Taylor Swift hat ein neues Album gemacht: »Folklore«. So weit, so irrelevant. Wer sich die Mühe macht und bei Swift die Bluh-blah-blah-bluhblahblah-Schmutzschicht entfernt, mit ihren völlig übersteigerten und erbarmungslos auf Hit getrimmten Blendwerken, die ihr ihre Milliönchen sichern, erblickt selten so etwas wie Substanz. Während Corona daheimsitzend und gerade erst ihre, fürs Popstarbusiness immer irgendwie üble, Dreißig vollgemacht habend, könnte ihr das aufgefallen sein und folglich musste endlich etwas ambitionierteres Material her. »Folklore« ist somit ein Indie-Folk- und Chamber-Pop-Werk, das weg von dem großen Tam-Tam führen möchte. Taylor Swift rief ihre Allzweckwaffe Jack Antonoff an und mit ihm gemeinsam bastelte sie ihr achtes Studioalbum, das als jene Überraschung und Sensation gelabelt wurde, die es eigentlich nicht ist. Denn auch dieser Liederreigen ist ein so vielfach austariertes Werk, dass die Befürchtung bestehen muss, die beiden wollten Musik für das Wartezimmer bei ihrer Zahnärztin basteln. Nichts tut weh, nichts erhebt und es ist spürbar, dass zig exquisite Könner*innen jeden Ton abgewogen haben, damit auch ja nix bei der Überraschung schief geht. So wird Stardom verwaltet und werden Investments gesichert. Taylor Swift muss deshalb leider in dem Video zur ersten projektierten Hitsingle »Cardigan« mitsamt Konzertflügel in den Ozean gegossen werden, damit sie nicht beim Klavierspielen einschläft. Überhaupt gießt sie das gesamte Album ins Internet (macht man heute so) und dort kann es beglotzt werden, mittels aufwändiger wie betont unaufwändig erscheinender Videos, die für jeden einzelnen Song gefilmt wurden. Die reduzierten Filmchen gleichen ebenso jenen Zahnarztzimmervideos, in denen Pinguine in Slow Motion über Eisschollen torkeln. Nur ist bei Swift alles irgendwie so mit Gefühl und Autobiografie. Ja, eh, massentaugliches Empfinden halt.
Doppelperspektive
Hinter dem, was vor wenigen Tagen somit der Öffentlichkeit als absehbare Pop-Sensation eingeschenkt wurde, finden sich dann aber doch noch ein paar Höhepunkte. Was meist in seiner betonten Reduktion eher einschläfert als »künstlerisch« berührt, glückt dann vorbildlich in dem Stück »Exile«. Ein Nebenprodukt, das die Hauptproduktlinie und deren öde Metapherkaskaden durch eine pfiffige Idee hinter sich lässt. »Exile« ist klug gemacht, weil es klarer eine erzählerische Linie verfolgt. Es ist eine musikalisch simple, aber effektvolle Hymne, in der zudem Bon Iver sein Signature-Geheule im Zaum hält. Im Video ist eine einsame Gestalt zu sehen, die langsam durch den Wald geht. Die Gestalt wird von einer hochfliegenden Drohne in Respektabstand beobachtet und das Publikum darf sich ganz auf den eingeblendeten Text konzentrieren. Bon Iver verleiht dem Mann die Stimme und erzählt von der Begegnung mit der Ex. Die hatte ihren neuen Freund im Schlepptau, der ist ein unwitziger Trottel (eh klar) und wir erleben eine gewisse abgeklärte Sehnsucht in den Beobachtungen des Mannes. Dann kommt die weibliche Stimme und erzählt ihre Perspektive. Eine überraschende und sehr schlaue Entgegensetzung. Die Doppelperspektive, die ausgewogen zwischen immer noch vorliegender Harmonie der beiden Seelen und der Einsicht in den unabwendbaren Bruch pendelt, ist milde-kitschig schön. Fein. Besser als der Rest des Albums. Überflüssig sind hingegen die Kriegsmetaphern und dann wirft sich noch die feministisch knifflige Frage auf: Warum muss im Jahr 2020 immer noch die Frau das Enigma sein? Warum hat sie nie versucht zu verstehen, was in ihm vorgeht? Warum kann sie nur signalisieren, was er entziffern soll? Tja. Die Überwindung dieser reaktionären Geschlechterrollenverteilung wird die Mainstream-Popmusik dann in circa 20 Jahren (erobern) vollziehen. Dann ist Swift gerade mal fünfzig.