»Never Rarely Sometimes Always« © Courtesy of Focus Features
»Never Rarely Sometimes Always« © Courtesy of Focus Features

Der steinige Weg der Selbstbestimmung

Eliza Hittman (»Beach Rats«, 2017) bereitete mit ihrem neuesten Film »Never Rarely Sometimes Always« der Berlinale einen wunderbaren Höhepunkt. Vor allem die völlig unaffektierten und äußerst authentisch spielenden Hauptdarstellerinnen trugen wesentlich zur Grandezza dieses Lichtspiels bei.

Autumn (Sidney Flanigan) und Skylar (Talia Ryder) kommen aus einer kleineren Stadt in Pennsylvania. Autumn lebt in schlechten familiären Verhältnissen, beide jobben neben der Schule Teilzeit in einem Supermarkt mit einem widerlichen Chef, der Skylar sexuell belästigt. Autumns Stiefvater ist brutal und verletzend, ihre Mutter (Sharon Van Etten) keine große Hilfe. Als Autumn ungewollt schwanger wird, kann sie nicht auf die Unterstützung ihrer Familie hoffen und reist mit Skylar nach New York, wo ihr die einzige Möglichkeit einer Abtreibung zu diesem Zeitpunkt der Schwangerschaft bleibt.

»Never Rarely Sometimes Always« © Courtesy of Focus Features

In »Never Rarely Sometimes Always« ist nicht nur die Welt der Männer (Vater, Arbeitgeber, Mitschüler) mehr als eine Zumutung. Auch das erzkonservative, frauen-/menschenverachtende Gesundheitssystem und die moralisch völlig verlotterte Zivilgesellschaft werden dargestellt als das, was sie sind: bloß Steine im Weg des selbstbestimmten Lebens einer Frau. Es ist herzerwärmend, zu sehen, wie Regisseurin Hittman diesen oft gewollten »Rechtfertigungen« für die Abtreibung doch eher wenig Raum gibt. Im Gegenteil: Autumn ist sich klar darüber, dass eine Schwangerschaft nicht in Frage kommt, und daran besteht kein Zweifel. Das zu akzeptieren, ist vorausgesetzt, Autumn wird ernst genommen, sie trifft eine Entscheidung über ihren Körper und daran ist nicht zu rütteln. Warum auch?

»Never Rarely Sometimes Always« © Courtesy of Focus Features

Hittman hat das Thema so bearbeitet, dass weder die Glaubwürdigkeit der Story, noch die Würde der Figuren oder die Spannung der Erzählung darunter leiden. »Never Rarely Sometimes Always« ist kein moralisierender Film, sondern einer, der sich auf das Zeigen versteht. In diesem Sinne ist es ein Coming-of-Age Film: Es wird gezeigt, wie es einer jungen, heranwachsenden Frau ergeht und wie sie in Abhängigkeit von einem kaputten System besteht. Es wird darüber hinaus gezeigt, wie für Frauen an jeder Ecke ein männliches Übel wartet. Aber es werden auch Frauen gezeigt, die solidarisch sind. Solidarität, die aus tiefen Erfahrungen stammt und die es in der männlichen Welt so gar nicht gibt. Wie zum Beispiel die einer Frau, die kurz vor dem Eingriff die Rolle der Mentorin einnimmt und für Autumn da ist. Oder in der äußerst dramatischen, fantastisch gespielten Szene, in der Autumn gebeten wird, Fragen zu ihrem Sexualleben zu beantworten, eben bloß mit den vier Worten des Titels. Diese Szene gibt nicht nur dem Film den Namen, sondern setzt ihm auch ein Denkmal.

Link: https://www.berlinale.de/de/programm/programm/detail.html?film_id=202012290

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