Hans Falb © Peter Nachtnebel
Hans Falb © Peter Nachtnebel

Der Keith Richards der frei improvisierten Musik

Eine Institution in Sachen Free Jazz mit weiten Spektren in andere Musikstile ist das burgenländisches Festival Konfrontationen, das vom 26. bis 28. Juli 2024 zum 44. Mal über die Bühne eines Nickelsdorfer Wirtshausgartens gehen wird. Eigner und Kurator ist Hans Falb. Anlass für ein E-Mail-Interview.

Bereits als Jugendlicher sog Hans Falb, Impresario der Jazzgalerie Nickelsdorf und des dort alljährlich im Sommer über die Bühne gehenden Festivals Konfrontationen, US-amerikanischen Free Jazz auf, europäischer kam dazu, darüber hinaus afrikanische Kultur, Bücher über die Bürgerrechtsbewegung und den Kampf gegen Kolonialregime und vieles mehr. Dies prädestinierte den von Mitarbeiter*innen und Freund*innen »Hauna« (burgenländisch für Hans) Genannten, am Rande des Eisernen Vorhangs eines der avanciertesten Festivals, das für freie Improvisation im weitesten Sinn steht, zu begründen. 2024 hält man bereits bei der 44. Ausgabe und Falb wird wohl nicht mehr, wie Mitte der 1990er-Jahre, »Verunstalter« geschimpft werden, weil selbst das eingefleischte Free-Jazz-Publikum nunmehr offenere Ohren für neue Querverbindungen hat. Dieses ist wie das Festival selbst gealtert, doch sei er kein Altersforscher, sondern Veranstalter, betont Falb im E-Mail-Interview mit skug.

skug: Mia Zabelka meinte unlängst auf meine Feststellung, dass ich mir schwertue, Improv-Live-Tonträger zu rezensieren: »Ich gebe dir recht, es gibt auch international nur einige wenige Journalisten, die eine Sprache dafür haben. Ich habe aber den Eindruck, sie hören nur Improv-Musik.« Was zunächst zur Eröffnungsfrage führt: Wie viele Live-Mitschnitte existieren auf Tonträger, die bei Gigs in der Jazzgalerie Nickelsdorf bzw. beim Festival Konfrontationen mitgeschnitten wurden?

Hans Falb: Es gibt sehr wohl gute Musikjournalisten*innen weltweit, welche nicht nur Liner Notes schreiben, sondern auch Bücher über zeitgenössische improvisierte und auch komponierte Musik auf hohem Niveau besprechen. Bezüglich Anzahl der Tonträger, welche in Nickelsdorf mitgeschnitten wurden, kann ich dir keine genauen Zahlen vermitteln. Ich kann nur auf das zu Anfangszeiten sehr engagierten Label Sound Aspects von Pedro de Freitas verweisen – ein Brasilianer, der in der BRD lebte und von Anfangsjahren in Nickelsdorf bei vielen Festivals zu Gast war. Auf einige Veröffentlichungen mit Ensembles wie Griot Galaxy aus Detroit, Spencer Barefield Trio aus Chicago, John Lindberg Trio u. v. a.

Sylvia Bruckner © Ruth Bruckner

Sehr gern höre ich aber Radio-Live-Mitschnitte auf Ö1, kompakt komprimiert, zugeschnitten auf mein Zeitguthaben, das ansonsten mit allerlei anderen Sounds angereichert wird. Welche Konzerte sind geplant, die Flüchtigkeit der Improv-Musik zum Nachhören in die nunmehr auf »Sound Art: Zeit-Ton« umgetaufte Radiosendung hinüberzuretten?

