Philip Glass und das Kammerorchester InnStrumenti im neuen Schleifzentrum – Kristallfabrik der Zukunft © Swarovski Kristallwelten
Philip Glass und das Kammerorchester InnStrumenti im neuen Schleifzentrum – Kristallfabrik der Zukunft © Swarovski Kristallwelten

Der (ver)doppelte Glass

Ausgerechnet in der beschaulichen Gemeinde Wattens in Tirol gab es am 25. Mai eine Philip-Glass-Sichtung. Der amerikanische Minimal-Music-Meister klemmte sich bei Musik im Riesen höchstselbst hinters Klavier und ließ seine repetitiv-meditativen Piano-Motive perlen. Unter anderem.

Am 25. Mai 2018 gab der berühmte US-Komponist Philip Glass einen seiner Live-Auftritt im Rahmen des Kammermusikfestivals Musik im Riesen. Dass sich diese auratische Ausnahmesituation in Tirol ereignete, hatte gute Gründe. Der künstlerische Leiter des Festivals, das von der Firma Swarovski auf finanziell solide Beine gestellt wird, kennt Philip Glass persönlich. Festival-Leiter Thomas Larcher nennt ihn deshalb auch gerne in Gesprächen und Reden amikal Philip. Darüber hinaus gab einst die Tirol Werbung bei Glass ein Werk in Auftrag, das seit dem Jahr 2000 unter dem Namen »Tirol Concerto for Piano and Orchestra« der offiziellen Tiroler Landeshymne ernsthaft Konkurrenz macht. Die TirolerInnen nennen dieses knapp 27-minütige Konzert liebevoll auch einfach nur »Tirol Concerto« oder »Concerto« und sehen dazu, sobald die Klänge aus ebenjenem ertönen, vor ihrem inneren Auge Wasserfälle, Berggipfel, Schnee und einen umherkreisenden Adler. Kein Wunder, denn Teile des zweiten Satzes durfte den Film »Land im Gebirg’« untermalen, der im heiligen Land vor zahllosen Kinofilmen zu sehen war und zum Teil immer noch ist.

Das führte zu einer Verdoppelung des Phänomens Philip Glass und zugleich zu einer gewissen Beschreibungsratlosigkeit seiner Musik und Person gegenüber. Ebendiese merkt man der lokalen Presse an, die Glass als »internationalen Star der Klassikszene« tituliert und das »Concerto«, vom Tiroler Kammerorchester InnStrumenti unter dem Dirigat von Dennis Russell Davies solide interpretiert, wie selbstverständlich als Höhepunkt des Abends feiert. Dass der Meister Glass zuvor am Klavier, das er aufgrund von Kreislaufproblemen weit später als ursprünglich geplant bespielt hatte, die vorangegangenen Interpretationen von Maki Namekawa, Francesco Prode, Emanuele Torquati und Dennis Russell Davies laut der besagten Zeitung übertrumpfte, passt da sehr gut in das Bild der Tiroler Glass-Rezeption, die zwischen Haus-und-Hofkomponist-Domestizierung und unreflektierter Heldenverehrung oszilliert.

Verblasste Seite
In Tirol verblasst aber dennoch die Seite »des anderen« Glass zunehmend. Als Komponist der heimlichen Landeshymne hat er nur noch wenig gemein mit dem melancholisch-beschwingten Avantgardisten Glass, dessen frühe Kompositionen der Minimal-Music wichtige Impulse gaben. Dass er sich trotz eindeutiger Neutöner-Tendenzen der Atonalität meist widersetzt, macht ihn als Musik-Phänomen nur noch interessanter und sympathischer. Dass ihn Thomas Larcher, selbst Komponist und Anhänger einer modern-schönklingenden Gangart, die potenziell eine breitere Masse als die strikt der historischen Avantgarde und Melodie- und Schönklangzerschlagung verpflichteten sogenannten Neuen Musik erreichen könnte, nach Wattens einlud, ist da durchaus verständlich. Es ging ihm wohl um ein Korrektiv zur geläufigen Tiroler Glass-Wahrnehmung.

