Die Lounge wird immer weniger, wehmütig fallen da die schwingenden Matratzen aus 2005 ein. Da konnte man noch richtig lungern, itzo haben sie wieder so komische Sperrholzdesigndinger, bitte, gab?s keine Couchen mehr im Waldviertel?
Die Schnitzelsemmeln sind teuer, dreifuffzich Euro ist ein wohl geschmalzener Preis, und vor der Messehalle gibt es: Nichts. Wo letztes Jahr noch ein Slum nachgebaut war, ist heuer nur der Ticketschalter.
Substance Recordstore hat seinen Verkaufsstand nicht mehr im Foyer, sondern eben in der Lounge, was ein bisschen schade ist. Konnten wir letztes Jahr noch aus der großen Halle zu den Plattenkisten flüchten, weil wir Wichtiges zu bereden hatten und dennoch was mitkriegen wollten, schießen wir heuer gerade durch, hinaus auf den Vorplatz. Und kennen uns erstmal gar nicht aus. Wo sind die Substance-Leute? Wo ist der Mensch mit dem ich gerade eben die Weltrevolution diskutiert hatte? Hilfe?
Die akkurat gekleideten Herren von der Sicherheit blieben die selben, die Garde der AufpasserInnen wird immer jünger, aber nett sind sie alle. Andrerseits sind wir das auch. Randale ist nicht. Wozu auch, wenn eh schon alle Revolutionen verfehlt sind.
Das Motto nehmen wir uns zu Herzen.
Wohlan. Der Eröffnungstag sei dünn besucht und von wenig Wucht gewesen, hört man.
Deichkind in Müll habe wohl die Zielgruppe verfehlt und Ja Panik fanden die einen herzig, die anderen bedenklich, die meisten aber verzichtbar. Ja nun, jeder Event muss sich erst Mal warm laufen, also starten wir Donnerstag.
Donnerstag, 29. 4. 2010
In der Minoritenkriche performen Showcase Beat Le Mot über das Mittelalter.
Nun sind Performances dem geschulten Pop-Punk-Kind per se seltsam, weil wenn eh Musik da ist, bräucht?s ja das Schauspiel nicht, und wenn eh Schauspiel da ist, könnte der Musik weniger sein. Aber offen soll das Herz bleiben und gelesen ist der Inhalt, also rein. Dann geht die Töpferscheibe nicht richtig. Gott erschuf den Menschen aus Lehm, deswegen will einer Töpfern. Aber die Scheibe klemmt. Passt zum an die Säule gehängten »Jesus Crisis«-Spruch. Irgendwer wird von einer Art »Schnalzmaschine« geschlagen, und dann schwingt einer die Peitsche. Soso. Darf man hier rauchen? Nicht. Na dann.
In der Messehalle spielen XiuXiu und Deerhof Joy Divisions Debütalbum. Nach. Und zwar eins zu eins. Also wenn die Haus und Hofkapellen des Festivals einfach »Unknown Pleasures« covern, und dabei versuchen, so wie das Original zu klingen, ja verdammich, hätt?s nicht eine echte Blaskapelle besser gemacht? Oder zumindest mehr anders? Und, die Frage stellte ein wohlwissender Redakteur eines österreichischen Musikmagazins, »warum haben?s net des bessere Album g?nommen?«
Gute Güte, man motzt schon wieder, lasst uns einen trinken und Max Tundra hören. Den kleinen Verrückten, der so schnell herumhupft, wie, tja, so eine Blaumeise: mal hier, mal da pickend, mal hier, mal da drückend, hin und her springend. Huch, eine Hupfdohle! Don?t tell anybody, wir haben »Hupfdohle« gedacht. Pssst! Hyperaktive Mikromelodien muss man mögen, aber zumindest gehört haben. Fetzt eh. Einen G?spritzten bitte!
Hoha, Fuck Buttons, große Halle, großer Sound, mächtig laut, mächtig klasse. Andrew Hung und Benjamin John werken an einem Bühnebauteiltisch, stehen sich gegenüber und drücken, wie Raumschiffcommander auf Kampfmodus, die richtigen Knöpfe. Steter Drone höhlt den Stein. Er wird uns drei Tage in den Ohren pfeifen, aber schlecht? Nein. Am Tonmeisteraltar hinten grinsen sie schon recht, weil sie natürlich gestöpselt und geschult seit dem Soundcheck wissen, was kommt.
Überhaupt wird der Satz »da war schon der Soundcheck super« tonangebend sein. Und genauso oft fallen wie »Pfoah, ich muss mal kurz Luft schnappen«.
Bei Dan Deacon sollen wir dann in die Luft schnappen. Der Mann ist spinnert, das ist klar, aber wie er das ist, hat Spaß: »I want you to go down, put your left arm in the air, bend your hand and point on someone who is not doing that« weist er mitten in selbigem das Publikum an. Der Fotograf kriegt?s ab, alle zeigen auf ihn, und dann geht die Party los. Tanzen, springen fröhlich sein. Deacon an Keyboard, Gitarre, ohne Licht, rockt die Kids. Wir sollten zu Panda Bear, aber erst was essen.
Die Nacht versackt uns mit Schnitzelsemmel in den Kantinestühlen. Panda Bear soll gefallen haben. Schön, schön.
Freitag, 30. 4. 2010
Der Sportplatz neben dem Messegelände wird heute mehr von den Kremsern besucht, als womöglich das ganze Festival. Hat jemand eigentlich eine Statistik über die Herkunft des Publikums? Egal, irgendein Match ist, und prompt erklingt?s nach dem Platzsprecher: »Tadadaa, tadadaa, what ever you want«, Status Quo! Teufel auch, lass danken für die dicken Türen! Das zumindest werden sich die Performer von Implied Violence gedacht haben, die seit Sieben im Stadtsaal gegenüber werken.
