechniken im physiologischen Sinn, aber auch verbunden mit Live-Elektronik. Sie war eng mit der New Yorker Avantgarde-Szene um John Cage oder Morton Feldman verbandelt und komponiert selbst in dieser Richtung. Bei Klangspuren 2017 wird ihr Werk »The River Also Changes« neben älteren Stücken für Stimme uraufgeführt, die sie solo und zusammen mit der Stimmkünstlerin Claudia Cervenca aus Wien performt. Claudia Cervenca hat als Hommage an Joan La Barbara vier in Österreich lebende Komponistinnen eingeladen, neue Werke für Stimme mit Instrumenten und Elektronik zu schreiben, die ebenfalls uraufgeführt werden.

Nochmal zurück zu Laurie Anderson. Sie spielt ja trotz ihrer Bekanntheit immer wieder auch gerne in kleinen, intimen Räumen.

Laurie Anderson tritt durchaus auch in einem quasi kammermusikalischen Kontext auf. Für uns gab und gibt es lange Erwägungen, wo sie nun spielen sollte. Eine Möglichkeit, über die wir nachgedacht haben, erwies sich dann doch als zu klein, weil ihre Show »The Language of the Future« akustisch recht massiv ist; sie arbeitet mit einiger Lautstärke. Und eine sehr kräftige Verstärkung in einem kleinen Raum ist kontraproduktiv, weil sich die Performance nicht richtig entfalten kann, sie wird beengt. Aber andererseits passt sich Laurie Anderson gerne auch kleinen Formaten an. Anfang März war ich in Berlin bei einem Künstlergespräch mit ihr, das sich als zweigeteilt herausstellte. Zuerst war Laurie Anderson allein auf der Bühne und hat frei mit Material aus »The Language of the Future« und verwandten Quellen sprachlich und bildlich improvisiert; dadurch konnte man wunderbar eine Idee davon bekommen, wie sie Motive sammelt und diese Stoffe kreativ verarbeitet. Sie hat zum Beispiel in ihrer typisch anekdotischen Form erzählt, wie sie die erste und bislang einzige Künstlerresidenz bei der NASA innehatte. Erst nach einer guten halben Stunde kam dann der Moderator hinzu, und man hat sich wie üblich an einem Tischchen sitzend unterhalten.

Laurie Anderson beginnt ihre künstlerische Laufbahn als Malerin und Bildhauerin. Bekannt wird sie in den 1970er-Jahren unter anderem durch ihre selbstgebauten Musikinstrumente, wie den sogenannten Viophonographen.
Berühmt geworden ist der mit einem Stück Tonband bespannte Geigenbogen. Oder die Vinyl-Single, die auf einer Geige montiert ist. In dieser frühen Phase hat sie noch typische Experimental-Performances gemacht, die sich als Genre in den 1970er-Jahren besonders in New York herausgebildet haben. Da gab es zahlreiche Composer Performer, die Gebrauchsgegenstände, Alltagsgegenstände, diverse Materialien verfremdet haben und da Klang rausgeholt haben. Richard Lermans klingende Geldscheine und Fahrräder, bespielbare Skier von Ed Osborn und vieles mehr fallen mir da ein. Später wurde es einfacher und billiger, sich gewisse fertige Sound-Technologien anzuschaffen. Am Anfang der Entwicklung haben einige dieser Künstler selber die Technologien entworfen. Es gab sogar eine kurze Phase, als z. B. David Behrman und Jerry Hunt der Industrie voraus waren in der Erfindung von Schaltkreisen. Diese Zeit ist dann allerdings schnell vorbeigegangen. Selbstbau-, Bastelinstrumente, Mutationen, Ûberarbeitungen, Präparationen gängiger Musikinstrumente waren weit verbreitet. Laurie Anderson hat sich dann relativ schnell »digitalisiert« und hat an der Zusammenstellung ihrer narrativen und poetischen Fragmente gearbeitet, das Ganze kombiniert mit Ideen über Sounds und Soundverfremdung und wie man dazu Bilder ordnen könnte.

Laurie Anderson hat als junge Künstlerin auch ephemere Performances im öffentlichen Raum durchgeführt, zum Beispiel an verschiedenen Orten im Freien geschlafen und ihre Träume an diesen unterschiedlichen Orten verglichen.
win3.jpgIch finde es ganz wichtig, das Frühstadium im Werk von Laurie Anderson hervorzuholen und zu betonen, weil die experimentellen Arbeiten am Material und an sich selbst sehr rasch durch ihr Image als cooler New-Wave-Popstar mit einem Super-Hit wie »O Superman« und den ersten Videoarbeiten überlagert wurden. In diesen Selbstbefragungen und -erforschungen steckte dieser Personal- und Körperbezug, der vielleicht – vielleicht! – sich öfter bei Frauen als bei Männern als kreative Quelle äußert. Ja, diese frühen Arbeiten sollen nicht in Vergessenheit geraten. Sie haben mich seinerzeit sehr fasziniert. Ich kannte Arbeiten von Laurie Anderson, bevor sie weltberühmt wurde. Es gab 1980 in Berlin die Ausstellung »Für Augen und Ohren«, und da wurden diese Arbeiten von ihr vorgestellt. Ich habe mich damals überhaupt sehr für die experimentelle New Yorker Kunst interessiert. Es war so etwas wie ein Initiationserlebnis für mich. In New York breitete sich, beginnend mit den 1950er-, 1960er-Jahren ein einzigartiger kreativer Wirbel aus, wo sich Genres wie Tanz, Film, Medienkunst, Performance, Musik und Literatur (etwa in Form von Textperformances wie bei John Giorno) so integral wie nie zuvor verbanden. Vor diesem Hintergrund haben sich Künstlerinnen wie Laurie Anderson oder Joan La Barbara entwickelt.

Abschließend, wie würden Sie die Art und Weise, in der Laurie Anderson performt, beschreiben?
In wenigen Worten charakterisiert: Laurie Andersons Performance Art ist auf der einen Seite cool, dann aber gleichzeitig auch sehr freundlich. Da herrscht eine eigentümliche, reizvolle Ambivalenz zwischen distanziert und doch menschlich zugewandt. Sie verkörpert auf der Bühne sehr vorbildlich eine Haltung, wie sie auch bei John Cage zu finden war – eine heitere, gelassene Beschäftigung mit tiefen Themen der Kunst und des Lebens.

Heute müssen wir diese Einstellung wieder trainieren; mir jedenfalls fällt es schwerer als in früheren Phasen und Perioden, sie aufrechtzuerhalten. Für mich als leidenschaftlichen Verfechter der Aufklärung und ihres Wahrheitsideals ist es schwer erträglich, was zurzeit politisch in Bezug auf Verfälschung, Verwässerung, Verdrehung, auf die Aufweichung von Wahrhaftigkeit und Wahrheitsgrenzen passiert – und damit auch der Fähigkeit und Bereitschaft, darüber zu debattieren, ob ein Argument oder ein Sachverhalt zutrifft.

Dieses Interview erschien in gekürzter Form im Juli 2017 auf: www.mica.at
 
Klangspuren Schwaz, Tiroler Festival für Neue Musik, 07.09.-24.09.2017
www.klangspuren.at/klangspurenschwaz
 
Laurie Anderson

www.laurieanderson.com
 
Joan La Barbara
www.joanlabarbara.com

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