Zu Beginn von »Saudi Runaway« sieht man einen Vogel durch einen dreckigen, netzartigen Vorhang. Es ist nicht wirklich klar, ob er eingesperrt ist oder bloß zufällig da. Jedoch ist klar, dass der eigentliche Käfig, um den es hier geht, der ist, in dem die Protagonistin der Dokumentation, Muna, Ende 20, sich befindet. »Does Allah want us to live like a second degree human?« Diese Frage stellt sie sich bzw. den Zuschauer*innen. Und zeigt im Folgenden, warum sie nicht mehr als Mensch zweiter Klasse leben will und wie sie sich auf die Flucht aus dem ultrakonservativen, hyperpatriarchalen Königreich Saudi-Arabien vorbereitet.
Muna benutzt zwei ihrer Smartphones, um ihren ganz normalen Alltag zu dokumentieren und »Beweise« zu sammeln. Beweise von ihrem gewalttätigen Vater, der ihren kleinen Bruder gerne mal verprügelt, bloß weil er die Wohnung verlassen hat. Der ständig schreit. Der alles bis ins Kleinste kontrolliert, ohne dessen Zustimmung sie kaum in der Nase bohren kann. Ihr Leben findet größtenteils in ihren vier Wänden statt, in den Supermarkt darf sie nur mit seiner Begleitung, einen dieser neuen Führerscheine für Frauen kann sie auch nicht machen, denn dazu bräuchte sie auch seine Zustimmung. Und ohnehin wissen alle Männer: »Sie würde das Auto sowieso nur kaputt machen.«
Ein Leben unter Aufsicht
Ihr kleiner Bruder ist froh, keine Frau zu sein. Ihre Oma meint, sie solle bloß auf ihren Glauben vertrauen, dann würde sich alles fügen. Doch dann wird sie zu einer Heirat gedrängt, was bedeuten würde, dass jemand, den sie nicht kennt, nun darüber entscheidet, was sie tun darf und was nicht. Und das ist nicht viel. Sie entscheidet sich, endlich zu flüchten. Problem: Ihr Ausweis läuft bald ab. Und: bei einer Ausreise aus Saudi-Arabien wird sofort die männliche »Aufsichtsperson« benachrichtigt und der Flug von ihr storniert. Doch Muna hat einen Plan …
Das Problem ist ein männliches. Umso schöner zu sehen, dass es vor allem Frauen sind, die in einer Welt der Männer zu Heldinnen werden. Muna ist so eine Heldin. Und Regisseurin Susanne Regina Meures hilft ihr, die heimlich, selbst in größter Gefahr aufgenommenen Videos zu einem äußerst mitreißenden Film zu verarbeiten.
Link: https://www.berlinale.de/de/programm/programm/detail.html?film_id=202008541