Kaum anzunehmen war, dass das 18. Soloalbum von Iggy Pop ein epochales werden könnte. Doch entsteigt auf »Free« ein anderer Iggy, 2019 in Miami sesshaft, dem karibischen Meer. Der 72-Jährige ist nicht mehr der »Post Pop Depression« verfallen, sondern macht es auf magische Weise David Bowie gleich und sorgt für 34 knappe Minuten Kurzweil. Pop löst sich weitgehend aus dem Rockidiom und greift dabei auf Musiker*innen zurück, die er über seine zweistündige Musikshow »Iggy Confidential« für BBC 6 entdeckt hat. Die Avantgarde-Gitarristin und Filmkomponistin Sarah Lipstate aka Noveller sowie Jazz-Trompeter/Komponist Leron Thomas, der das Album produziert hat. Mit düster-sphärischen Synthesizersounds, verhalten freier Jazz-Trompete und Novellers stimmigen Gitarrenscapes beginnt’s und Iggy wirft zunächst nur die Worte »I wanna be free« ein. Gleich darauf schält sich ein trauriger Song heraus. »Loves Missing« ist Verzweiflung pur, eine Frau leidet an ihrem Allein- und Verlorensein. Die Schneidbrennergitarre schmerzt: »Loves Screaming«!
»Glow In The Dark«
Einer kleinen Sensation kommt gleich, dass Iggy Pop nur an diesen ersten beiden Tracks und am Abschlusssong mitgeschrieben hat und eigentlich dem fabelhaften Songwriting Leron Thomasʼ nur seine unvergleichliche Stimme leiht. Thomas hat ihm einige Songs auf den Leib geschrieben. So verkörpert »Sonali« die Rastlosigkeit Iggys, worin sich Synths und Trompetenklänge auf besonders schöne Weise reiben. »James Bond« ist ein nonchalant lässiges Lied, in dem der Geheimagent in eine Art Femme Fatale umgedeutet wird, begleitet von rasiermesserscharfer Gitarre, die sich im Bandgefüge allerdings im Hintergrund hält, und mit umwerfend swingendem Trompetensolo zum Ausklang. Dann zum locker holprigen, Mariachi-Musik zitierenden »Dirty Sanchez«: Hier darf Iggy toll herumalbern und hat sich ausbedungen, selbst die Zweit- und Chorstimme zu singen, ein Fest für den mit allen Wassern gewaschenen Vokalisten. »Glow in The Dark« mit schleichendem Killergitarrenriff glüht tatsächlich abgründig, die Synths flirren, die Gitarre schaltet sich räudig dazu, die Trompete floatet frei und die Lyrics fungieren als Parabel gegen die Ungleichheit auf dieser Welt, die ins Persönliche schwappt. »Page« reflektiert treffend-wundervoll Iggys Künstler- und Popstardasein, wobei das langgezogene »U« im Refrain »Weʼre only human / No longer human« immens abgründig daherkommt.
»Rage, rage against the dying of the light«
Die Sonne geht dank Thomasʼ Trompetensound auch in »We Are The People« auf. Zu sparsam akzentuierten Piano- und Keysprengseln und Trompetenlichtstrahlen rezitiert Iggy Pop das Gedicht von Lou Reed aus 1970. Fatalerweise passen Zeilen wie »We are the people without right / We are the people who have known only lies and desparation« mehr denn je. Aus dieser düsteren Gegenwart weist Dylan Thomasʼ Poem »Do not go gentle into that good night«. Dies klingt irgendwie versöhnlich und ist doch ein Aufruf, sich nichts gefallen zu lassen, gegen Ungerechtigkeit aufzubegehren: »Rage, rage against the dying of the light«. Geisterhaft das Ende, von James Osterberg Jr. geschrieben mit Noveller, deren schemenhafte Guitars Scapes »The Dawn« tragen. Zum Glück, so scheint es, ist es nicht jene Dunkelheit, die David Bowie angesichts des nahenden Todes auf »Blackstar« besang. Es ist zappenduster, die Dunkelheit eine Herausforderung: »To just lay down is to give up« … »If all else fails / It’s good to smile in the dark / Love and sex are gonna occur to you / And neither one will solve the darkness«.
Link: http://iggypop.com/