Bildausschnitt Wolfgang Paalen: »DYN: Amerindian Number. Heft 4–5«, 1943 © Foto: Rainer Iglar, Museum der Moderne Salzburg
Bildausschnitt Wolfgang Paalen: »DYN: Amerindian Number. Heft 4–5«, 1943 © Foto: Rainer Iglar, Museum der Moderne Salzburg

Exil voller Brüche und Brücken

Wie visualisiert man Exil? Wie zeigt man etwas, das nicht mehr da ist? Eine Tagung im Museum der Moderne Salzburg am 22. und 23. Oktober 2021 brachte Ergebnisse der Recherchen: Selbst gestaltete Zeitungen waren für Exilierte beispielsweise wichtig als Elemente mobiler Öffentlichkeit.

»Die meisten Künstlerinnen mussten sich im Exil neu erfinden. Dabei waren sie die ersten Frauen, die eine künstlerische Ausbildung hatten. Viele Frauen wurden erst später wiederentdeckt, Lotte Laserstein zum Beispiel über ihren Lehrer von der Akademie«, berichtet eine Kuratorin der Ausstellungen zum Thema Exil. »Viele flohen in die Nachbarländer, mussten aber wegen der Expansionsbestrebungen der Nazis rasch ihre Koffer wieder packen. Sie mussten immer weiter weg. Die erste Flucht verlief relativ geordnet und geplant, die zweite Flucht plötzlich und chaotisch. Mögliche Länder waren nicht mehr bereit sie aufzunehmen.« Auf der Tagung »Visualisierung des Exils« legten die Kuratorinnen tapfer ihre Probleme dar: »Wie visualisiert man Exil? Wie können wir etwas zeigen, das nicht da ist? Eine Leerstelle? Wo beginnt und wo endet Exil? Wie kann der Transit visualisiert werden?«

Die beiden Kuratorinnen freuen sich, dass sie »Sachen« für die Sammlung ankaufen konnten, wie zum Beispiel Exemplare von Wolfgang Paalens internationaler Kunstzeitschrift »DYN«, »die wichtig für den abstrakten Expressionismus in Amerika war. In Europa sah man ihn als Theoretiker, nicht mehr als Maler, was es ihm letztlich unmöglich machte, in Europa wieder Fuß zu fassen.« Nach Expeditionen zu Indianerreservaten hatte sich Paalen 1939 in Mexiko niedergelassen. Er war der erste Surrealist, der sich entschieden hatte, Europa zu verlassen – im Gepäck ein Empfehlungsschreiben von André Breton an Leo Trotzki Bronstein. Es gelang Paalen 1940, die erste Surrealismus-Ausstellung in Mexiko zu realisieren. In seiner Zeitschrift ging es um »Möglichkeitsräume«, die er aus der Quantenphysik und räumlichen Strukturen indigener Malerei heraus erfand.

Wolfgang Paalen: »DYN: Amerindian Number. Heft 4–5«, 1943 © Foto: Rainer Iglar, Museum der Moderne Salzburg

Nomadic Furniture

»Wir versuchten visuelle Brücken zwischen vor dem Exil, im Exil und nach dem Exil zu schlagen. Änderungen der künstlerischen Ausdrucksweise. Wie Wege des Transits sich entwickelt haben, Sachen verloren gegangen sind oder nicht mehr transportiert werden konnten«, schüttelt eine Kuratorin etwas frustriert scheinend den Kopf. Dabei konnten die Museumsvertreterinnen durchaus tolle künstlerische Ausdrucksweisen finden. Wie Material zum Handbuch »Nomadic Furniture« von James Hennessey und Victor Papanek – voller Bauanleitungen, um nomadisch leben zu können. Oder das »Immigrants Handbook«, ein Almanach für Emigranten aus dem Aufbau-Verlag.