Ob sich für diese Intention ein knapp, inklusive ellenlanger und leicht ermüdender Ansprachen, dreistündiger Abend eignete, darf indes in Frage gestellt werden. Auf dem Programm standen sowohl eine Suite aus »Les Enfants Terribles«, für drei Klaviere arrangiert, als auch »Four Movements for Two Pianos«, »Two Movements for Four Pianos« und nicht zuletzt »Mad Rush« für Klavier solo aus dem Jahr 1979, das Glass selbst interpretierte. Als letztes Werk erklang das »Tirol Concerto«. Bis der Musikinteressierte bei dem als historisch inszenierten und angekündigten Abend, schließlich kam besagtes »Concerto« erst zum zweiten Mal in Tirol zur Aufführung, beim wohlbekannten zweiten Satz angekommen war, hatte sich schon bleierne Müdigkeit eingeschlichen.

Vier PianistInnen führten im ausverkauften Schleifzentrum – Kristallfabrik der Zukunft Werke von Philip Glass auf. © Swarovski Kristallwelten

Problematische Zuspitzung
Weniger wäre also mehr gewesen. Zumal sich beim aufmerksamen Zuhören ein interessantes Phänomen einstellte. Man hörte die Klavierstücke nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des anstehenden »Concerto« und glaubte in bestimmten Augenblicken sogar ähnliche Motive zu erkennen. Das »Concerto« steht, so stellte sich schnell heraus, nicht als singuläres Werk abseits des sonstigen Schaffens von Glass, sondern ist ein klarer Teil davon. Glass hatte sich für die Tirol Werbung und angesichts der Schönheit von Tirol nicht neu erfunden, sondern einen Teil seiner bewährten Kompositionskunst in das durchaus ansprechende, wenngleich in Wahrheit nicht weltbewegende Auftragswerk gesteckt.

Die von Medien und PR initiierte Zuspitzung auf diese »Zweitaufführung« tat dem Abend somit insgesamt nicht gut. Sie lenkte die Hörweise und ließ den vorprogrammierten Höhepunkt nur in noch weitere zeitliche Ferne rücken. Die voreilig gezogenen Schlüsse in Bezug auf Ähnlichkeit der Klavierstücke mit dem »Highlight« des Abends ließ die intendierte Klimax kollabieren. Als Glass selbst »Mad Rush« spielte, und tatsächlich mit einem Hauch mehr Seele als seine Abend-Vorgänger, wenngleich ganz offensichtlich und hörbar etwas gesundheitlich angeschlagen und somit auch musikalisch nicht ganz auf der Höhe musizierend, bereitetet er in Wahrheit nicht den Übergang zum Höhepunkt vor, sondern setzte einen möglichen Schlusspunkt zu einem Abend, der an dieser Stelle auch hätte enden können.

Fazit
Der Abend war somit, trotz eindrucksvoller Location (neue Schleifhalle von Swarovski) und einzelner musikalischer Glanzlichter insgesamt nicht wirklich stimmig. Der auratische Auftritt von Glass am Klavier geriet mit rund 13 Minuten deutlich zu kurz. Wer glaubte, dass er in dieser Zeit den wahren Glass entdecken konnte, wurde enttäuscht. Glass interpretierte Glass, nicht mehr und nicht weniger. Auch die ansonsten gewählten Kompositionen konnte des Tiroler Glass-Bild nur bedingt zurechtrücken. Es wirkte so, allein schon durch die Konzeption des Abends, als wären sie nur Beiwerk und Vorbereitung auf das »Concerto«.

Man hatte Philip Glass live auf der Bühne hinter dem Klavier erlebt. Ein nicht alltägliches Ereignis. Man hatte der Zweitaufführung des »Tirol Concerto« beigewohnt. Rein faktisch ebenfalls etwas, das sich nicht monatlich oder jährlich ereignet. Das allein reichte allerdings nicht aus, um auch einen aus rein musikalischer Sicht historischen Abend auf die Bühne zu bringen. Es blieb trotz der Überfülle an gebotenem Material eine gewisse Leere zurück. Man war nach dem Abend, in Hinblick auf das Werk von Philip Glass, so klug als wie zuvor.

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Text
Markus Stegmayr

Veröffentlichung
28.05.2018

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