»Zersetzungsmaßnahmen« waren eine Technik des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Hierbei schlichen sich beispielsweise Agenten des MfS nachts in die Wohnungen von politischen Gegnern und stellten Möbel um. Erkannten die Opfer am nächsten Morgen diese meist subtilen Änderungen, dann waren sie in einer Zwickmühle: Beschwerten sie sich, konnten sie leicht als verrückt abgestempelt werden, ließen sie es klaglos zu, akzeptierten sie die intime Bedrohung des sie disziplinierenden Staates. So oder so nahm die intendierte seelische Zersetzung ihren Lauf. Heute, im Jahr 2018, dürfen wir nicht mehr mit beruhigtem Gewissen auf diese Maßnahmen der mitunter euphemistisch-liebevoll »Stasi« genannten Behörde blicken, sondern wir sollten energisch dafür eintreten, dass sich derartige Vorgänge nicht wiederholen. Schlimmerweise sieht es im Moment aber danach aus.
Durchgriff und Bespitzelung
In vier deutschen Bundesländern (Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt) soll ein neues Gesetz installiert werden, mit dem Titel »Polizeiaufgabengesetz« (PAG). In dem werden der Polizei extrem weitgehende Möglichkeiten eingeräumt, um »drohenden Gefahren« zu begegnen. Eine Tendenz bei diesen Gesetzesverschärfungen liegt stets darin, Polizei und Geheimdienste immer mehr ineinanderwachsen zu lassen. In einem Rechtsstaat sollten aber gerade Polizei und Geheimdienst unabhängig voneinander agieren müssen. Somit sollten Polizisten Geheimdienstbeamten nicht weisungsgebunden sein und der Geheimdienst gegebenenfalls auch die Polizei kontrollieren. Das PAG aber baut die Polizei immer mehr zu einem Geheimdienst um.
Bei einer dieser ominösen und juristisch kaum definierten »drohenden Gefahr« dürfen ohne richterlichen Beschluss polizeiliche Maßnahmen gesetzt werden: Inhaftnahmen für mehrere Monate, Wegweisungen und Aufenthaltsverbote, aber auch umgekehrt das Verbot, einen Wohnort zu verlassen. Für alles reicht der bloße Verdacht der Exekutivbeamten. Einspruch können BürgeInnen dagegen nur mit beträchtlichen Schwierigkeiten erheben, was gleichzeitig de facto bedeutet, die Maßnahmen sind für einige Zeit in Kraft. Und tun währenddessen ihre möglicherweise »zersetzende« Wirkung. Darüber hinaus sollen der Polizei nun zahlreiche Bespitzelungen erlaubt werden. So dürfen Vertrauenspersonen in private Kreise eingeschleust werden (ähnlich den berüchtigten »informellen Mitarbeitern« des MfS) und es dürfen vertrauliche Gespräche mit Anwälten, Ärzten oder auch im eigenen Familienkreis mittels Abhörvorrichtungen aufgezeichnet werden (Wanzen sind kaum mehr nötig, die Leute kaufen sich die Geräte ja heute selbst).
Also Krönung wird erlaubt sein, sämtliche private Daten, die in elektronischer Form vorliegen – etwa verschickte Mails –, zu löschen oder auch zu verändern. Dies stelle sich jede/r bitte kurz einmal konkret vor. In einer E-Mail, die man an Freunde, Behörden, Geschäftspartner oder Vorgesetzte geschickt hat, werden Passagen subtil überarbeitet. Etwa kleine Drohungen, Distanzlosigkeiten oder Falschaussagen eingearbeitet. Nichts auffälliges, nur etwa so schwerwiegend wie eine Stehlampe, die nicht mehr links, sondern rechts von der Couch steht. Wird dies geschickt eingefädelt, kann sich daran leicht ein Streit entzünden. Was sollen denn die Opfer solcher Manipulation sagen? »Das habe ich nie geschrieben!« – »Na klar«, werden die erbosten Adressaten süffisant entgegnen, »das war dann wohl die Polizei …« Willkommen in der auch bald bei uns möglichen Big-Brother-Wirklichkeit des Jahres 2018.
Am 10. Mai 2018 wurde übrigens in München gegen das PAG demonstriert, hier der herzhaft ironische Aufruf:
https://youtu.be/UIYaeN0yh-o
Probelauf Hamburg 2017
In dem Dokumentarfilm »Festival der Demokratie« werden im Zusammenhang mit den G20-Protesten 2017 in Hamburg zahlreiche der schon heute üblichen Polizeimaßnahmen gezeigt, die auf der gleichen Linie eines Abbaus rechtstaatlicher Strukturen zu liegen scheinen. Einen Aspekt haben wir allerdings in unserer Besprechung des Films nicht berücksichtigt: Die abgefilmten DemonstrationsteilnehmerInnen mussten alle von den FilmemacherInnen verpixelt werden. Andernfalls könnte der Film zu Strafverfolgung oder zur Einschüchterung eingesetzt werden – je nach Sichtweise. Also die abgefilmten Personen könnten ausgekundschaftet und inhaftiert werden. Nun mag es fraglos der Fall sein, dass auf einer Demonstration rechtswidriges und ahnungswürdiges Verhalten (Sachbeschädigungen, Gewalttaten) stattfinden.
Indem die Ermittlungsbehörden aber versuchen, über Filmaufnahmen Dritter TäterInnen, oder vermeintliche TäterInnen, auszuforschen, entsteht ein Klima, das suggeriert, der Besuch einer Demonstration an sich könne gefährlich werden und mit Inhaftierung enden. Sollte das »Polizeiaufgabengesetz« in Deutschland Wirklichkeit werden – und in Österreich gibt es vergleichbare Bestrebungen –, dann werden damit BürgerInnen abgeschreckt, ihr Demonstrationsrecht wahrzunehmen, denn welche DemonstrantInnen erwecken in Polizeikräften nicht den Verdacht einer »drohenden Gefahr«? In Hamburg führte das Tragen schwarzer Kleidung zu monatelangem Aufenthalt in Untersuchungshaft.
Dies alles ist beklemmend aber leider wahr. Nur, wenn wir uns davon einschüchtern lassen, dann haben die disziplinierenden Maßnahmen bereits gewirkt. Die seelischen Zersetzungsmaßnahmen würden ihr übles Werk vollbringen. Wenn das nun aufregt, widerständig und wütend macht, der begebe sich bitte am 17. Mai ins Wiener Filmcasino. Dort wird skug auf einem Panel die Künstlerin Alexandra Zaitseva und den Regisseur Lars* Kollros begrüßen und dann reden wir über diese gefährliche Entwicklung und die Möglichkeiten, die wir haben, dagegen anzugehen. Darüber hinaus ist der Film auch ziemlich gut, übrigens.Der Abend ist eine gemeinsame Veranstaltung von Salon skug, MALMOE und unserem Sponsor Fritz-Kola. Gefördert wurde mit den Mitteln des Margaretener Kulturausschusses.