All Fotos © Stefan Koroschetz
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Friede, Freude, Muskateller

Ein Erlebnisaufsatz...


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Bohatsch & Skrepek wagen sich trotz Restalkohols auf die vom Regen angesoffene Waldbühne

Heuer wuchs dem traditionell unter dem Motto Musik.Natur.Theater stehenden Festival am nördlichsten Punkt Österreichs der siebente Jahresring, womit sich auch ein neuer Besucherrekord einstellte. Wie bereits 2011 auf skug.at genauer ausgeführt, handelt es sich bei dieser Inszenierung rund um den Herrensee um ein tadellos organisiertes Spektakel, bei dem unter Berufung auf die Brüder Johann und Josef Schrammel sowie deren Vater Kaspar, der Schrammelmusik und allen Genres, die sich auch nur im Entferntesten aus dieser Traditionslinie entwickelt haben, gehuldigt wird. Eröffnet wurde das Festival wie üblich auf der großen Bühne im Herrensee-Theater von Hans Theessink & Ernst Molden, die sich an diesem lauen Sommerabend lustvoll durch ihr Programm »Outlawsongs & Gaunernummern« spielten. Es ist erstaunlich wie gut die beiden doch recht unterschiedlichen Sänger/Songwriter miteinander harmonieren.

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Pudelfrisurträger Hans Theessink und Hutträger Ernst Molden

Zweiter Act auf der großen Bühne war das wortgewaltige Trio Lepschi. »Weil der Ernst nämlich daheim bleibt, während sich die Marie einen Karl macht. Sie geht auf Lepschi«. Die an der Manie des Schüttelreimens erkrankten Brüder Stefan und Thomas Slupetzky und der umtriebige Martin Zrost präsentieren vor allem ihr aktuelles Album »Warz und Schweiss«(Hoanzl), dessen Texte fast alle ausschließlich aus Schüttelreimen bestehen. Den Erfordernissen des Reims geschuldet, kommt es dabei zu so mancher Unkorrektheit und Obszönität. Großen Unterhaltungswert hat das allemal, besonders das mit französischen Akzent im Stil eines Gilbert Becaud präsentierte Stück »Fernsehkoch« (Textprobe: »Merke: ist das Fleischerl bockig/wird auch meist das Beischerl flockig!/ Drum gehört auch das Kalb gehackt/ Gut faschiert ist halb gegackt«). Den Abschluss am Freitag machte wieder die Schrammel.Jam.Session, bei der so genannte Packl-Formationen und Natursänger gemeinsam mit dem Publikum am Heurigenbankerl sitzend bei dem einen oder anderen Achterl Veltliner sangen und dudelten. Bravourös erledigt haben diesen Job heuer das Duo Horacek & Gradinger, Bäuml & Koschelu mit Kurt Girk und Willi Lehner, dabei ergab sich die seltene Gelegenheit, den an der Quetschn eh omnipräsenten Walther Soyka singen zu hören. An dieser Stelle kam – spät aber sicher – die doppelhalsige, für das Wienerlied existenzielle Kontragitarre zum Einsatz. Als es mich nach zwei Uhr morgens in Richtung Campingplatz zog, erreichten die nicht mehr ganz jungen Buben gerade Betriebstemperatur.

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Das Trio Lepschi macht sich und dem Publikum einen Karl

