»The Earth is Blue as an Orange« © This Human World
»The Earth is Blue as an Orange« © This Human World

Inside This Human World

This Human World, das seit 2008 existierende Internationale Filmfestival der Menschenrechte, präsentiert sich in diesem Jahr in seiner »Outlines« Online-Edition mit herausragend vielfältigem und interessantem Programm und von besonderer Relevanz. Bis 13. Dezember kann man sich noch »hineinklicken«.

Wer vor 2020 die »Effektivität« der globalen Vernetzung und den »cause and effect« unseres Lebensstils im internationalen Kontext noch nicht ausreichend begriffen hat, der*die sollte es nach diesem Jahr doch zumindest in aller Oberflächlichkeit verstehen können. Was gemeinhin trotzdem noch nicht heißt, dass dadurch alle Auswüchse unseres neoliberalistisch gewachsenen Denkens, gepaart mit der »Ellenbogenmentalität« unseres Konsums, plötzlich für jede*n verständlich werden. Vielmehr sieht man gerade im heurigen Corona-Jahr 2020, wieviel Erkenntnisgewinn für unsere Gesellschaft wirklich noch von Bedarf ist, um tatsächlich eine Transformation im Verhalten zu erreichen.

This Human World emergiert deswegen gerade in diesem Jahr in einer ganz besonderen Relevanz, die ganz im Sinne des auf der Website nachzulesenden Selbstverständnisses wirkt, nämlich »das gewohnte Weltbild an einigen Stellen zu erweitern und an anderen ins Wanken bringen zu können«. Mit der heurigen Programmauswahl trotz der »Schwere« vieler Filme weiterhin die cineastische Lust am Medium Film zu versprühen und trotz Online-Umstieg wirklich gute Diskussionsbeiträge zu den jeweiligen Filmen in dem dafür eingerichtetem »Festival Hub« zu präsentieren, ist wirklich lobenswert. Ein kurzer Rückblick auf das erste Festivalwochenende und Ausblick auf das noch bis 13. Dezember laufende Festival (wobei einige Filme bis 15. Dezember verfügbar sein werden).

Filmemachen im Ausnahmezustand
Der diesjährige Eröffnungsfilm »The Earth is Blue as an Orange« der ukrainischen Filmemacherin Iryna Tsilyk spielt als Ausgangsimpuls für die 2020er-Ausgabe des Festivals eine ganz besondere Rolle. Er illustriert nämlich auf mehreren Ebenen, weshalb Filmemachen gerade im Ausnahmezustand so eine wichtige Bedeutung hat. Die dabei gezeigte Familie, die in der ukrainischen Kriegszone Donbass lebt, dreht einen Film über ihr eigenes Leben. Die Meta-Ebene der Beleuchtung dieses kinematographischen Versuchs durch Tsilyk – in einem Dokumentarfilm über die Produktion dieses Filmes zu berichten – ist natürlich umso schöner, als dass sich genau dieser Versuch dadurch selbst reflektieren kann: der Versuch, die Realität so zu dramatisieren, dass sie auf ihre eigene Wirklichkeit nicht mehr »nur« verweist, sondern diese darüber hinaus so »framed«, dass sie sie wieder in Frage stellt. Eine Problematik, die gerade in der jetzigen Zeit umso wichtiger ist. »The Earth is Blue as an Orange« zeigt im Subtext, wie sehr sich der Mensch an einen gewissen Alltag gewöhnen kann, was aber nicht bedeuten soll, dass er in diesem wieder vergessen werden darf.

In drei Tagen um den Globus
Die Programmpragmatik sollte in der speziellen Online-Version des Festivals nicht unerwähnt bleiben. Fast wie im Orbit realer Filmfestivals muss man auch bei This Human World Outlines einen gewissen Zeitplan beachten. Die täglich »erscheinenden« Filme sind nämlich immer nur für 48 Stunden im »Festival Hub« verfügbar, weshalb eine ständige Programmfluktuation stattfindet. Das System funktioniert nicht ohne Sinn, nachdem man dadurch angehalten ist, seine tägliche »Dosis« Film gut abzuwägen. Das erste Festivalwochenende wurde durch so eine Abwägung gut ausgeglichen und führte von Österreich über China bis nach Brasilien und in den Iran. Ob man sich in »Robin’s Hood« von Jasmin Baumgartner in die Tiefen und vor allem rassistischen Untiefen der Wiener Fußballszene entführen lassen will oder sich Seif Abdallas Streifen »Noom El-Deek« zu Gemüte führt, der den »ständigen Dämmerzustand«, ein ständiges Schweben in Ungewissheit sudanesischer Flüchtlinge in Kairo begleitet: In jedem Falle wird man von den vielen sich dadurch erst langsam eröffnenden »Schichten« dieser unserer »human world« von neuen Erkenntnissen profitieren.

Genau in derselben Manier sollen noch zwei weitere Filme herausgestrichen werden, die sowohl von ihrer Kinematographie als auch durch ihren Inhalt besonders überzeugten und schockierten. Einerseits wäre das »A New Era« (»Une Nouvelle Ère«) von dem französischen Regisseur Boris Svartzman, der das Leben der Bewohner*innen einer kleinen Insel im Fluss Zhujiang, inmitten der chinesischen Millionenstadt Guangzhou, beleuchtet. Diese bilden den letzten Widerstand gegen die seit 2008 aufgrund neuer Stadtentwicklungsprojekte stattfindende Enteignung der dortigen Bevölkerung. Ein höchst politischer Film, der mit gewaltigen Bildern die Narrative von Menschen erzählt, die ihre Heimat nicht aufgeben wollen.

Genauso gewaltig sind auch die Geschichten in dem iranischen Film »Sunless Shadows« von Mehrdad Oskouei. In diesem werden iranische Frauen interviewt, die in einer Jugendstrafanstalt über ihr Leben zwischen Freiheit und Unfreiheit berichten, welches sich ironischerweise hauptsächlich außerhalb der Anstalt in dieser Weise verhält. Die fast schon harmonische Art und Weise, wie die Frauen in solidarischer Manier in der Anstalt miteinander interagieren, steht dabei in scharfem Kontrast zu den Geschichten, die sie in die Anstalt brachten und die im Film in ihren ganz persönlichen Sichtweisen erzählt werden. Der Film kann dabei als Weiterführung von Oskoueis 2016 erschienenem Film »Starless Dreams« verstanden werden, in dem der Regisseur schon einmal das Leben von Frauen in iranischen Strafanstalten thematisiert hat. Diesmal ist nur der Fokus spezifischer. Trotz der furchtbaren Geschichten, die erzählt werden, ist der Film nämlich in erster Linie auch ein Porträt der Mutter-Tochter-Beziehungen, die in vielfacher Weise eine große Bedeutung für die Protagonistinnen haben.

Programmausblick
Es bleibt zu sagen, dass auch durch diesen kurzen Einblick klar werden sollte, wie vielfältig das diesjährige Programm von This Human World ist und dass für jede*n Filmliebhaber*in etwas von Interesse dabei sein sollte. Außerdem ist zu erwähnen, dass es neben der »International Competition« auch eine spezifische »Austrian Competition« sowie zahlreiche Filme in der Kurzfilmfraktion gibt, die ebenso breitgefächert auch in den »Outlines« im Programm erhalten blieben. Es lohnt sich also, ins Programm zu schauen und diese Woche für einen Ausflug in die Weiten von This Human World zu nutzen!

Link: https://www.thishumanworld.com/

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