Bilanzierung des österreichischen Films im Rahmen des Gedenkjahrs 2104 will (und kann) nur ein Zwischenergebnis sein. Ausgehend von österreichischen Quellen und Produktionen wird hier eine Ûbersicht angeboten, die aus der Perspektive des Archivs formuliert ist. Das Archiv soll dabei einerseits als Trias aus Institution, Sammlung und Praxis angesetzt werden, andererseits, unter Rückgriff auf David Martin, hinsichtlich audiovisueller Quellen als diskursives Dreigespann aus Sammlung, Körper (auch im Sinne einer physischen Beschaffenheit der jeweiligen Quellen) und einer medialen Kartografie, die eine produktive Kritik an progressionslinearer Historiografie möglich macht. Eine entsprechend von der Sammlung her gedachte Aufschlüsselung bietet sich dabei an, ist das analoge Filmmaterial doch immer auch Ausgangspunkt für beispielsweise die Verfügbarkeit auf Online-Plattformen, Restaurierungen, Neuverwendungen und mögliche produktive Rezeption. Die Sammlung des Filmarchiv Austria österreichischer Filmdokumente zum Ersten Weltkrieg, die aufgrund ihrer Qualitäten der Startpunkt dieses Texts sein muss, ist die umfangreichste ihrer Art: Einzigartige Filmquellen aus allen Kriegsjahren sind im Rahmen umfassender Repatriierungs- maßnahmen zusammengetragen, aufgearbeitet und teilweise auch restauriert worden. Dieser sowohl fiktionale als auch dokumentarische Titel umfassende Kernbestand korrespondiert mit der intensiven, fokussierten Auseinandersetzung mit dem österreichischen Film und Kino der Stummfilmzeit. Ergänzende Quellen, wie historische Zeitschriften, Plakate, Aktenmaterialien oder Programme, runden diese Sammlung ab und erlauben ihre wissenschaftliche Edition, Kontext- ualisierung und kritische Befragung.
Historische Quellen
Die Berührungen und Wechselbeziehungen zwischen Film als Medium, Kino als Aufführungskontext und der historischen Periode des Ersten Weltkriegs sind ebenso vielfältig wie fordernd. Schon für den Berichtszeitraum 1914-1918 sind sie inhaltlich wie formal konkret nachweisbar, prägen sie doch so unterschiedliche Bereiche wie die sich verändernden Debatten um den künstlerischen Wert des Films, das Kino als Ort moralischen Verderbens oder eben auch politischer Indienstnahme. Deutlich wurde 2014 erneut, dass im Ersten Weltkrieg eben nicht nur Imperien aneinandergerieten, sondern auch produktionsstarke Filmnationen. Wenig überraschend wird das damals noch sehr junge Medium zur zentralen Ausdrucksform dieses ersten modernen Konflikts. Alle beteiligten Seiten griffen dabei auf bewährte Muster der Kriegsberichterstattung oder der Inszenierung militärischer Ûberlegenheit zurück.
Die ästhetische Erfahrung der Moderne wiederum wird in zahlreichen historischen Belegen – die erstmals im Rahmen eines vom Filmarchiv unterstützten FWF-Projekts für die Erstellung einer Filmografie des Berichtszeitraums tiefenerschlossen werden – mit der Wirklichkeit des militärischen Konflikts verbunden und wiederholt scheint man Soldat sein zu müssen, um die neue Realität, aber vor allem auch Film und Kino in all ihren Facetten, tatsächlich begreifen (und genießen) zu können. Der Krieg als abstraktes Konzept und als geschichtliche Tatsache erweist sich selbst bei oberflächlicher Betrachtung als Katalysator und Indikator medialer Entwicklungen – ausgespart bleibt dabei aber zumeist der Umstand, dass die damit verbundene Dynamik vor allem jene Formen, Formate und Transformationsprozesse begünstigt hat, die sich auch möglichst problemlos in die sich ausbildende, medienübergreifend funktionierende Propagandamaschinerie einbinden lassen. Von dieser Tendenz profitieren nicht nur die zu diesem Zeitpunkt noch jungen filmischen Genres, sondern auch die Ausbildung der Wochenschauen als Option der politisch überformten Berichterstattung und der Dokumentarfilm, der wiederum inhaltlich mit dem erzähllastigen Spielfilm in ein strukturelles Austauschverhältnis tritt: Je länger der Krieg und das gilt eben nicht nur für den Ersten Weltkrieg – andauert, umso mehr dringen dokumentarische Elemente ins Erzählen ein und lassen sich narrative Muster in nichtfiktionalen Darstellungen finden. Nicht zuletzt dieser Umstand schreibt sich ganz deutlich in die Filmgeschichte ein und prägt spätere Beispiele wesentlich. Ob militaristische Propagandastreifen, kritische Reflexionen oder künstlerische Zugriffe, das Ringen um Authentizität ist immer wieder Kriterium der Auseinandersetzung mit Krieg, Moderne und den sich verändernden filmischen Möglichkeiten.
Kontexte, Retrospektiven, Produktionen
Die politische Ûberformung und Instrumentalisierung der modernen Medien förderte eine neue Form von Bildsprache, die weit über die eigentlichen Kriegsjahre hinaus wirksam war – und auch immer noch ist. Neben der Gefahren der Nostalgie, die sich in der Zwischenkriegszeit etwa in der nicht selten überraschend positiven Annäherung an die ehemaligen Herrscherhäuser zeigte, kam die neue Ikonographie des Schreckens nachfolgenden Systemen aber durchaus gelegen. Nicht zuletzt das NS-Regime bediente sich inhaltlich wie auch formal stark an den Themenfelder und Bildwelten des Ersten Weltkriegs. Die militärische Wiederaufrüstung wurde, filmisch gestützt, von einer gedank- lichen begleitet. Kritische Streifen wurden bekämpft, zeigten sie doch in aller Deutlichkeit den Umstand, dass Krieg in letzter Konsequenz immer nur Verlierer kennt. Ein Ausbruch aus ideologischen Vereinnahmungen zeichnet sich, abseits vom Expressionismus, in der filmischen Darstellung des Ersten Weltkriegs klar nach 1945 ab: Verstärkt rücken nun tragische und berührende Einzelschicksale in den Vordergrund, die kühlen machtpolitischen Entscheidungen sind das nach- denklich stimmende Bühnenbild.