Leider sieht es momentan bei Ö1 nicht mehr so gut aus. Mir persönlich kommt es immer konservativer vor (No risk, no fun!). Vor einigen Wochen wurde ja der 100. Geburtstag des stilprägenden Schlagzeugers Max Roach gefeiert und auch seine Konzerte in Wien wurden besprochen (Anm.: Ö1 »Spielräume«). Dazu möchte ich bemerken, dass Roach mit seinen verschiedenen Double Quartets im Jahre 1983 zweimal in Nickelsdorf aufgetreten ist. Einmal am Festival im Juli, mit einem schwarzen Streichquartett mit seiner Tochter, und dann im Oktober im Club. Kein Wort von diesen Auftritten im 100-jährigen-Feature …

Mir selbst ist im Alter von 61 mittlerweile die Freude, Improv-Konzerte zu besuchen, einigermaßen abhandengekommen. Zu vieles habe ich schon gesehen und irgendwie denke ich mir manchmal, etwas Spannungsbogen-Struktur hätte das Konzert interessanter gemacht. Selten besuche ich mittlerweile Improv-Konzerte und doch wollte ich nochmal Steve Beresford live sehen. Der britische Komponist/Pianist traf 2024 in der Roten Bar des Volkstheater auf den Hausherrn Paul Wallfisch und Martin Siewert, um mit den beiden auf Basis seiner im Fotoband »Call & Response« verewigten London-im Corona-Lockdown-Bilder zu improvisieren. Das war Improv auf hohem Energielevel und vielleicht gaben die Fotos eine imaginäre Route vor, die mir gefiel. Außerdem bin ich überzeugt, dass Siewerts Trio mit Pianistin Sylvia Bruckner und Drummer Tony Buck zünden wird, um nun endlich auf den Punkt zu kommen. Was fasziniert den nunmehr 70-jährigen Hans Falb nach wie vor an Improv?

Ich war schon in jungen Jahren sehr musikinteressiert, natürlich zuerst Rock, Pop, Soul und Blues vor allem, das war auch in Bezug zur 68er-Generation. Mit 14 Jahren hörte ich Led Zeppelin in Wien im Konzerthaus. Mit 16 Jahren ging’s per Autostopp nach Griechenland, wo ich einige musikinteressierte »Hippies« traf, welche mir das Jazzfestival in Montreux ans Herz legten (wo ich dann auf Umwegen landete). 1976 war ich dann in Paris und hörte in dem Club Chapelle Des Lombards ein Live-Konzert mit Sunny Murray’s Untouchable Factor mit Barre Philips, Clifford Thornton und Michel Portal. Das war mein Einstieg in die Improvisationsmusik. Ich wurde ein guter Freund von Clifford und er wurde mein »musikalischer und ethnographischer Lehrer« bezüglich afrikanischer Kultur/Befreiungskampf/Literatur etc. Ich denke, ich habe von ihm mehr gelernt als im Gymnasium, und so hat er meinem Leben einen ganz anderen Sinn gegeben. PS: Joelle Leandre hat mir einige Jahre später in Nickelsdorf erzählt, dass sie damals auch Besucherin dieses Konzerts war. PPS: Übrigens waren bei diesem Konzert ca. 15 Personen im Publikum, davon vier Nickelsdorfer.

Red Desert Orchestra © Romain AL

Im Vorfeld eines Trio-Konzertes in der Roten Bar im Volkstheater hätte ich heuer gern mit Steve Beresford ein E-Mail-Interview geführt, was diesem aber leider zu anstrengend war. Dabei handelte es sich um wirklich bestens ausformulierte Fragen. Tja. Aus Zeitgründen mache ich nur noch E-Mail-Interviews, weil diese u. a. eine Autorisierung erleichtern. Deshalb ist es für mich eine besondere Ehre, auf diese E-Mail-Korrespondenz Antworten zu bekommen, noch dazu über das weite Feld des freien Jazz … Voran eine Altersfrage: Marshall Allen, Leader des Sun Ra Arkestra, feierte im Mai 2024 seinen 100er. Allen, at home in Philadelphia, »praktiziert noch live«. So robust möchte ich auch gern mein Ziel, 100 zu werden, erreichen. Wie siehst du, Hans, deinen weiteren Lebensweg? Künstlerischer Leiter der Konfrontationen bis zum »bitteren« Ende oder wird bald an eine jüngere Nachfolgegeneration übergeben?

