Okay, ob »Tohuwabohu«; »Ladykracher« oder gleich »Harald und Eddi«: Sketchshows sind ein vollkommen zu Recht geächtetes Medium. Es ist meist einfach nur peinlich und gemeinhin der Expresszug in die Depression. Die Situationen wirken wie das, was sie sind: das Ergebnis eines wochenlangen Bleistiftgeknabbers, das dann aufgrund des viel zu geringen Budgets in den immergleichen Furzszenerien umgesetzt wird. Ermüdend, vorhersehbar und stumpfsinnig. Die »Comedy-Helden« der Kurzform gehören zu den traurigsten Gestalten der Unterhaltungsindustrie. Dafür gibt es zwei Gründe, für beide hat Tim Robinson Lösungen gefunden.
Die Nackten und die Toten
Die eine Lösung ist simpel: Die Produktionskosten sind bei Robinson enorm. Wenn er seine Charaktere in das Haus des Garfield-Erfinders Jim Davis gehen lässt, dann ist das gesamte Haus ausstaffiert mit riesigen Garfield- und Odie-Sesseln, die mehr gekostet haben als eine Tatort-Produktion. So wird in den USA und bei Netflix eben gearbeitet. Man darf sagen: Für jeden Scheiß ist Geld da. Da können die meisten Sketch-Shows einfach nicht mithalten. Robinson hat aber ebenso eine Lösung gefunden für die schwierigste Hürde des Sketches, die in der Einführung der Figuren liegt. Dafür ist schlicht keine Zeit, weshalb die meisten Sketches mit widerwärtigen und komplett hirntoten Klischees arbeiten. »Der Priester«, »der Polizist« und Anke Engelke ist wieder »so eine«. Zum Weglaufen. Tim Robinson führt aber gar keine Charaktere ein. Er erzeugt Situationen, die rein durch ihre absurde Wucht überzeugen. Robinson selbst tritt in fast allen Sketches auf und ist meist ein übellauniger und genervter Arsch. Vielleicht muss er dabei gar nicht schauspielen? Dieser wenig sympathische Dummkopf redet sich dann immer wieder in Rage über eine nicht zu bewältigende Situation. In der Darstellung dieser Situation kann er seinen komödiantischen Esprit entwickeln, der den Zuseher*innen, meist erst nach einer Weile, ein fast konvulsives Lachen beschert.
Wenn Robinson beispielsweise einen Fernsehmanager spielt, dessen einziges Produkt das Mitfilmen von gescheiterten Beerdigungen ist. Die Beisetzungen scheitern, weil es nicht gelingt, den Leichnam bis zu seiner letzten Ruhe zu geleiten, sondern dieser zuvor durch den Boden des Sarges kracht. Meist sind die Leichen aus unerfindlichem Grund splitternackt. Nun würde man ihm (dem von Robinson gespielten Fernsehmanager) vorwerfen, diese Szenen seine nicht echt, sondern gestellt. Er weist alle Vorwürfe energisch von sich. Zwar kullerten nur selten nackte Tote aus den Särgen, aber er und sein Team filmten einfach alle Beerdigungen. Klar soweit?
Robinsons bewundernswerte Fantasie entgleitet in Sphären, in denen die Zuseher*innen anteilhaben dürfen an einer Welt, die von Menschen gemacht wurde, die wirklich ein Rad abhaben. Ihre Konstrukte, Lügen und offensichtlichen Fehleinschätzungen breiten sich vor den Zuseher*innen aus und laden ein in ein Panoptikum, das in wenigen Minuten Film entfaltet wird und genüsslich anschließend im Nachdenken weiter ausbuchstabiert werden kann. Wenn Robinson auf einer Taufe auftaucht, sich den Säugling geben lässt, ihm tief in die Augen blickt und sagt: »Ich war ein entsetzlicher Mensch« und dann dem staunenden Baby erklärt weshalb, dann ist an dieser Konstellation in erfrischender Weise einfach alles falsch. Und wer bitte wässert sein Steak?
Warum ist der Tisch schmutzig?
In der Serie »I Think You Should Leave« werden die Fehler, das Fehlverhalten oder die Fehleinschätzungen der handelnden Personen nicht demaskiert, sondern genüsslich in ihren Konsequenzen weitergedacht. In einem schwer zu überbietenden Höhepunkt an absurder Folgerichtigkeit spiel Robinson einen genervten Fahrlehrer, der seinen wenig gescheiten Kursteilnehmer*innen einen Lehrfilm zeigt. Er warnt eindringlich vor diesem Film, denn dieser sei schlecht gemacht, die Schüler*innen sollen sich aber auf das Wesentliche konzentrieren. In dem Film ist eine Frau zu sehen, die in ihren Kleinwagen einen Tisch bugsiert und sich während der Fahrt darüber echauffiert, dass dieser schmutzig ist. In einem Moment der Unaufmerksamkeit baut sie einen Unfall. Der Lehrer muss nun quälende Fragen seiner Schüler*innen beantworten, wer die Frau sei und warum sie Tische transportiere. – »Sie arbeitet eben mit Tischen!«.
Im nächsten Schulfilm taucht die gleiche Frau wieder auf, sie hat nur ein anderes Fahrzeug, in dem sie erneut einen schmutzigen Tisch transportiert, der ihr wieder die Konzentration auf den Verkehr verunmöglicht. In einem dritten Film wird die Frau von einem anderen Verkehrsteilnehmer darüber belehrt, wie gefährlich es sei, seinen Tisch zu verleihen, schließlich könne dieser verschmutzen. Von dieser, für sie anscheinend überraschenden, Einsicht abgelenkt, baut sie erneut einen Unfall. Der verzweifelte Fahrlehrer Robinson bricht die Unterrichtsstunde ab, denn auch er kann seiner Klasse nicht erläutern, weshalb Aufmerksamkeit im Straßenverkehr ausgerechnet anhand verschmutzter Tische bebildert werden soll.
Robinson gelingt es, derart abstruse und absurde Szenerien zu entwerfen, wie sie vielleicht allenfalls etwas angestaubt und altbacken von »Monty Python’s Flying Circus« bekannt sein dürften. Beiden ist gemeinsam, dass das verkommene und nichtswürdige Sketchmedium nur dann trägt, wenn es einlädt, in eine abgrundtief surreale Welt einzutauchen, und diese dann jeder naturalistischen Alltagsbeschreibung spottet. Die führen sonst doch nur in Klischees und geistige Ermüdung. Tim Robinsons Welt aber ist einen Besuch wert. Kaum nötig zu erwähnen, dass ein nicht unwesentlicher Teil des Publikums die Show schlicht »kacke«, »albern« und »bescheuert« finden wird. Das stimmt aus anderer Hinsicht natürlich auch.
Link: Netflix