Freddy Ruppert von Former Ghosts verzweifelt dann irgendwie in der großen Halle. Seine Songs mit minimalistischer Synthiebegleitung hapern, er brüllt ziemlich und ist gestreßt, der ganze Mensch wird von irgendwas umgerissen. Jesus, heult er etwa? Nein … scheiße, ja, das tut er. Tränen rinnen übers Gesicht, er singt vom Ende des Wartens und der Liebe und zieht dabei den Rotz hoch. Womöglich ist der Schmerz ein frischer, ein schlimmer Schiacher, einer der das Auftreten fast unmöglich macht? Wir erfahren es nicht, aber spüren tun wir?s.
»Jemand sollt? ihn umarmen, den Mann« flüstert jemand, und dann kommt was von draußen rein:
Zac Pennington von Parenthetical Girls wird, begleitet von der Kapelle und Performern aus dem Stadtsaal, in die Halle getragen. Aufgebahrt. Sie tragen ihn auf die Bühne und laden ihn ab. Großartig ist das. Sehr seltsam zugleich. Das Konzert, das dem folgt, ist ein selten intimes. Wir verlieben uns in Zac. Wir wollen bitte alle wie Zac sein. Wir wollen überhaupt ein Kollektiv sein! Wir wollen alle ab sofort im Gewande eines dünnen Napoleons eine Bühne beschreiten, und herzzerreißend endlos spielen. Ausdrücken was wir fühlen, und nichts Gutes ist das oft, ohne uns schämen zu müssen. Verzweiflung, Scheitern, Verfall mitteilen!
Mag sein, dass der Mann nicht gerade ein Freund des Refrains ist, und manche seine Stücke weinerlich und viel zu lange finden, aber: Alles was uns nicht gelang, darf einer rauslassen. Wow. Das Leben meint?s heut gut mit uns.
Fritz Ostermayer erzählt in der Kantine von Zac und wir hören lieber ihm zu, als Rufus Wainwright zu huldigen. Am Damenclo, während das Piano schnulzige Melodien erklingen lässt, bringt?s folgender Dialog auf den Punkt: Zwei Damen, frisch tätowiert und daher hingebungsvoll mit dem Eincremen der Peckerl beschäftigt, überlegen, wie es kommt, dass »die fadesten Tunten immer die größten Auftritte kriegen. Weil das is? ja schlimmstes Schlagerniveau.«- »Carmen Nebel tauglich!« – »Weißt was«, ist die Erkenntnis,
»die f….. am besten!«
Ob sich das auch von Scott Mathews behaupten lässt, sei dahingestellt, vor allem weil es vollkommen egal ist. Der lezte Act der Nacht, und wir erinnern an den Film der ihn bekannt machte: In »Shortbus« haben sich am Ende alle lieb. Und Scott hat uns lieb.
Samstag, 1. 5. 2010 strong>
Wenn schon Performance, dann heftig, also nicht lang gefackelt. Es ist der 1. Mai, da darf es leiser sein. Sollte man meinen. Im Stadtsaal findet »The Dorothy K.« von Implied Violence zum letzten Mal statt. Es soll speziell sein, und arg nach Äther stinkend, wird gemunkelt. Schon vor dem eigentlichen Start darf jeder rein, mal schauen gehen, und findet vier Menschen, die in Anstaltskitteln mit schwarzen Masken springen. Auf und ab, am Stand. Mal schneller, mal langsamer. Was es bedeuten soll? Schon mal Angst gehabt? Richtige? Und nicht weggekonnt?
Gegenüber in einer Art Thron dümpelt Hermes Phettberg. Nein, er siecht, sitzt vor sich hin, mit einem Adlatus neben sich kniend. Der ihn streichelt, die Hand hält. Da ist. Draußen stehen Blutegel in einem Glas, daneben Mulltücher und der Äther. Ein Ungetüm von Luster, Krake oder Pflanze aus Sperrholz mit Lämpchen hängt über dem Hauptraum, daneben ein Podest für das Orchester. Die eigentliche Bühne im Hintergrund ist Nebenschauplatz.
Besser noch was trinken gehen. Hm, und klug war das. Sie haben alle Blutegel auf den Armen, es tropft und rinnt, zwei Befehlshaber und überall die springenden Menschen, es wird geschlagen, es wird lamentiert, getanzt, sie ziehen sich tatsächlich Äther rein, und verdammte Kacke, da ist nur noch ein Platz in der ersten Reihe frei! Dem Blut ausweichen, vom Schweiß nichts abkriegen, der Gestank ist unerträglich, aber rausgehen? No way. Es passiert etwas hier. Gewalt, die implizite, die, der wir ohnmächtig ausgesetzt sind, oft, Manche von uns zu oft. Das Hochrappeln und Fallen, das Versuchen und Verlieren … Es ist grauslich, es ist beklemmend, aber so ist es. Von einem Soundcheck redet hier niemand, aber vom Luftschnappen einige. Es gibt Hoffnung, übrigens. Zac Pennington singt sie uns, wie beruhigend. Sie stirbt zuletzt, lange nach unserer Würde …
Flüchten in die Stille und mal Setzen lassen das. »I versteh des ois irgendwie net«, sagt einer, wohl wahr, aber tief geht es dennoch. The Ex, Glenn Branca und Alec Empire waren auch da, ganz fein auch, aber so richtig retten tut das heute nicht mehr. Abtanzen wie anno damals bei Atari Teenage Riot! Aber der Äther, der verdammte Äther, bleibt. Chapeau.