Der Berliner Plattenladen und Mailorder Bis Aufs Messer feierte vor Kurzem sein 19. Wiegenfest – gerade noch so ein Teenager, gratuliert skug zum Geburtstag und fragt nach, wie Robert Schulze, neben Norman Dietze einer der beiden Betreiber, aktuelle Entwicklungen im Handel mit Tonträgern wahrnimmt und einschätzt.
skug: Im nächsten Jahr feiert euer Plattenladen und Mailorder 20-jähriges Bestehen. Ihr habt in der Zeit einiges an Trends kommen und gehen sehen. Bevor wir über die Gegenwart und Zukunft sprechen, ein Blick zurück: Aus welchem Grund, mit welcher Intention habt ihr Bis Aufs Messer gegründet?
Robert Schulze: Den Laden haben wir 2006 relativ spontan gegründet. Stefan Klose und ich kannten uns damals schon eine Weile. Wir hatten beide Distros (das war damals viel so Konzertkartenverkauf, kopierte Mailorderlisten etc.) und auch beide ein Label. Er hatte dann Platten von meiner Band veröffentlicht, Shows für uns gebucht und irgendwann waren wir beide an so einem Punkt, wo wir was in unseren Leben ändern wollten, mit unseren Studien nicht mehr so richtig zufrieden waren und da kam relativ spontan die Idee mit dem Laden. Ich wusste von meinem Vater, dass sein altes Atelier leer stand, und dann ging es los. Wir hatten durch die Mailorder schon ein bestehendes Inventar für den Laden. Wir haben uns dann noch Geld geborgt und den Laden in Eigeninitiative mit Freunden renoviert. Am Ende ging es von der spontanen Idee bis zu Eröffnung relativ schnell. Unsere Intention war, einen Plattenladen zu eröffnen, den es in dieser Art in Berlin noch nicht gab, einen Laden, in dem verschiedene DIY-Labels repräsentiert werden und der diesen einen Raum schafft, für den es in konventionellen Läden kaum einen Ort gibt. Eben einen Platz für Platten/Tapes/Fanzines/Bücher fernab von gut vertriebenen Labels, einen Platz für Sachen, die wir getauscht oder von kleinen Läden und Vertrieben direkt bekommen haben. Wir wollten immer viel mit Labels direkt machen, kleine, unbekannte Releases vertreiben und Sachen im Laden haben, die wir spannend finden. Stefan hat sich mit der Zeit aus dem Laden zurückgezogen, um sich auf sein Label Vendetta Records zu konzentrieren. Norman kam dann dazu, erst als Kunde und später als Mitarbeiter. Wir haben ihn aber auch schon seit Mitte oder Ende der Neunziger von Shows gekannt. Am Ende ist es doch eine kleine Stadt. Es ist schon verrückt, dass ich Norman jetzt auch schon über 20 Jahre kenne. Die Zeit rennt.

Du sprichst von den direkten Kontakten und der Zusammenarbeit mit kleinen Labels und Norman, ich nehme an, dass die von dir angesprochenen ähnlichen Vorstellungen damit korrespondieren. Die Arbeit in der Nische, mit DIY-Labels und an eher abseitigen musikalischen Veröffentlichungen – wie hat sich das in den letzten zwei Dekaden verändert?