Inspiration und Transpiration durch Improvisation
Nicht ganz so aufgeheizt begann der Samstag – nämlich mit Regen – was den geplanten Ablauf gehörig durcheinanderbrachte. Die Bühnen am Schrammelpfad und das idyllische Schrammel.Floß waren für zwei bis drei Stunden nicht bespielbar, worauf mit Improvisation reagiert wurde. Beherzt pflanzte sich etwa das blutjunge Quintett Alma um die Schwersten Julia und Marlene Larcherstorfer, in einem überdachten Korridor zwischen zwei Holzhütten auf und absolvierte dort ihren, für das Floß geplanten, vor Spielfreude nur so sprühenden Auftritt. Das breit gefächerte Repertoire von Alma reicht dabei von uralten, traditionellen Melodien über Eigenkompositionen und Jodler bis zu neuarrangierten, bekannten Stücken. Sehr erfrischend. An selber Stelle (während andere Formationen auf die große Bühne auswichen) fand sich anschließend spontan das Euro-Folk-Männer-Quartett Hotel Palindrone ein, das mit exotischen Instrumenten (Mandola, Maultrommel, Schalmaien, Drehleier, Bouzouki etc.) aus dem vielfältigen Schatz des Folk schöpft und seine Kompositionen und Arrangements zusätzlich von einem Saxophon veredeln lässt. Mit teils jazzigen Sounds, pulsierendem Bass und innovativen Jodlern verschwimmen bei HP sämtliche Genregrenzen. Weil der Regen zwischendurch pausierte wurde der Auftritt des grundsympathischen Duos Ramsch und Rosen (Julia Lacherstorfer und Simon Zöchbauer) wieder am Floß bestritten. Gstanzln und Lieder von der Alm mit Zither, Trompete, Geige und Bratsche instrumentiert, immer mit den Verständnis fördernden Einleitungsworten versehen, zauberten der kleinen Publikumsschar ein Lächeln ins Gesicht. Bemerkenswert auch, mit welcher Leidenschaft sich die jungen Musiker der Tradition annehmen und aus alten Fundstücken dann doch wieder etwas Neues machen.

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Ramsch und Rosen im Spielrausch

Peter Ahorner und Karl Stirner sind steckten schon tief in ihrer Performance als ich die am manchmal etwas zu laut plätschernden Seezulauf gelegene Schremser-Bier-Bühne erreichte. Die beiden wechselten sich an der Zither ab, wobei der jeweils andere sang bzw. deklamierte. Hauptleser Ahorner, der auch Texte für die Strottern liefert(e), beeindruckte mit präzisen, komischen und kulinarisch aufgeladenen Texten die Hörerschaft, welche den beiden mit Ausdauer noch eine Zugabe abtrotzen konnte.

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Peter Ahorner und Karl Stirner kämpfen akustisch gegen den plätschernden Seezulauf

Rudelbildung bei Dauerregen

Der traditionell stärker hochkulturlastige Samstagabend wurde vom wiederkehrenden Regen empfindlich gestört, damit sind wir bei einem Problem, für dass sich die Veranstalter etwas überlegen sollten: über 6000 Besucher sollen es heuer – über die Tage verteilt – gewesen sein, und die größte Rudelbildung findet naturgemäß abends im Herrenseetheater statt, unter dessen Dach leider bei Regen nicht alle Platz finden. Damit bleibt ein Teil des Publikums, das sich sonst gemütlich auf die Heurigenbänke knotzen kann, buchstäblich im Regen stehen. Es wurden zwar Notfallüberdachungen aufgestellt, davon hätte man sich aber mehr gewünscht. Wie auch immer. Auf der Bühne, vor dem imposanten, vom Klangskulptur-Künstler Constantin Luser konzipierten »Vibrosaurus«, wurde man Zeuge zweier Uraufführungen von Auftragswerken: Neue Wiener Concert Schrammeln & Wolfram Berger mit »Fremd in Wien«, und Wiener Art Schrammeln & Freunde mit »Litschau bleibt Litschau«, angelehnt an Johann Straußens »Wien bleibt Wien«. Ungewöhnlicher Höhepunkt bei den Wiener Art Schrammeln war der Gesang des Countertenors Armin Gramer, der zuletzt mit dem Publikum Hermann Leopoldis »Schnucki, ach Schnucki« (Text: Rudolf Skutajan) intonierte. Es war eine Gesangsperformance am schmalen Grat zwischen Erhabenheit und Lächerlichkeit und damit ein gelungenes Experiment. Klezmer Reloaded (Alexander Shevenko & Maciej Golebiowski) beschlossen den langen Abend launig und empfingen zuletzt noch Impresario Alfred Pfleger (Leiter des Johann Strauß-Ensembles Wien und der Wiener Art Schrammeln) mit seiner Violine. An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass die TontechnikerInnen auf der großen Bühne wahre Wunder vollbringen, wenn man davon ausgeht, dass eine nach drei Seiten hin offene Bühne nicht gerade die beste Voraussetzung für einen glasklaren Sound darstellt.

