(c) Lisbeth Kovačič
(c) Lisbeth Kovačič

Der Tod fährt Hochrad

Ein Menschen-Puzzle aus verlorenen Seelen und verschwundenen Leibern. Marcel Odenbachs kleinteilige und großartige Bildererkundungen zu Kolonialismus bzw. NS-Zeit in der Kunsthalle Wien. Noch bis 30. April.

Eine Palmentapete quer über den Saal, aus lauter kleinen Bildern erzeugt, nennt sich »Durchblicke« (2007). Menschengesichter aus der Zeitung ausgeschnitten. »Not enough – we want all« ist eine Titelüberschrift aus so einem Zeitungsausschnitt. Cuts und Cuttings erzeugt der Künstler Marcel Odenbach, der gerade in der Wiener Kunsthalle ausstellt. Scherenschnitte mit Monarchen und Untertanen, Kolonialherren mit weißen Tropenhelmen versus dunkle Gesichter auf Schwarz. Nachbilder afrikanischer Menschen – ähnlich wie wenn man die Augen schließt und an jemanden »Verblichenen« denkt. Dazwischen weiße Papierreste, Splitter, Fragmente, bei denen die Zeichnung durchschimmert. Mehrere Schichten von Palmblättern überlagern einander. Man sieht Tausende kleiner Menschenbilder auf dieser riesigen Palmentapete, aber nur, wenn man nahe herankommt, sie nahe an sich heranlässt.

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Foto: (c) Lisbeth Kovačič

Eine ähnliche Bilder-Strategie findet sich in dem Bild »Die gute Stube« (2011), das Adolf Hitlers Wohnzimmer mit Blick auf den Obersalzberg darstellt. Auch hier, in den Blumen, in der Stehlampe erkennt man Figuren und Totenköpfe, kleine Skelette wie aus mittelalterlichen Darstellungen. Der Tod fährt Hochrad. Sogar die Punkte in der Bast-Rückenlehne von Hitlers Stühlen sind mit Menschengesichtern ausgefüllt. Zeitungsseiten bilden den Himmel hinter den Fenstergittern. Der Plafond ist mit Simplicissimus Titelblättern gespickt.

Bilder statt Worte

»Bei vielen Gelegenheiten ist uns Ûberlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager bewußt geworden, wie wenig uns Worte nutzen, um unsere Erfahrungen zu beschreiben. Ihr ›schlechter Empfang‹ beim Publikum liegt darin begründet, dass es heute in einer Welt der Bilder lebt«, schreibt Primo Levi in seinem Text »Wiedersehen mit den Konzentrationslagern«. »Nur ein Bild kann die eintönige Besessenheit der Scheinwerfer wiedergeben, die das Niemandsland zwischen dem elektrischen Gitter und dem Stacheldraht erleuchten.« Bilder statt Worte? Künstler Marcel Odenbach, dessen Frankfurter Großtanten im KZ ermordet wurden, arbeitet also mit Bildern. Unzählige Stunden muss ihn diese Fitzelarbeit des Zusammentragens von Tausenden kleinen Fotos gekostet haben. Wie ein Menschen-Puzzle aus verlorenen Seelen und verschwundenen Leibern.

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Foto: (c) Lisbeth Kovačič

Auch in seinen Filmen arbeitet Odenbach mit Nachbildern und Ûberblendungen. In seiner Auftragsarbeit für die Kunsthalle, dem Film »Beweis zu nichts« (2017) über das Mahnmal in Buchenwald, wirken viele kindliche Elemente mit. Ein gelber Papierdrache als Fluchtlinie am Himmel, ein blauer Ball, der die Treppe herunterrollt, ein Junge aus dem Warschauer Ghetto, der mit Ohrenhaube und seinem Tretroller in die Kamera schaut. Erst noch lächelt er, dann glitzert ihm eine Träne im Augenwinkel. Viel mehr noch als diese kindlichen Elemente fallen aber die Kreisbewegungen der Kamera auf. In beiden Odenbach-Filmen über Mahnmäler zum Holocaust.

Umkreisung der Einkreisung

Majdanek, das runde Denkmal bei Lublin in Polen, das von der Kamera beschleunigt umkreist wird (»Im Kreise drehen«, 2009) und wie ein unterhalb offenes UFO am Boden hockt. Durch den Film kann einem schwindlig bzw. etwas schlecht werden. Die Inschrift auf dem Denkmal lautet: Unser Schicksal soll euch eine Warnung sein. Dieses schnelle Kamera-Kreisen soll wohl das schnelle Gehen und Vergehen symbolisieren. Leichte Magenrotation. Wir vergehen, nicht die Zeit vergeht. 78.000 Menschen wurden im KZ Majdanek getötet. Die Betonwände strahlen silbern im Regen. Der Durchblick unter dem Denkmal eröffnet grüne Bäume.

Am schönsten in der ganzen Ausstellung ist der Gesang zu einem Gedicht von Ingeborg Bachmann in »Beweis zu nichts«. »Auf dem Rücken der Flüsse. Und die ganze Winterzeit dazu. Es ist gefährlich, angesichts dieses Elends, ihr unerträgliches Leben …«, klingt der Sänger in hohen Tönen. »Die, die den Holocaust erlebt haben, haben immer wieder gesagt, alles habe sie eingekreist, sie hätten das Gefühl gehabt, ständig eingekreist zu werden«, schreibt James E. Young in dem Buch »Mahnmale des Holocaust. Motive, Rituale und Stätten des Gedenkens«. »Das einzige, was ihnen blieb, war der Himmel. Die Deutschen konnten ihn den Himmel nicht nehmen. Zäune wurden für mich zu einer Idee fixe: Die Einzäunung eines Volkes.«

Zur Ausstellung auf www.kunsthallewien.at

Home / Kultur / Kunst

Text
Kerstin Kellermann

Veröffentlichung
06.04.2017

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