Ich bin jetzt im 71. Lebensjahr. Ich glaube nicht, dass jemand die Konfrontationen weiterführen wird. Wolfgang Wasserbauer (Anm.: lange Zeit künstlerischer Leiter von Music Unlimited im Alten Schlachthof Wels), der jetzt auch in Pension ist, hat im letzten »Freistil«-Interview gemeint, dass Hans Falb der Keith Richards der frei improvisierten Musik ist. Er will sicher noch ein paar Mal nach Nickelsdorf kommen … But the future is not ours to see.

Zwischendurch, damit ich nicht vergesse: Gibt es eine Schnurre über Marshall Allen bei einem Nickelsdorf-Gastspiel, die den skug-Leser*innen nicht vorenthalten werden sollte?

Die Schnurre über Marshall Allen habe ich nicht, aber vielleicht geht es da um seinen Auftritt im Rahmen eines Konzepts, welches am Kleylehof in der Arena stattfand? Ich entwarf das, und zwar musste dieselbe Band ein Konzert geben und bei Sonnenaufgang – und das war zeitlich genau geplant, Sonnenaufgang, 4:53 Uhr – und bei Sonnenuntergang spielen. Eine enorme Herausforderung für die Beteiligten, sowohl Publikum als auch Musiker.

Gibt es Forschung zum Durchschnittsalter des Konfrontationen-Publikums? Wie hoch ist der Besucher*innenanteil? 

Ich bin kein Altersforscher, sondern Veranstalter. Zu mir hat einmal ein langjähriger Festivalbesucher nach einem elektronischen Konzert mit Radian gesagt: »Hans Falb, ich schätze dein Festival, aber jetzt bist du ein Verunstalter und kein Veranstalter.« Meine Antwort war: »Das war ein schönes Kompliment!« Das war ca. 1996, in jener Zeit, wo beim Umbruch zur elektronischen Musik HipHop-Elemente (Dälek, We, Fennesz etc.) in unsere Programmierung einflossen.

Elisabeth Harnik © Werner Korn

Reine Frauenensembles sind eher selten bei den Konfrontationen zu hören, doch auch 2024 ist viel Female im Line-up zu finden, von Almut Schlichting über Sylvia Bruckner bis Elisabeth Harnik, die in diversen Formationen mitwirken. Gibt es beim Programmieren eigentlich immer den Hintergedanken, eine womöglich selbst auferlegte Frauenquote zu erfüllen?

Hauptverantwortlich bei der Auswahl: Ergibt sich durch viel Musikhören, auf dem Laufenden zu bleiben. Warum soll man/frau auf eine musikalische Geschlechtertrennung hinarbeiten? Es kommt auf die Qualität der Musik an und nicht auf eine Quote.

Große freie Jazz-Ensembles, die weit über »Free« hinauswachsen und andere Musiken einbeziehen, schätze ich sehr. Etwa Damon Locks Black Monument Orchestra oder, um in Österreich zu bleiben, das Ralph Mothwurf Orchester oder Mühlbacher usw. Finanziell ist ein Big-Band-Format wohl selten zu derheben. Wie geht sich das mit dem multi-ethnischen Red Desert Orchestra, das mit universell gefärbten Klängen aus Mali besticht, aus? 

Eve Risser, die das Red Desert Orchestra leitet, hat bei mir vor ein paar Jahren am Festival gespielt und ich war sofort begeistert von ihrem erfreulich frischen Spiel und ihrer Experimentierfreudigkeit. Und dann habe ich sie in Berlin noch einmal gehört und war noch mehr begeistert. Ursprünglich gab es Troubles, wegen der großen Besetzung, und es wurden einige Konzerte abgesagt, aber ich übernehme das Risiko. »By any means necessary.« (Malcolm X)

Flyer © Konfrontationen Nickelsdorf 2024

Link: https://www.konfrontationen.at/ 

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