Also Rock’n’Roll, das sollte diese Sache mit dem Ausbrechen sein. Johnny Hallyday verkörperte dies in einer milden Form, die immer in versöhnlichem Bezug zu bürgerlichen Normen blieb. Darin war er ziemlich gut. In Deutschland und Frankreich der 1960er-Jahre wurde Rock’n’Roll domestiziert, indem er von Weißen in der jeweiligen Landessprache dargeboten wurde. In Deutschland verlief diese völkische Eingemeindung desaströs. Roy Black blieb nichts anderes als der Griff zur Flasche. Black und Hallyday waren in ihren Anfängen beide hübsche Püppchen, die schön anzuschauen waren, ein bisschen frech mit den Hüften wackelten, gut singen konnten und eigentlich auch Manieren besaßen. Von Roy Black ist die Geschichte überliefert, er sei mit seiner Familie in der heimischen Küche gesessen und habe den Versuch unternommen, die gesamte, waschkörbeweise eingetroffene Fanpost zu beantworten. Nun ja, das ist wirklich irgendwie nett. Kaum ein böses Wort gegen die Alten (was in Deutschland noch mal eine Kategorie schräger ist als in la France) und den Jungen eine Freude machen mit hübscher Tanzmusik, das war der Mainstream Rock’n’Roll European Style.
Roy Black und der restliche domestizierte deutsche Rock’n’Roll wurden damit zu einem seltsamen, nicht restlos zu entschlüsselnden Gewebe. Einerseits wurden gewisse rebellische Tönlein anerkannt und herausgezwitschert, andererseits musste alles in Watte gepackt bleiben. Bekanntermaßen ist Roy Black an dieser Watte erstickt und mit ihm der überwiegende Teil einer massentauglichen Populärmusik im Germanien jener Jahre. Johnny Hallyday war für ein solches Schicksal viel zu schlau und er hatte die Unterstützung einer ganz anderen Szene. In Paris gab es traditionell einen engen Kontakt zwischen Intellektuellen und populären MusikerInnen. Persönlichkeiten wie Jean-Paul Sartre standen in engem Kontakt mit der Chanson-Szene und der Meisterdenker versuchte sich sogar als eine Art Impresario, indem er Juliette Gréco mit Songtexten versorgte. Jaques Dutronc wurde aufgehuscht von Jacques Lanzmann und so weiter. Johnny Hallyday schaute sich dies an und zog daraus seine etwas biederen Schlüsse. Er wusste, es galt, gewisse Themen anzusprechen und in Songs zu verwandeln und dabei eine gewisse Fähigkeit zur Kritik an den Tag zu legen: »cheveux long et idées courtes«.
Diese Mischung machte ihn zu einem Phänomen, das wohl nur für Menschen in Frankreich zu begreifen ist. Hallyday war so big (grand, gros), dass er sich Leute wie Jimi Hendrix als Vorgruppe engagierte und am Morgen seines Todes der französische Präsident seine Songs postete, während französische Zeitungen gleich ihre ersten drei Seiten Johnny Hallyday widmeten. Eine solche Ûbergröße ist nie vollständig rational nachzuvollziehen. Ohne Frage hatte Hallyday was los. Er wirkte zerbrechlich und stark zugleich. Viele seiner Coverversionen sind mindestens ebenso gut wie die Originale, manche sogar ein wenig griffiger. Er hat sich in sechs Jahrzehnten Karriere durch viele Genres gearbeitet, vom Rock’n’Roll über Blues und natürlich Chanson, über straighte Rocknummern bis hin zu gewissen Art-Rock-Ausflügen. Dabei können ZuhörerInnen eine faszinierende Beobachtung machen. Johnny Hallydays Songs sind so vollendet eklektizistisch, dass man sich innerhalb des französischen Singsangs fragt: »Nanu, covert dieser Troubadix da eine Beatles-Nummer die ich nicht kenne?«
Am 6. Dezember 2017 forderten die Strapazen des habituellen Kokain- und Alkoholkonsums, die hunderten Tourneen mit aberwitzig vielen ZuschauerInnen ihren letztlichen Tribut, Johnny Hallyday starb im Alter von 74 Jahren.
Johnny Hallyday hält Catherine Deneuve von der Hausarbeit ab (Bild: YouTube Still)