© Lukas Vogt
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Erinnerung an eine Party

Im gewohnten Drei-Jahres-Abstand melden sich International Music, die Cowboys aus’m Pott, mit ihrem neuen Album »Endless Rüttenscheid« zurück. Ein inniger Paartanz zwischen Kummer und Leichtigkeit.

Das Ruhrgebiet, Schmelzpunkt industrieller Geschichte, kultureller Vielfalt und legendären Fußballs, ist für seine Dynamik und Offenheit bekannt. In Städten, die dicht an dicht aneinander liegen, sprechen die Menschen einen vorlaut von der Seite an und meinen es dabei gut. Das Ruhrgebiet steht für Bodenständigkeit und Augenhöhe. Zumindest war das mal so. Die aus Essen stammenden Bandmitglieder Peter Rubel, Pedro Goncalves Crescenti und Joel Roters ehren im Albumtitel jenen Stadtteil, der ihnen eher suspekt als lieb ist. Gilt Rüttenscheid doch als Aushängeschild für das gentrifizierte Aufpolieren einer sonst so ehrlichen Gegend. Die stetige Veränderung ihrer Heimat, verwirrende Folgen des Erwachsenseins und die Gefühle sehnsüchtigen Liebeskummers verarbeiten International Music auf zwölf nostalgiegetriebenen Titeln. 

Ab dem ersten Ton, den »Endless Rüttenscheid« anspielt, werden die Zuhörenden auf eine Zeitreise entführt. Ein Kunststück, das dieser Band mit jedem ihrer Tonträger gelingt. Beeinflusst von jeglichen Rock-Subgenres verbinden die Musiker Altes mit Neuem und lassen Konzepte von Raum und Zeit in Vergessenheit geraten. Sie kreieren einen ganz eigenen Kosmos, der vollkommen ist durch eine verblüffend zielsichere Komposition. Die Stücke sind unberechenbar und abwechslungsreich, sowohl in ihrer Abfolge als auch in sich selbst. 

Und doch wirkt »Endless Rüttenscheid« zugänglicher als seine Vorgänger. Neben heiteren Akzenten gibt es ruhige Momente, eingängige Melodien und behutsamen Gesang. Viele Songs haben, zumindest im Refrain, einen unaufdringlich treibenden Rhythmus. In diesem Beet aus leichtfüßigen Harmonien schlägt so mancher Donner umso lauter ein. Durch das ambivalente Verhältnis zwischen Mehrdeutigkeit und Prägnanz erlangen die Texte ihre ergreifende Wirkung. Es sind keine großen Wortgefüge, derer sich International Music bedient, sondern scharf gesetzte Treffer. Diese müssen nicht immer romantischen Hintergrunds sein. Manchmal reicht ein »Knie kaputt / Frisur ist scheiße / Die besten Jahre sind vorbei«, um sich auszudrücken. Wie im Song »Mont St. Michel«, der auf »Endless Rüttenscheid« in einer Alternativversion dargeboten wird. Akustisch, in Moll sozusagen. Den Anfang macht aber »Kraut«.

© Lukas Vogt

Grenzen werden Übergänge sein

Es sind lässige Surf-Rock-Klänge, die dieses Album einleiten. Mit charmanter Nonchalance spielt sich die Band ein, als würde sie in einer verrauchten Bar auftreten – zu einer Zeit, in der man noch »Diskothek« statt »Club« sagte. Auf die sanftmütig gesungenen Strophen in »Kraut« folgt ein ausladender Refrain, der vom zuvor rasanten Tempo abweicht und in triumphale Langsamkeit übergeht. Ein bekömmlicher Vorgeschmack auf den charakteristischen Sound von International Music, dem eine trügerische Gelassenheit innewohnt. Diese Band ist schließlich nicht dafür bekannt, einen unbeschwert davonkommen zu lassen.

Der erste Einbruch passiert bereits auf dem zweiten Stück des Albums. Die Surfbar weicht verregneten Gassen bei Nacht, die Welt versinkt in Schwarz/Weiß wie ein Film Noir, die E-Gitarre kreischt übersteuert. Würde man jetzt einen Mantel tragen, würde man ihn enger um sich schlingen. Wenn über dem schaurigen Riff die Worte »Ein Gedanke, der gefällt / Ist, dass die Liebe zu dir hält« fallen, fühlt es sich an, als würde Peter Ruben mit einer Geisterhand das Herz umschließen und gnadenlos herausreißen. Jede weitere Zeile verstreut die Einzelteile des Selbst in alle Richtungen; vergeblich warten sie darauf, wieder zusammengefügt zu werden. Doch das geschieht nicht. Stattdessen löst man sich vollkommen auf im Refrain und verschmilzt mit der überwältigenden Kraft von »Fehler«. Für Widerstand ist es längst zu spät. »Endless Rüttenscheid« hat seinen Bann entfacht und öffnet immer mehr Türen in Häusern, die angeblich keine haben.

Der dritte Titel »Guter Ort« überrascht mit New-Wave-Synthies, denen ab der zweiten Strophe plötzlich Conga-Elemente beigefügt werden, sodass sich wirklich niemand mehr auskennt. Es fühlt sich an, als würde International Music neckisch durch die Boxen grinsen. Weil sie toben wie kleine Kinder und es trotzdem funktioniert. Und wenn man sich dann über Titel wie »Karma Karma« oder »Kieselwege« wieder gefangen hat, wieder Boden unter den Füßen spürt und dem Gedanken traut, sich in Sicherheit wiegen zu können, kommt »Im Sommer bin ich dein König«. 

Mit brüchiger Stimme und deutlichen Worten wird eine ungeschönte Verletztheit offenbart, wenigstens für einen Moment. Auf dem vorletzten Lied legt sich noch einmal eine unerträglich schwere Melancholie auf die Brust und raubt den Atem. Bis man im Refrain ein kleines Augenzwinkern vermutet. Beendet wird das Album durch »Unterschied«, eine kräftige Nummer mit Classic-Rock-Flair. Sie setzt am Anfang an und schließt den Kreis, der sich vor allem wie ein Karussell anfühlt. Zerzaust und desorientiert kommt man zur Besinnung, ein bisschen erschöpft vielleicht und mehr als bereit, das Ganze nochmal von vorn durchzumachen. 

Am 12. Oktober 2024 sind International Music live im Flucc zu sehen. Am besten in tanzbaren Schuhen und mit Taschentüchern in petto – nur für den Fall.

Link: https://www.internationalmusic.band/ 

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