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Klezmer Reloaded vor dem atemberaubenden »Vibrosaurus«

Wegen des gatschigen Bodens wurde die Nachtwanderung keine solche, sondern »Die 7 Hauplaster und – freuden« mit Kollegium Kalksburg und die glorreichen 4 wurde nur einen Steinwurf von der Hauptbühne entfernt auf einer schrägen Wiese präsentiert. Dabei »unterrichtete« Helmut Bohatsch seine sechs SchülerInnen auf tiefsinnig-schräge Art und Weise in einer textlich-musikalischen Meditation über die Zahl 7 – Numerologie einmal anders!

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Kollegium Kalksburg für einen kurzen Moment ohne Gesang und Geblödel

Auf dera Bühne ziagts da jo die Bock aus!
Der Sonntag lieferte zum Glück kein Wasser mehr von oben, dafür aber jede Menge davon im Untergrund abgespeichert (Zitat Kurt Girk: »Mia hom scho hoate Bretta bespüt, oba auf dera Bühne ziagts da jo die Bock aus«!). Nach den Auftritten von Bohatsch & Skrepek, sowie dem immer wieder überraschenden Kollegium Kalksburg mit dem stimmgewaltigen Vinzenz Wizlsperger, mitten im Wald, war der Abschluss dieser Reise in die Vergangenheit das Stelldichein des »King of Ottakring« Kurt Girk und seinen Spezis Herbert Bäuml und Rudolf Koschelu auf der sogenannten Zetschenwiese. Wienerlied-Dandy Girk (über den auch ein Kurzfilm von Stephan Musser und Harald Burger gezeigt wurde), der sich im neunten Lebensjahrzehnt befindet, präsentiert sich als würdiger Nachfolger der Natursänger bestens gelaunt voller Sing- und Plauderfreude. Was gespielt wird entscheiden die drei spontan, was sich bei einem Mega-Repertoire nicht immer reibungslos gestaltet. Es rennt der Schmäh bei diesen mehr als nur eingespielten älteren Herren, ein Großteil der Lieder widmet sich den Freuden und Leiden des Alkoholgenusses und dem Zwischenmenschlichen in all seinen Facetten. Bei aller Rührigkeit und Hingabe des Trios ist den Texten doch anzuhören, dass diese in einer anderen, längst vergangenen Welt (viele aus der Nachkriegszeit) entstanden sind, wobei sich dem Publikum immer wieder eine vermeintliche Wiener Vorstadtidylle präsentiert, die ganz so sorglos nicht gewesen sein kann. Mit dem Schrecken und Terror des zweiten Weltkriegs im Hintergrund müssen diese Texte aber anders bewertet werden. Am Ende dieser, heute doch eher sentimental anmutenden Akustik-Show, entschuldigte sich »Sir Girk« beinahe: »Ned bös sein, mia spün sunst scho gern bis Mitternocht a, oba mia hom heut no a G’schäft«, womit er einen weiteren Auftritt am Schrammelpfad meinte.

skj.jpg»The King of Ottakring« Kurt Girk mit seinem wesentlich nachlässiger gekleideten Begleitpackl

Die Abschlussperformance – diesmal von Attwenger – (so dehnbar ist das Schrammel- und Wienerliedgenre) fiel wieder mal der öffentlichen Busverbindung zum Opfer. Spätestens am Praterstern finde ich mich wieder in eine urbane Gegenwart katapultiert, die mit der Inszenierung um den Herrensee nur wenig gemeinsam hat. Als Kurzversion der früher üblichen Sommerfrische ist der eskapistische Wochenendausflug an den Herrensee aber immer wieder ein entspanntes Friede – Freude – Muskateller – Erlebnis.

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