»Wir sehen einen Eisberg aus dem Meer ragen und haben nur eine Vorstellung davon, wie dieser Körper unter Wasser aussieht. Genau dieser Körper unter Wasser ist das, was mich interessiert,« stellt Brigitta Bödenauer zu Beginn unseres Gesprächs fest. Und weiter: »Ich weiß nicht, wie ein Eisberg unter Wasser klingt. Aber ich könnte Stunden damit verbringen, es mir vorzustellen.« In der Regel birgt bereits diese Herangehensweise der in Niederösterreich aufgewachsenen Künstlerin eine gewisse Zeitlosigkeit in sich, denn ihre Arbeiten machen stets auch die Haptik des jeweiligen Mediums greifbar. Ein Beispiel dafür ist »How far is 12 cm« (2012), eine Performance und Installation, die gemeinsam mit Peter Kutin endstanden ist. »Anstatt eines Films haben wir motorisierte Objekte zwischen Leinwand und Filmlinse gesetzt und über Motoren per Computer angesteuert. Außerdem haben sich Projektorenarme begonnen zu bewegen und haben dabei leere Filmspulen transportiert. Dadurch wurden die Schatten dieser mechanischen Teile ein Teil der Animation im Raum.« Ähnlich verhält es sich bei »Stranded« (2015), das auf einer nicht hörbaren Komposition basiert: Dabei werden »im Raum gespannte, sehr dünne und einige Meter lange Fäden über Lautsprechermembrane in Schwingungen versetzt. Beim Konzert gibt es also zwei Kompositionen – eine für diese Fäden und eine für die Ohren. Da die Fäden von UV-Licht beleuchtet werden, werfen sie keine Schatten, sondern beginnen zu fluoreszieren.« Auch hier steht die Abwesenheit des eigentlichen Mediums im Zentrum – der unsichtbare und unhörbare Körper des Eisbergs.

Neben dem Spiel mit Leerstellen stellt auch das Spannungsverhältnis zwischen Materiellem und Immateriellem einen zentralen Aspekt in Brigitta Bödenauers Arbeit dar. Gleich, ob »Stranded« als Installation oder als Performance aufgeführt wird, passt die Künstlerin den Aufbau an den jeweiligen Ort an – auch »weil sehr viele physikalische Aspekte wie Temperatur oder die Neigung der Fäden eine große Rolle spielen.« Dabei geht es Bödenauer aber nicht darum, die nicht hörbare Komposition zu visualisieren. »Ich komponiere eine Choreografie für die Fäden und Schwingungen, die wiederum beim Betrachten einen Rhythmus in einem Menschen auslösen kann. Durch die Trägheit unserer Augen wird dann irgendwann unklar, ist das jetzt materiell oder immateriell? Man sieht nur mehr die Schlieren der Fäden, aber dann werden die Schwingungen immer größer und es entstehen regelrechte Tunnel.« Bödenauer ist es wichtig, die entstehenden Muster immer wieder aufzubrechen – »ein störendes Zittern zu erzeugen«, wie sie es nennt. »Je nachdem, wie das Publikum auf diese Arbeit blickt, schauen diese Figuren sehr unterschiedlich aus,« erzählt die Musikerin. »Um jetzt den Bogen zurück zum Eisberg zu spannen – ich fand es schön, das Publikum zu beobachten: Kleine Kinder haben begonnen zu tanzen, ältere Herren haben von ihrer Segelreise und den Wellen erzählt, Tänzerinnen von ihren Choreografien. Dabei habe ich immer versucht, eine gewisse Störung in der Komposition zu berücksichtigen. Aber das ist natürlich schwierig.« Es überrascht also kaum, dass die Arbeiten von Bödenauer ihr Publikum herausfordern: »das Unsagbare durch Stimmungen auszudrücken«, dabei aber auch laufend zu hinterfragen und gewohnte Muster aufzubrechen.