Zwischenzeitlich ist die Anzahl von Filmen, die den Ersten Weltkrieg zum Thema haben, fast schon unüberschaubar. Im Rahmen österreichischer Filmschauen wurde auf diese internationalen Titel verstärkt zurückgegriffen: Das Österreichische Filmmuseum zeigte im Jänner 2014 als 75. Programm der Schiene »Utopie Film« einschlägige Klassiker von u.a. Stanley Kubrick oder Lewis Milestone; die zweiteilige Schau des Filmarchiv Austria folgte dann ab Oktober unter dem Titel »Krieg der Bilder. Der Erste Weltkrieg und das Kino« mit einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilmen. Bemerkenswert ist, dass in dieser thematischen Retrospektive neben der Westeuropa- Premiere der russischen Neuproduktionen »World War I: The Suicide of Europe« auch Beispiele wieder zugänglich wurden, die in der Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg bisher eher vernachlässigt worden waren: Die stark auf Archivmaterialien beruhende Produktion »Schulter an Schulter « (1936) ist dahingehend eine wirkliche Wiederentdeckung.
Diese von den staatlichen Zensurbehörden als »kulturell wertvoll« eingestufte Kompilation bot zum Erscheinen des Films eine außergewöhnliche Zusammenschau: Propagandastreifen der Mittelmächte und der Entente war zu einer historischen Abfolge des Kriegsverlaufs montiert worden, Schauplätze wurden ebenso vorgestellt wie die technischen Schrecken der neuen militärischen Wirklichkeit. Ergänzt wurden diese Filmschauen, was die Präsenz österreichischer historischer Filmmaterialien in internationalen Aufführungskontexten betrifft, beispielsweise durch einen Schwerpunktprogramm zum Thema des Winter- und Gebirgskriegs auf dem FIAF-Kongress in Skopje. Der Einsatz österreichischer Titel auf internationalen Festivals lässt schon ab 2013 auf ein besonderes Interesse an Spielfilmen, die den Ersten Weltkrieg zumindest indirekt verhandeln, schließen: Dies gilt etwa für die Schnitzler-Verfilmung »Der junge Medardus« (1923) oder das expressionistische Kammerspiel »Orlac’s Hände« (1925). Ausgehend von aktuellen Informationen der Austrian Film Commission, einem thematischen Grundsatzpapier des ORF und einer Programmbeobachtung für 2014 lassen sich für die Neuproduktionen bislang folgende Ergebnisse beschreiben: Das Schwergewicht der aktuellen Titel liegt, neben Ausnahmen wie Paul Wenningers »Uncanny Valley«, auf dem Spiel- und Dokumentarfilm. Kinoproduktionen wie »Der stille Berg« und »Die Wälder sind noch grün« erreichten ebenso ihr Publikum wie die TV-Spielfilme »Clara Immerwahr « oder »Das Attentat – Sarajevo 1914«. Dokumentarisch dominierten mit europäischen Co-Produktionen wie »14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs« oder »Die Macht der Bilder – Lüge und Propaganda im Ersten Weltkrieg« Arbeiten die Auseinandersetzung, die wesentlich auf historische Archivbestände bauen. Ergänzt wurden diese TV-Angebote um die Wiederausstrahlung einschlägiger Klassiker und thematische Angebote in bestehenden Programmformaten.
2014 – und nun?
Dauerhafte österreichische Filmangebote zum Ersten Weltkrieg bietet neben der österreichischen DVD-Box »Krieg der Bilder « oder der international ausgerichteten DVD-Edition »Erster Weltkrieg Archiv Edition «, die unter Leitung des Deutschen Filminstituts entsteht, in wesentlichen Teilen wohl das Portal European Film Gateway (EFG): Als Teil der Europeana- Gruppe wird hier kostenlos europäisches Filmerbe sprachenübergreifend zugänglich gemacht. Das in den letzten Jahren umgesetzte Folgeprojekt EFG1914 zielte insbesondere auf die Ergänzung um historische Filme zum Ersten Weltkrieg. Wenn man sich die komplexe Copyright-Situation oder die aktuellen Förder- optionen, die immer weniger auf die Unterstützung von Digitalisierungsmaßnahmen Rücksicht nimmt, vor Augen hält, ist es aber wenig überraschend, dass erst 1,5 % des gesamteuropäischen filmischen Erbes digitalisiert vorliegt. Unabhängig von der weiteren Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg in den Folgejahren macht eine erste Einschätzung des Gedenkjahrs deutlich, wie sehr für Film als Medium und historische Quelle immer noch zu sensibilisieren ist. Film, der viel zu häufig als Mittel der reinen Illustration oder störungsfreies Abbild der Wirklichkeit missverstanden wird, ist vor allem auch als Ausdruck seiner eigenen Medialität und Beleg mit diskursivem Eigengewicht zu verstehen.
Editorische Notiz
Die vorliegende Text ist im Rahmen des FWF-Einzelprojekts »›Bewegte‹ Bilder zu Habsburgs letztem Krieg« (Projektleitung: Dr. Hannes Leidinger; Laufzeit: 2013-2016) entstanden.
Austrian Science Fund (FWF): P 25685-G23.