Jan Wagner © Gene Glover
Jan Wagner © Gene Glover

Der Klangbad-Zirkus ist back in town mit neuen Nummern

Der umtriebige Tontechniker und Musiker Jan Wagner hat seine erste eigene Platte auf Klangbad veröffentlicht. Das Traditionsmagazin skug erhielt ein Rezensionsexemplar und erzwang rasch ein Interview.

First of all: Man muss wahrscheinlich in der richtigen Stimmung sein, um sich in das erste Album von Jan Wagner reinhören zu können, denn es geht hier äußerst subtil zu. Hat man nicht die nötige Aufmerksamkeit und Ruhe, fließt es vorbei, ohne dass man seine Schönheit und Tiefe erkennt. Oder aber genau im Gegenteil: Man lässt sich mitnehmen, wo auch immer man gerade ist, von dieser sanften, aber schweren, gar nicht düsteren, aber in ihrer Intensität doch wie ein Koloss ziehenden Dampflok, die beim Start einen Schuss Wolken loslässt und alles in einen traumhaften Nebel einschließt. Das Rezept ist recht einfach. Ein Raum, ein Piano und viel Zeit und Improvisation. Heraus kamen dabei die »Nummern«, die wie eine Aufzeichnung von Gedanken und Erinnerungen in Ton erscheinen. In den langsamen Pianoparts erzählt Wagner äußerst ruhig dahin, es ist noch recht »unspektakulär«. Doch dann stoßen ein paar Schläge an ein Becken dazu – bevor klar wird, was jetzt passiert: »Nummer B« gehört mit seiner verwegenen Melodie zum Schönsten, was man seit Langem in dieser minimalistischen Ecke zu hören bekam. Schwer zu sagen, wo man sich hier befindet, es klingt nach Zukunft, aber lockt melancholische Gefühle einer nicht gekannten Vergangenheit hervor. Euphorie und Schmerz sind hier nahst beieinander. In einem Rauschen verlieren sich die Stimmungen und die erste Seite klingt langsam ab. Auf Seite B beginnt Jan Wagner mit »Nummer L« in Jon Hopkins’scher Manier mit langsamen, sich wiederholenden Klaviermelodien, die von Techno-Elektronik (von Kollege James Varghese hinzugefügt) in ihrer Progression intensiviert werden. Doch es kommt hier nicht zum großen Ausbruch. Die Stücke sind eher, wie die Namen schon sagen, kurze »Nummern«, jede ihr eigenes Ambient-Universum, insgesamt aber alle einer gemeinsamen Spannung zugehörig. Ein wunderbarer Schwall Emotionen.

Jan Wagner hat bei Klangbad für Fraktus und Mary Ocher gearbeitet, war für das Berghain-Label Ostgut Ton tätig (u. a. Kobosil, Answer Code Request) und ist in Hans Joachim Irmlers Faust-Studio Stammgast. Letzterer ist laut Wagners Angaben sein Mentor. skug möchte sich hiermit bei ihm für den guten Einfluss bedanken.

Jan Wagner © Gene Glover

skug: Es scheint durch, dass »Nummern« zwar ein sehr persönliches Album ist, doch eigentlich eine Ko-Produktion von dir und James Varghese darstellt. Wie kam es zur Zusammenarbeit und wie fühlt sich diese an, nachdem die Aufnahmen zuvor bloß für dich allein bestimmt waren?
Jan Wagner: Es fühlt sich sehr gut an. James und ich haben uns über einen gemeinsamen Freund kennen gelernt. Nach einer Tasse Kaffee und vielen, langen Gesprächen haben wir uns über unsere aktuellen Projekte unterhalten. James war zu der Zeit gerade an der Produktion der zweiten EP für Odd Beholder und ich hatte angefangen, die ersten Skizzen für die »Nummern« aufzunehmen. Ursprünglich waren diese Stücke da, um den Kopf frei zu bekommen, ohne den Hintergedanken, sie jemals zu veröffentlichen. Als James die Stücke gehört hatte, meinte er: »Das darfst du der Welt nicht verheimlichen, Jan!« Und so fing die Zusammenarbeit an. (lacht) James war für die Produktion wie mein zweites Paar Ohren. Mal hat er Spuren rausgelöscht, die nicht notwendig waren, oder hier und da etwas hinzugefügt. Er war ihm wichtig, dass es immer ein Jan-Wagner-Stück ist.

Du hast gemeint, dass dir Hans Joachim Irmler das Improvisieren beigebracht hat. Kannst du diese Erfahrung noch weiter ausführen?
So richtig lernen kann man die Improvisation ja nicht, das liegt ja in der Sache selbst. (lacht) Wir saßen also nicht stundenlang am Klavier und haben »geübt«. Irmler hat mich vielmehr auf den Weg gebracht, meine eigene Musik zu machen. Der Satz klingt ganz einfach, ist aber unglaublich schwer. Sich nicht zu sehr von außen leiten zu lassen und bei sich zu bleiben, ist, glaube ich, für jeden Menschen eine große Herausforderung.

Du arbeitest bei Ostgut und bist sicherlich recht firm, was die derzeitige Techno-Szene angeht. Welche Künstler*innen haben dich bei der Arbeit an den »Nummern« beeinflusst?
Ich kann nicht wirklich Namen nennen, da sie mich alle auf ihre Art beeinflussen. Ob Musik, Kunst, Liebe oder nur der gewöhnliche Alltag, alles beeinflusst und beeindruckt mich und spiegelt sich daher auch in meiner Musik wieder. Für mich ist die Aufnahme eines Stückes immer eine Momentaufnahme und dazu gehört alles, was um mich passiert.

»Nummern« hatte seine Premiere mit einem Live-Konzert im Faust-Studio. Das klingt ja wie eine Lesung aus dem Tagebuch – nur eben mit dem Klavier!
Es war ein unglaubliches Wochenende und der perfekte Ort für die Premiere. Das Faust Studio ist für mich mehr als nur ein gewöhnliches Studio, wer einmal an diesem Ort war, möchte eigentlich gar nicht mehr weg. Die »Nummern« dort live zu spielen, war etwas ganz Besonderes für mich.

Hast du bereits weitere Projekte und Kollaborationen geplant?
Ich bin zurück im Studio und arbeite momentan an unterschiedlichen Projekten. Unter anderem mit Rosa Anschütz an ihrem ersten Album und auch an meinem zweiten Album. Mehr wird aber noch nicht verraten.

Jan Wagner: »Nummern« (Klangbad/Quiet Love Records)

Link: https://klangbad.de/artists/jan-wagner

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