Räume und Rollen
In Erscheinung trat Brigitta Bödenauer ab 1991 zu Beginn vor allem als DJ für experimentelle Elektronik, Industrial und Noise. In ihren Sets schichtete sie bereits damals mehrere Tonebenen übereinander, um vor Ort komplexe Hörstücke aus sehr unterschiedlichen Klangquellen zu erzeugen. Der Schritt in Richtung Klangkunst ergab sich aber erst ein paar Jahre später durch die Zusammenarbeit mit Peter Rehberg. »Ich war immer schon besessen von Radio und Musik. Also bin ich viel vor dem Radio gesessen, habe mitgeschnitten, wieder neu überspielt und Cut-ups gemacht. Das war gewissermaßen mein kindlicher Zugang. Später ist dann gemeinsam mit Peter Rehberg mein erstes Hörstück entstanden: Cut-ups mit einer Tonbandmaschine. Das hat wirklich Spaß gemacht und ich habe dann begonnen, vermehrt eigene Aufnahmen in meine DJ-Sets zu integrieren.« Für ihre Auseinandersetzung mit Film war aber auch das Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften prägend: »Ich wurde zum ersten Mal mit Kunst und Experimentalfilm aus Nordosteuropa konfrontiert. Was mich dabei besonders fasziniert hat, waren die russischen und polnischen Bühnenbilder und Kostüme des beginnenden 20. Jahrhunderts. Neben dem Dadaismus habe ich mich aber auch für den Wiener Kinetismus interessiert, weil er versucht hat, Bewegung und Zeit innerhalb eines Bildes auszudrücken. Ich hatte das Gefühl, dass die experimentelle Filmszene in Wien zu dieser Zeit von sehr ähnlichen Kunstströmungen beeinflusst war.« Für Brigitta Bödenauer sind die frühen 1990er-Jahre eine Zeit des Aufbruchs, in der sich neue Räume geöffnet haben. »In dieser Zeit wurden viele Räume wie das Flex Café, die Public Netbase oder die Blue Box vorwiegend für andere Zwecke verwendet. Das Experimentieren mit Musik ist also in Räumen entstanden, in denen bereits Soziales stattfand. Durch das langsame Wegbewegen der Szene hin zu Offspaces und Galerien wurde das Zufallspublikum seitdem immer weniger. Damals war man ja permanent mit dem Publikum konfrontiert – entweder jemand kam her und stellte unerwartete Fragen wie: ›Das ist ja toll, wer ist das denn?‹, oder man wurde angepöbelt. Damals gab es nicht diese Bubble wie jetzt bei einem kleinen Galeriekonzert.«

Über die Jahre hat Brigitta Bödenauer eine sehr individuelle Arbeitsweise entwickelt. »Ich gehe meistens von einem Klang oder kleinen Geräuschen aus – oder von kurzen rhythmischen oder melodischen Phrasen. Das können im Studio aufgenommene Foley-Sounds sein, Field Recordings oder auch digital mit Synthesizern generierte Klänge. Ich beginne mit diesem sehr kleinen Element und modelliere es mit technisch mehr oder weniger komplexen Werkzeugen so lange, bis es für mich etwas Greifbares, beinahe Körperhaftes bekommt. Dieser Prozess kann sich über ein paar Tage, manchmal aber auch über Wochen hinziehen. Irgendwann habe ich dann das Gefühl, dass dieses Element zu einem Impulsgeber geworden ist, der meine weitere Dramaturgie bestimmt. Ich entscheide also erst nach der Klangerstellung, wie meine Komposition aussehen wird.« Für die Komposition ist es also weniger entscheidend, ob es sich beim Ausgangsmaterial um organische oder synthetische Klänge handelt, sondern welche Rolle der jeweilige Klang in der Komposition einnimmt. »Ich schaffe eine Haupt- oder Nebenrolle, um die herum ich dann langsam beginne, Handlungen aufzubauen.« Auch hier greifen filmische und musikalische Strategien nahtlos ineinander. Brigitta Bödenauer beschreibt das so: »Ich finde es reizvoll, wenn man Klangquellen nicht mehr zuordnen kann und damit ein Raum für trügerische Bilder und Vorstellungskraft entsteht. Im Grunde habe ich visuell immer gerne Hybridformen verwendet, also beispielsweise eine visuelle Programmierumgebung kombiniert mit analogen Animationstechniken, zum Beispiel Kreide.« Ähnlich verhält es sich auch in der Musik, etwa bei der Zusammenarbeit mit der Bassklarinettistin Susanna Gartmayer (erschienen 2020 auf Moozak). Auf »And time fell out of their mouth« häuft Brigitta Bödenauer Schicht um Schicht ihrer Klangmaterialien an und verkeilt dabei Stimmen, Field Recordings und synthetische Klänge geschickt ineinander. Die Spannung, die sich aus diesem tonalen Compound ergibt, trägt dann auch das Stück bis zum Schluss, bevor es am Ende doch noch klirrend in Einzelteile zerfällt und sich mit Blick auf die Eisberge in der Brandung auflöst.
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