Flashback: Wir schreiben das Jahr 1978. Drei Jungs kommen frühmorgens von einer der berüchtigtsten Kifferdiscos der Stadt zu einem Bekannten, bei dem sie übernachten können. Während der Einnahme diverser psychoaktiver Substanzen philosophiert man über die coolsten LPs, funked-up-under-a-groove. Schließlich, als sich auch der letzte Gast auf einer der bereitstehenden Matratzen platziert hat, legt der in der Küche verbliebene Gastgeber sein aus dem Diskursrahmen fallendes Lieblingsalbum auf, in dem es einer obskuren Country-Stimme gelingt, die Banalität des Daseins mit mehr als einem Augenzwinkern zu relativieren. Woraufhin auch dieser Junge (euer Autor) seinem Drehschwindel zum Trotz doch noch hinwegdämmert. Stunden später klärt der Hausherr ihn darüber auf, dass es sich um eines der besten Debütalben überhaupt handele und es von dem wohl allergrößten, einem »kürzlich verstorbenen« Singer-Songwriter stamme, und er spielt den Opener nochmals an:
When I woke up this morning, things were lookin’ bad
Seems like total silence was the only friend I had
Bowl of oatmeal tried to stare me down … and won
And it was twelve o’clock before I realized
That I was havin’ no fun
But fortunately I have the key to escape reality
And you may see me tonight with an illegal smile
It don’t cost very much, but it lasts a long while
Won’t you please tell the man I didn’t kill anyone
No I’m just tryin’ to have me some fun
Erst Jahre nachdem sich für meine Wenigkeit mit »Illegal Smile« und zugehörigem Album die Tür zu Country weit aufgestoßen und ich alle frühen LPs via Cut-out bins erstanden hatte, wurde mir klar, dass besagter Gastgeber, der nie wieder gesehen ward, mit besagter Flunkerei sein Spielchen mit mir getrieben hatte. Nun, mehr als vier Dekaden später, ist es traurige Wirklichkeit geworden: John Prine starb am 7. April 2020 an den Folgen des Coronavirus. Er hatte schwere Vorerkrankungen: 1997 wurde bei ihm ein Adenokarzinom diagnostiziert, 2013 bekam er Lungenkrebs. Prine wurde 73 Jahre alt.
Midwestern Mindtrips
Allgemeinhin gilt John Prine als der typische US-amerikanische Singer-Songwriter. Er beschrieb die Human Condition detailliert und mit trockenem sowie feinfühligem Humor und kritischen Wendungen in musikalisch durchwegs rudimentär gehaltenen Songs. Entdeckt wurde er in den frühen Siebzigern von Kris Kristofferson und sogleich handelte man ihn als »New Dylan«. »He’s probably one of your favourite songwriter’s favourite songwriter and probably influenced a large number of the songs that you know and love,« meinte nun der kanadische Folksänger/Songschreiber Donovan Woods. Demgemäß meldeten sich unzählige Musiker zu Wort: »He wrote music of towering compassion with an almost unheard of precision and creativity when it came to observing the fine details of ordinary lives. He was a writer of great humor, funny, with wry sensitivity. It has marked him as a complete original,« sagte Bruce Springsteen. Bob Dylan nannte Prines Musik puren Proust’schen Existenzialismus, einen Mindtrip des Mittelwestens zum Quadrat (»pure Proustian existentialism, Midwestern mindtrips to the nth degree«): »I remember when Kris Kristofferson first brought him on the scene. All that stuff about Sam Stone the soldier junky daddy and Donald and Lydia, where people make love from ten miles away. Nobody but Prine could write like that. If I had to pick one song of his, it might be ›Lake Marie‹,« so Dylan in einem MTV-Interview. Bonny Raitt erkannte in Prine »a true folk singer in the best folk tradition, cutting right to the heart of things, as pure and simple as rain.« Raitt machte mit ihrer Version von »Angel From Montgomery«, einem der ersten und wenigen Songs, in denen der Songschreiber die Rolle der Frau einnimmt, im Jahre 1974 Prine berühmt.
Auf John Prines Website findet sich eine Liste der Coverversionen von John Prine-Songs. Abschließend unsere Auswahl seiner legendären Songs. R.I.P. John Prine. Er hinterlässt seine Ehefrau und drei Söhne.