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Die ganze Welt in Krems

Frank London von den Klezmatics war nicht da. Dafür waren Susheela Raman und Souad Massi da. Und statt London hat der Montrealer Posaunist Joe Walsh zum Glatt und Verkehrt-Festival nach Krems gefunden und David Yengibarjan und dessen Ensemble unterstützt.

David Yengibarjan stammt aus Armenien und lebt und musiziert heute in Budapest. Diese Internationalität in einem immer größer werdenden Europa dokumentiert auch seine Begleitband, deren Perkussionist András Dés aus Indien stammt, Bassist Jósef Horváth Barcza ist Ungar. Genauso klang auch die Musik des Ensembles: Eine geglückte Mischung aus Klezmer, Jazzimprovisationen und armenischer Volksmusik. Die langen Soli störten zwar ein wenig – wer einmal einen Posaunisten/Drummer – dabei erlebt hat, weiß was möglich ist -, das gute spielfreudige Gesamtbild des Ensembles wurde dadurch aber nicht getrübt.

Great: Susheela Raman und Carlos Caceres

Dasselbe gilt erst recht für die wunderbare Susheela Raman: Die Inderin in London spielt mit vielen musikalischen Einflüssen der Musikmetropole, repräsentiert durch ihre Mitmusiker: International Bhangra, der die Sandgrube in Krems Bewegung versetzte. Souad Massi betrat als gut gelaunte, nette junge Frau die Bühne. Mit der Rückendeckung durch eine gute Backingband hatte sie keine Schwierigkeiten ihr Publikum, das ohnehin vom ersten Moment an auf ihrer Seite war, bei der Stange zu halten. Weniger Rockambitionen und mehr ruhigere Songs hätten dem an sich guten Konzert sicher nicht geschadet. So überdröhnte die Rockband allzu oft auch Massis schöne Stimme. Dass es auch anders geht, hatte Susheela Raman am Vorabend eindrucksvoll gezeigt. Sehr gut präsentierte sich am vorletzten Abend von Glatt und Verkehrt 2004 die finnische Band Frigg, die mit skandinavischen Traditionals, aber auch mit Pop-Coverversionen im Gewand skandinavischer Volksmusik punktete, weil sie stets auf sehr traditionelle Weise aufspielte. Hyvää!
Einer, nämlich Juan Carlos Caceres, hat in seinem Vertrag hoffentlich eine Überstunden-Klausel stehen gehabt: Den Pianisten aus Argentinien, der in seiner Varianten von Tango und Milonga auch afrikanische Wurzeln gekonnt einfließen ließ, wollte das begeisterte Publikum schlicht nicht mehr von der Bühne lassen: Und wenn die Band am darauffolgenden Tag nicht schon zum nächsten Konzert gemusst hätte, dann würde er noch immer spielen.

Symposium zu Schamanismus, Musik und Trance

Eine ansprechende Breite an Themen bot auch das parallel zum Musik-Festival stattfindende Symposium der Donau-Universität Krems: Prof. Rupert Huber referierte amüsant und interessant über die Musik nepalesischer Schamanen – und schlüpfte anschließend an seinen Vortrag selbst ins Schamanenkostüm! Dass dies mehr als billiger Klamauk war liegt darin begründet, dass Huber tatsächlich ausgebildeter Schamane ist. Die eigentümliche Exotik von Hubers Performance entstand aus der Tatsache, dass ein eben als Wissenschafter Auftretender im nächsten Moment auch in einem Dokumentarfilm über Schamanismus in einem nepalesischen Dorf zu sehen war: Und zwar nicht als Wissenschafter, sondern selbst als Schamane.
Der Berliner Autor und Journalist Marcel Feige referierte bzw. las aus der Sicht des Fans über Techno, dessen Entwicklung und Ursprünge. Er sprach viel über Kraftwerk, Yello und Depeche Mode und versuchte eine Linie von der Kraftwerk’schen Genialität zu den Techno-Dumfpie-Beats zu ziehen. Und das nicht ganz schlüssig, trotz Menschmaschine und Musik mit dem Computer machen et cetera. Nur am Rande parallelisierte er die Beats der Trommel – das Instrument zur Trance – zu den Beat-Per-Minute-Freaks. Dem Einwand aus dem Publikum, dass es 90 Prozent der Technofans eigentlich schon um die Drogen gehe, musste er dann auch trotz Fantum zustimmen.

Ausstellung: Sehnsucht nach dem Paradies

Insgesamt bleibt Glatt und Verkehrt eines der sympathischsten Sommerfestivals – die lauschige Lage im netten Krems, inmitten der Weinberge ist kaum zu schlagen.
Wer sich in Krems befindet, dem sei auch ein Besuch in der dortigen Kunsthalle empfohlen: Dort sind noch bis 24.10 unter dem Titel „Sehnsucht nach dem Paradies“ Werke von Paul Gauguin, Emil Nolde, Max Pechstein und Malern der deutschen Expressionisten: Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Franz Marc, Otto Mueller und Karl Schmidt-Rottluff. Von Gauguin, der hoffte in der Südsee auf Tahiti ein Paradies auf Erden zu finden, musste erkennen, dass die kulturzerstörerischen Auswirkungen des Kolonialismus sich auch damals schon in der Südsee auswirkten. Seine Bilder – in der Kunsthalle Krems ist auch das berühmte Bild „Ihr Name ist Vairaumati“ (1892), eine Leihgabe des Puschkin-Museums Moskau, zu sehen, wurden zu seiner eigenen Projektionsfläche der Hoffnung auf eine bessere Welt und auf ein Leben im Einklang mit der Natur, fernab von bürgerlichen Normen und Konventionen der europäischen Gesellschaft. Das hat die österreichische bildende Künstlerin Susanne Wenger, einem spirituell-künstlerischem Weg folgend, in Afrika gesucht – die sehr empfehlenswerten Kataloge zur Ausstellung informieren darüber.

>> www.kunsthalle.at noch bis 24.10.2004, tägl.: 10.00h – 18.00h
>> www.glattundverkehrt.at

Home / Musik / Artikel

Text
Jürgen Plank

Veröffentlichung
04.08.2004

Schlagwörter

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