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Gelebte Unschärferelationen

Die Wiener Elektronikband Thilges3 verortet die Risse in der »Offenen Gesellschaft«

Seit 1996 sind Gammon, Nik Hummer und Armin Steiner Thilges3. Der Name geht auf eine gemeinsame Bekannte zurück, die sie als Band zusammenbrachte. Kürzlich ist auf Staubgold ihr Debüt »Die Offene Gesellschaft« erschienen. Aber eigentlich nutzen sie in regelmäßigen Abständen das Mini-CD-Format zur Dokumentation ihrer Konzerte. So entstand eine zusammenhängende, zehnteilige Reihe. Weiters erschienen 2000 »Johanna Zyklus« (eine Theaterproduktion für das Bayrische Schauspielhaus) und 2001 »Polka« (Staalplaat).

Thilges3 verwenden Musik als offensichtlichstes Tool einer »Sozioakustik«, die Anfang und Ende einer soziologischen Prozesskette ist. Dadurch entstehen episodisch autonome Zonen. Zwar wird das Konzert dokumentiert, nicht aber die Einstellungen, was bei ihren nichtspeicherbaren analogen Steck-Modularsystemen verheerend sein kann: Weg ist weg.

Situationen schaffen Unschärfen, machen Relationen deutlich, sind Transformationen von kommunikativen Aggregatszuständen. Beim Auftritt im Wiener Museum für Angewandte Kunst 2001 spielte eine Militärkapelle auf, während im anderen Raum die ankommenden Signale zur minimalen Analogtechno-Session verarbeitet wurden. Auf der »phonoTAKTIK« ’02 spielten sie mit 2003 Musikern – Thilges3 schickten den Sound von 2000 Grillen durch ihre Steckmodule.

Als nächste Aktionen sind geplant: eine quadrophonische Radiosendung für das »Kunstradio« simultan in FM4 und Ö1 und eine Soundstation auf der diesjährigen Diagonale. Im Juni ist dann der zehnte und abschließende Teil der MCD-Serie plus Aktion geplant. Be aware!

Die CD »Die Offene Gesellschaft« ist ein Werk, das um fünf kommunikativ-soziale Zustände kreist: Kindergarten, Alterheim, buddhistisches Kloster, Gefängnis und Studio. Anschließend wurde in die elektronische Klang-DNS dieser Matrix hineingezoomt. Die offensichtlichen Gegensätze (unkontrolliertes Erleben – Abgeklärtheit/ bewusste Ausgrenzung – erlebte Kontrolle) sind Andockstellen zu den gegenseitigen Transformationen, Verweise auf den Grazer Dichter Gunter Falk liefern die nötige Bodenhaftung. Die eingebauten O-Töne lassen divergente Geräuschkulissen entstehen, die die soziale Bandbreite mit emotionaler Verträglichkeit vermengen.

Thilges3 vermessen geografische wie psychografische Räume. Sie verstehen sich als Konzeptualisten und sind gerade deshalb eine Live-Band. Da passt ihr neues Projekt Metalycee gut dazu wo sie mittels Laptops metallisierte Soundwälle aufbauen, bei denen (frühe) Plastikman-Releases auf Dub-infizierte Makrostrukturen treffen. Steiner über Thilges‘ »Metal«-Projekt: »Metalycee ist unser Umgang mit Aggressionen und mit Stilrichtungen, die man gut kennt. Es ist Sampling im klassischen Sinn.« Bei DJ-Sets nach einer Metalycee-Party dröhnen dann auch Bands wie Queens Of The Stoneage oder Slint durch die Boxen.

>> Thilges 3
>> »Die Offene Gesellschaft«; Staubgold
Vertrieb: >> Audiomat | >> mdos

Home / Musik / Artikel

Text
Heinrich Deisl

Veröffentlichung
11.08.2004

Schlagwörter

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