Es war und ist uns wichtig, Labels zu vertreiben und auch Bands, die es sonst nicht so einfach im Plattenladen gibt. Wir haben beiden einen diversen Musikgeschmack und wollten uns nie direkt auf irgendein Genre festlegen – das wäre uns viel zu langweilig. Was als Plattenladen für DIY Punk, Hardcore, Indie usw. angefangen hat, hatte sich schon schnell für Neues geöffnet. Da gab es dann diese ganz neuen tollen Sachen von kleinen Labels wie z. B. NotNotFun, Blackest Rainbow, Ecstatic Peace, Volcanic Tongue, Time Lag Records, Night People, Fuckit Tapes, Release The Bats, Ideal Records, P.W. Elverum & Sun aka Mount Eerie etc. Das war und ist einfach spannend, was da alles rauskam bzw. rauskommt. Natürlich macht es das auch schwieriger, immer alles an Neuerscheinungen abzudecken und im Laden zu haben. Wir lassen uns dabei gerne von Kund*innen inspirieren bzw. versuchen, regelmäßig im Austausch zu stehen – Kommunikation und Community waren uns immer wichtig. Wir wollen ja Musik sammeln und keine Platten, wenn das Sinn macht?! Es gibt so viel tolle Musik zu entdecken, von so vielen kleinen tollen Labels/Bands/Künstler*innen, und wir hoffen, dass die Leute immer ein offenes Ohr dafür haben. In den letzten Jahren ist es schon schwieriger geworden (was vor allem auch an den momentanen Preisen liegt), Leute für unbekanntere Sachen zu begeistern und dazu zu bringen, mal was Neues auszuprobieren, wenn eine LP 30 Euro kostet, statt wie zu Beginn zwischen 10 und 20 Euro. Bei 10 oder 20 Euro fällt die Entscheidung leichter, mal etwas auf gut Glück zu probieren, oder man kauft nach Cover oder auf Empfehlung. Wenn die LP dann aber 30 Euro und mehr kostet, überlegt man genau, ob man sie wirklich braucht. Diese Entwicklung macht es natürlich schwer(er), all die Sachen zu verkaufen bzw. auch in den Stückzahlen, dass der Import Sinn macht. Die Leute sind vorsichtiger geworden und wir merken ja leider auch, dass Leute weniger Budget für Musik haben, und es gibt inzwischen viele größere Läden, die einfach alles haben. Wir müssen immer genau überlegen, was wir bestellen und wieviel, da ja das meiste auch per Vorkasse bestellt wird und wenn man sich da verkalkuliert, dann tut das schnell weh. Abseitige Label und Musik waren und sind immer mit mehr Arbeit verbunden, um sie an interessierte Hörer*innen zu vermitteln. Zum Glück gibt es aber immer noch viele tolle Menschen, die an immer neuen musikalischen Abenteuern interessiert sind, Sachen ausprobieren und Neues entdecken wollen. Sich dich Dinge auch empfehlen lassen. Inzwischen kennt man ja auch einige seiner Kund*innen und deren Geschmäcker und man tauscht sich viel aus und lernt voneinander Neues kennen. Allerdings ist es schwer, bei der Menge an neuen tollen Sachen immer am Ball zu bleiben.

Dass sich die Landschaft stark verändert hat, merkt man ja auch als Kund*in eines Plattenladens: die astronomisch hohen Preise, die Flut an Neu- und Archivveröffentlichungen (nicht selten in unterschiedlichen Varianten und Farben) – das ist nicht nur erschlagend und sprengt die finanziellen Mittel, sondern es ist auch nicht unbedingt nachvollziehbar, warum manche Tonträger nicht nur über 30 Euro, sondern immer häufiger über 40 Euro kosten und andere Labels weiterhin unter 25 Euro pro Einzel-Vinyl bleiben. Können wir hier noch mal ein bisschen ins Detail gehen? Stichwort Einfuhr von Tonträgern und damit verbundene Kosten, aber gerne auch mit Blick auf gestiegene Herstellungskosten von Tonträgern, ihr habt ja auch ein Label und kennt daher auch diese Seite der Medaille.
