© amour fou vienna gmbh
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Graz ohne Waltz(er) …

... aber dafür mit spannenden Debutfilmen, bewährt Hochqualitativem und einem Hauch Pulp. Eine kurze Einführung in die Diagonale, das Festival des österreichischen Films // 12. - 17. März 2013 // Graz

Natürlich ist der doppelte Oscar für Österreich ein Thema. Mindestens zweimal hört man, dass Haneke nicht da sein wird (»Amour« natürlich schon) und nein, Christoph Waltz schon gar nicht. Dafür ist Ulrich Seidl da, gleich dreifach. Der dritte Teil seiner Paradies-Trilogie ist nicht nur Eröffnungsfilm, die Diagonale erfüllt auch Seidls Wunsch einer Sondervorstellung. Am 15. März wird im Grazer Schubertkino die komplette Trilogie »Liebe, Glaube, Hoffnung« gezeigt. Acht Stunden Ulrich Seidl, das ist definitiv eine Kinoerfahrung. Außerdem gibt es Stefan Ruzowitzkys Hollywoodfingerübung »Cold Blood« zu sehen. Deswegen geht man zwar sicher nicht zur Diagonale, aber es illustriert einmal mehr, dass der österreichische Filme allen Unkenrufen zum Trotz eben doch goldenen Boden hat. Einen oscargoldenen sogar.

Vielfalt im Kommen
Was tut sich abseits der großen Namen? Sehr viel, meint Festivalleiterin Barbara Pichler. Der Wettbewerb umfasst 98 Filme, davon sind 38 Uraufführungen und 21 österreichische Erstaufführungen. Zwar sind zwei Drittel davon Kurzfilme, doch der Trend, so Pichler, gehe immer mehr zu »Mittellangfilmen«. Zu den erklärten Lieblingen der Festivalpräsidentin zählen »Der Glanz des Tages« von Tizza Covi und Rainer Frimmel und »Das Haus meines Vaters« von Ludwig Wüst, zwei eigenwillige und präzise Familienfilme (im weitesten Sinne). Und natürlich liegt Pichler der Nachwuchs am Herzen, heuer in der Spielfilmschiene mit vier Werken vertreten (von Hüseyin Tabak, Daniel Hoesl, Katharina Mücksein, Peter Brunner). Diese vier Werke zeigten laut Pichler nicht nur eine beeindruckende »Vielfalt der Ausdrucksweisen«, sondern würden auch eindeutig die Frage beantworten, ob denn nach Haneke und Seidl »eh etwas Brauchbares« nachkäme. (Wer jetzt nicht weiß, wie die Antwort ausfällt, muss unbedingt zur Diagonale.)
Geradezu üppig auch die Dokumentarfilmschiene, traditionell sowieso ein Steckenpferd des österreichischen Films. Die türkische Grenzerkundung »1+8« von Angelika Brudniak und Cynthia Madansky zählt ebenso zu den heißen Tipps wie die Spurensuche nach den Lebensrealitäten binationaler Paare von Anja Salomonowitz (»Die 727 Tage ohne Karamo«) oder der Einblick in den Alltag des volkstümlichen Schlagerstars Marc Pircher (»Schagerstar« von Marco Antoniazzi und Gregor Stadlober). Vom Kurzdokumentarfilm (immerhin doch 55 Minuten lang, ergo ein »Mittellangfilm«) »Nella Fantasia« stammt das heurige Sujet, ein Blick auf die nebenverhangene Nordsee. »Nella Fantasia« dokumentiert den Alltag auf einer Bohrinsel. Unkommentiert. »Das muss man im Kino gesehen haben«, empfiehlt Barbara Pichler.
Abseits der Wettbewerbsschiene wird gemeinsam mit dem Wiener Filmmuseum einer der interessantesten Workaholics des deutschen Films, Dominik Graf, präsentiert. Bei der Diagonale gibt es vor allem den Kriminalfilm-Graf zu sehen, darunter sein größter Hit »Die Katze« (mit Götz George und Gudrun Landgrebe), aber auch weniger bekannte Werke wie »Die Beute« oder »Das unsichtbare Mädchen«. In zwei Personalen wird jeweils das Gesamtwerk von Experimentalfilmer Josef Dabernig und Digitalkünstlerin Michaela Grill geehrt. Dem gebürtigen Wiener Paul Czinner, 1934 von den Nazis vertrieben, ist gemeinsam mit der SYNEMA Buchreihe eine Würdigung gewidmet. Außerdem geht die Reihe »Shooting Women – Weibliche Pioniere des österreichischen Films« in die dritte Reihe, kuratiert übrigens von skug-Readable Redakteur Thomas Ballhausen, unter anderem mit Filmen von Kathrin Resetarits, Käthe Kratz oder Valie Export.

The Return of the Bride of Schamlos
Apropos skug: der schrillste Programmbeitrag zur diesjährigen Diagonale wird von slash-Filmfestivalmacher Markus Keuschnigg und dem langjährigen skug-Autor Paul Poet kuratiert. »Austrian Pulp« bietet Anarchisches, Untergriffiges, Obszönes, Bizarres. Vier Filmbeispiele werden gezeigt, darunter »Schamlos« von der österreichischen Exploitation-Legende Eddy Sallers, weiters der österreichische Twilight-Vorläufer »Die Wölfin vom Teufelsmoor« (Helmut Pfandler, 1978) und zwei Filme der Garagen-Splatter-Filmers Caro B. aka Carl Andersen aus den 1980ern (nachträglich Oscarverdächtig alleine die Titelgebung: »I Was A Teenage Zabbadoing«, übrigens nur das erste Zehntel des gesamten Filmtitels). Diese letzten zwei Filme laufen übrigens unter strengem Jugendverbot. Keuschnigg und Poet erhoffen sich von dieser Schiene (und dem parallel gegründeten, fiktiven »Institut Schamlos«) eine Rehabilitation jener zahlreichen österreichischen Filme, die trotz eines erkennbaren Autorenhandwerks wegen ihrer schamlosen, wüsten, wilden Inhalte stets ausgeblendet wurden.

Das komplette Diagonale-Programm gibt es hier: www.diagonale.at

Fotos:
»Paradies:Hoffnung« von Ulrich Seidl
»Die 727 Tage ohne Karamo« von Anja Salomonowitz
»Der Glanz des Tages« von Tizza Covi und Rainer Frimmel
»Die Wölfin vom Teufelsmoor« von Helmut Pfandler (1978)

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