Der beliebte und bekannte Kinderbuchzeichner Walter Trier (wie in Erich Kästners »Die Konferenz der Tiere«, in dem die Tiere die Kinder entführen, um Frieden zu erzwingen) gestaltete in London die Cover der »Lilliput Hefte« – »bittere Karikaturen, die die aktuelle Kriegslage beschreiben«. Erich Kästner, der in Bad Reichenhall wohnte, weil er aufgrund der Devisenbestimmung kein österreichisches Geld besaß, und Walter Trier, aus London kommend, der Kästner also einladen musste, trafen sich zum letzten Mal in Salzburg. Das Buch »Der kleine Grenzverkehr oder Georg und die Zwischenfälle« über diese Treffen erschien 1938 in der Schweiz. Der gesamte Trier-Nachlass liegt in Toronto in Kanada geparkt, die Art Gallery of Ontario stellte Faksimiles zur Verfügung, die in Europa noch nie gezeigt worden waren. Seltsam »durchgeknallt« im Vergleich zu seinem übrigen Werk, trotz seiner ganzen Anti-Nazi-Cartoons erscheint Walter Triers »Goebbels – in spirits«, in dem Goebbels als Baby in einem Einmachglas mit großen Augen in die Welt sieht! Er schaut ein bisschen wie E.T. aus. Triers satirische Zeichnungen wurden sogar über Kriegsgebieten abgeworfen!

Walter Triers: »Goebbels – in spirits«, in: John Murray (Hg.): »Jeasters in Earnest«, London, 1944 © Foto: Rainer Iglar, Museum der Moderne Salzburg

Mobile Öffentlichkeit

Als schmerzhaft empfanden die Kuratorinnen, dass die National Library of Israel wegen den Covid-Reisebeschränkungen nur Reproduktionen der Zeichnungen von Else Lasker-Schüler schicken konnte, keine Originale. Knittereffekte wie das aufgeklebte Stanniolpapier waren so leider nicht in vollem Ausmaß erlebbar. Die Kuratorinnen stellten eine Häufung bestimmter Motive im Schaffen der Künstler*innen fest, wie zum Beispiel Laufende auf der Straße als Sinnbild für Flucht, Bewegung, Transit. Wie auf Fotos von Lisette Model, die derzeit auch in der Wiener Albertina zu sehen sind, oder von Elly Niebuhr, die im Exil gegen Kurt Schuschnigg auftrat und wegen der zunehmenden Anfeindungen gegen Linke aus Amerika nach Wien zurückkehrte. Niebuhrs nach Auschwitz deportierte Eltern hatten in Budapest eine Leica für sie deponiert, die sie nie erhielt.

Ein ebenfalls wichtiges Ergebnis der ganzen Exil-Recherchen: »Die Bedeutung der Medien Zeitung und Magazin als mobile Öffentlichkeit, als Manifeste einer Präsenz und Vernetzung zwischen Orten und Zeiten«, wie im Katalog »Szenen des Exils« (Verlag der Bibliothek der Provinz 2021) schön beschrieben steht. In der Diskussion unterstrich die Historikerin Helga Embacher, dass die Emigration nicht nur von Emotionen und Kunst, sondern besonders von Rechtlosigkeit und Passverlust geprägt und gekennzeichnet war: »Man war von heute auf morgen rechtlos. Ältere Holocaust-Flüchtlinge waren ja schon von irgendwoher nach Wien gekommen und hatten sich in Wien etwas aufgebaut.« Dann mussten sie wieder los.

Else Lasker-Schüler: »Theben mit Jussuf«, 1923, aus: »Theben. Gedichte und Lithographien« © Foto: Rainer Iglar, Museum der Moderne Salzburg

»Die grauenvollen Exil-Erfahrungen gehen einem sehr nahe«, merkt eine Kuratorin in der Pause an und lässt sich auf einen Sessel plumpsen. »Im Element der Enttäuschung liegt unser Bildungsauftrag« – so sieht das zumindest die neue Direktorin des Wiener Jüdischen Museums, die noch bis April in Augsburg arbeitet. Die Kuratorin des zukünftigen Exil Museums in Berlin bietet dem Museum der Moderne Salzburg und allen Institutionen, die sich mit Exil auseinandersetzen, eine Plattform in Form von Wechselausstellungen an. Der Initiator dieses neuen Museums, das hinter dem Rest des Anhalter-Bahnhofs entsteht, ist ein Kunsthändler. Dort wird der Schwebezustand des Exils und des Transits durch eine virtuelle Schiffspassage, Schnurvorhänge, ein Labyrinth oder schräge Böden, über »Umwege, Abwege, Auswege« visualisiert werden.

Die drei Ausstellungen im Museum der Moderne Salzburg hießen »Auf/Bruch« (2017), »Resonanz von Exil« (2018) und »Orte des Exils« (2020).

Link: https://www.museumdermoderne.at

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