Ich denke auch, es ist alles zu viel. Gerade, um als kleiner Laden mit weniger Cash-Flow mithalten zu können. Wir müssen immer viel Vorauswahl treffen und hoffen, dass das dann passt. Ich denke, langfristig gesehen wird es sicher wieder weniger Veröffentlichungen geben und es wird vielleicht wieder genauer überlegt, ob man das oder das jetzt auf Vinyl pressen muss. Die Presszahlen werden ja auch immer kleiner und nicht alles wird ein zeitloser Klassiker wie z. B. eine Slint »Spiderland« LP. Aber um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Kosten für den Import sind auf jeden Fall gestiegen und machen alles noch mühsamer und teurer. Der schlechtere Dollar-Kurs, die Portopreise, hohe Wholesale-Preise, Einfuhrzölle etc. Aus UK bestellen wir auch weniger, weil es einfach so viel teurer geworden ist. Man sollte aber auch erwähnen, dass die Produktionskosten bei der Herstellung zwar gestiegen sind, aber nicht in dem Ausmaß, dass es eine Verdoppelung des Wholesale-Preises rechtfertigen würde. Ich meine, wir haben Indie-Labels im Programm, die haben bei uns im Verkauf weniger gekostet als jetzt im Einkauf. Herstellungspreise sind (zumindest da, wo wir pressen) vielleicht um 10 bis 15 % gestiegen. Es sind dann auch oft die ganzen Zwischenhandelspreise, Großhandel, Porto, Logistik etc., die am Ende noch einmal alles teurer machen. Dass eine LP nicht mehr 12 Euro im Laden kosten kann, kann ich durchaus verstehen, aber wenn wir dann immer mehr Platten für 30+ Euro verkaufen müssen, ist das schon schwer und stößt natürlich auch auf Unmut bei den Kund*innen. Wir bestellen ja dann auch weniger von einem Titel, da das Risiko größer ist und wenn du von einer Platte z. B. zehn Stück bestellst und nur neun verkaufst, hast du eigentlich schon minus gemacht. Ich denke, langfristig macht diese Preisentwicklung den Markt kaputt bzw. kaufen Leute weniger Platten, sind vorsichtiger, probieren weniger aus und überlegen sich dreimal, ob sie die Platte wirklich benötigen. Wir hatten diese Problematik ja schon einmal bei der CD in den Neunzigern, als die CD-Preise immer höher wurden und Leute wieder auf Vinyl bzw. digitale Formate umstiegen. Lustigerweise kaufen jetzt wieder ein paar Leute CDs, weil die einfach günstiger sind. Wenn z. B. die Doppel-CD 20 Euro kostet und die LP-Version dann 60 Euro. Die Leute kaufen ja auch gerne Musik in physischer Form, wollen etwas in der Hand halten. Wenn man Musik als Tonträger kauft, weiß man es ja auch oft mehr zu schätzen. Man nimmt es anders wahr und man setzt sich mehr mit auseinander. Streaming gibt mir immer eher das Gefühl der Hintergrundbeschallung.

Habt ihr im Zusammenhang mit all diesen Dingen im Laden mit Kund*innen Diskussionen, oder kaufen die eben oder nicht?
Diskussionen vielleicht nicht, aber wir reden mit den Leuten schon darüber. Man muss den Leuten ja auch bewusstmachen, dass die höheren Preise nicht von uns ausgehen, und wenn wir eine Platte für 30 Euro verkaufen, am Ende trotzdem nur so 20 % Gewinn bei uns bleiben, um alle Kosten zu decken. Allerdings hören wir öfter, dass manche sagen, dass sie das nicht mehr mitmachen, wenn die Platten so und so viel kosten, und manchmal werden sie dann nicht mehr von ihnen gekauft. Man bemerkt auf jeden Fall aufgrund der Preise einen Rückgang der Menge von verkauften Platten. Früher haben wir auch mal von manchen Titeln 50 Stück und mehr bestellt, jetzt sind es oft nur so 3 bis 5 oder in manchen Fällen auch mal 20, 30, aber in dieser Menge nicht mehr so häufig wie früher. Das Risiko ist größer geworden und die Trends sind schneller vorbei. Wenn man manche Platten nicht in den ersten vier Wochen verkaufen kann, interessieren sie oft später gar nicht mehr.
Eigentlich ist es ja ganz gut, wenn man sich auch als Kund*in mal ein paar Gedanken darüber macht oder sich mit den Händler*innen austauscht, wie (lange) dieses ganze Vinyl-Ding noch so funktionieren kann und wer davon profitiert? Schöner aber ist es, im Plattenladen auch Konzerte sehen zu können. Damit habt ihr ja jetzt wieder angefangen. Warum macht ihr das?
Den Austausch mit Kund*innen finden wir immer wichtig – man wird ja auch über die Jahre ein wenig betriebsblind und kann nicht alles kennen. Ein kleiner Laden lebt vom Austausch. Das macht ja auch noch am meisten Spaß, dass nicht alles nur anonym abläuft und man viele Kund*innen schon seit Jahren kennt. Als wir vor knapp 20 Jahren aufgemacht haben, wollten wir ja immer auch so ein Community-Spot sein, der auch kleinen Künstler*innen eine Plattform gibt, und es sollte immer mehr als ein Plattenladen sein. Wir hatten ja dann viele tolle Shows, Lesungen und Ausstellungen, z. B. mit Peaking Lights, Noveller, Tar Feathers, Lust For Youth, U.S. Girls, David Sims, Sam McPheeters, Pink Reason, Circuit Des Jeux, Aidan Baker, Aaron Cometbus und anderen. Dann war es aber auch manchmal mühsam, weil Leute das mit dem Eintritt doof fanden, und außerdem gab es auch mal mit der hierzulande einschlägig bekannten Verwertungsgesellschaft Stress und wir mussten eine höhere Geldstrafe zahlen etc. Dann wurde es erst einmal ruhig. Jetzt zahlen wir so eine Pauschale und irgendwie hat es uns wieder in den Fingern gejuckt. Ich weiß gar nicht mehr, was unser »Comeback«-Konzert war … Wir hatten aber einige mit Vernissagen verbunden, wo dann Freunde der Künstler*innen gespielt haben und auch wieder tolle Kontakte entstanden sind, z. B. mit Nein Rodere, Jon Collin, Simon Joyner, Ghostbag, Ned Collette, Michael Zerang, Brendan Eder Ensemble, und wir haben wieder Blut geleckt. Es macht ja Spaß und irgendwie ist es auch Bestandteil des Ladens. Austausch, Zusammenarbeit und Musik, eigentlich super.

Die Lust auf Tonträgerhandel nebst Drumherum ist euch also trotz allem noch immer nicht vergangen. Was bringt die Zukunft? Wieder mehr CDs?
Nee – die Lust ist noch nicht vergangen, auch wenn es schwieriger ist als noch vor ein paar Jahren. Aber wenn man keinen Spaß mehr daran hätte und auch keine Lust auf neue Musik, dann könnte man genauso gut zumachen. Ich glaube, das täglich neu Entdeckte und die ganze neue spannende Musik halten alles am Laufen und die damit verbundene Euphorie und kapitalistische Naivität. Vinyl war für uns schon immer eines der besten Medien für die Wiedergabe von Musik. Aber ich denke, die CD wird ein kleines Comeback haben. Wir verkaufen schon wieder mehr CDs (und Tapes), da sie, im Gegensatz zu früher, billiger als LPs sind. Die Leute wollen, wie schon erwähnt, gerne Musik kaufen und haben Lust, etwas in Händen zu halten, auszupacken, anzufassen … Am Ende ist es aber eben auch eine Budgetfrage, die dem Fetisch LP entgegensteht. Ich denke, wenn die Preise für LPs wieder fairer werden, kaufen die Leute auch wieder mehr Platten. Es ist schon ein Luxusgut geworden. Wenn ich mir vorstelle, ich würde jetzt studieren oder eine Ausbildung machen, wäre es kaum möglich, neue Musik auf Platte zu entdecken und zu kaufen.
Okay, zum Abschluss und zum Ende des Jahres, auch wenn es noch nicht so weit ist, vielleicht fünf Veröffentlichungen aus 2025, die euch beeindruckt haben und die ihr deshalb empfehlen würdet.
Das ist echt immer schwer. Ich muss das Ganze ja noch einmal Revue passieren lassen. Waren echt viele gute Platten dieses Jahr … [nach Rücksprache]:
Roberts Top 5, 2025
- FACS: »Wish Defense« (Trouble In Mind Records)
- Jason Calhoun & Foresteppe: »A Four Part Cure« (Florabelle Records)
- Old Saw: »The Wringing Cloth« (Lobby Art)
- Aleksandra Ionowa: »Improvisations On The Grand Piano« (Puro Recordings)
- Annie A: »The Wind That Had Not Touched Land« (A Colourful Storm)
Normans Top 5, 2025
- Akira Sakata & Giotis Damianidis: »Adyton« (Aguirre Records)
- Nina Garcia: »Bye Bye Bird« (Ideologic Organ)
- Jemima: »Even The Dog Knows« (All Night Flight Records)
- De Vlaamse Primitieven: »Lucht van een andere planeet« (Carbon Records)
- Kroppskännedom: »Kroppskännedom« (MORC Records)
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