Das Waves Vienna ist mittlerweile ein Fixpunkt innerhalb der Wiener Musikszene. Und das, obwohl von Beginn an alles anders gemacht wurde. Das Festival setzt auf junge Bands und neue Ideen, fördert die Genrevielfalt und legt großen Wert auf die Genderbalance der auftretenden Bands und Künstler*innen. Das alles ist, und es tut weh das im Jahr 2018 zu betonen, noch immer nicht selbstverständlich. Deshalb ist es umso erfreulicher, wenn progressive Konzepte wie hier aufgehen. Denn auch in diesem Jahr kann man sich als Besucher*in am Waves Vienna einiges erwarten. Portugal und die Slowakei wurden im Rahmen des Musikprogramms als Gastländer gewonnen. Insgesamt treten über hundert Acts in zehn verschiedenen Locations auf, die rund um das WUK im 9. Bezirk zu erreichen sind. Und tagsüber wird zusätzlich in Panels diskutiert sowie in Gruppen geworkshopt. Schwierig also, bei diesem dichten Programm den Überblick zu behalten. skug hat für euch aus diesem Grund einen Guide zu den interessantesten Musikveranstaltungen des Waves Vienna zusammengestellt.
Jamie Isaac
Donnerstag, 27. September, 21:45–22:30 Uhr, WUK Foyer
Jamie Isaac würde niemals einen Song ohne einen Klavierakkord schreiben. Das hat sich der aus dem Süden von London stammende Produzent dick hinter die Ohren geschrieben. Und das zieht er auch auf seinem zweiten, kürzlich erschienen Album »(4.30) Idler« durch. Deshalb hat ihn die britische Yellow Press gemeinsam mit James Blake, Jamie Woon und Zayn Malik zu den »sad boys« der Popmusik erklärt. Natürlich, weil Männer grundsätzlich immer in existenzielle Trauer verfallen, sobald sie einen Anflug von Gefühlen zeigen und diese unter schlurfenden Beats zum Pianogeplätscher offenbaren. Isaac selbst stößt sich derweil gar nicht so sehr an dem Begriff. Er ist tatsächlich traurig, vor allem, weil die Menschen auf seinen Konzerten nicht tanzen. Hätte er mal gemeinsame Sache mit seinem Studienfreund King Krule gemacht, es wäre soweit wohl nicht gekommen. Der Durchbruch in den Mainstream ist trotzdem nur eine Frage der Zeit. Den Namen darf man sich merken!
WWWater
Freitag, 28. September, 21:30–22:15 Uhr, Ottakringer Stage
Als Backing-Sängerin der belgischen Band Soulwax hat sie bereits Erfahrung im Popgeschäft gesammelt. Jetzt möchte Charlotte Adigéry selbst im Rampenlicht stehen. Mit WWWater hat die Belgierin deshalb ein Projekt geschaffen, das ihrem Drang nach abstrahiertem Pop zugutekommt. Die Musik von Soulwax hat sie damit erfolgreich abgestreift. Ihre im letzten Jahr erschienene EP »La Falaise« war auch deshalb ein Ausbruch in neue Formen der Popmusik. Sie experimentierte mit Loops und Effekten, griff auf aufbrausende Synthesizerflächen zurück und setzte ihre Stimme in den Mittelpunkt des Geschehens. Zu Recht, möchte man meinen. WWWater steht Größen wie Kelela oder Tahliah Barnett von FKA twigs in nichts nach. Mit ihrem Auftritt am Waves wird sie das nun auch dem österreichischen Publikum näherbringen können.
Grandfather’s House
Samstag, 29. September, 20:00–20:45 Uhr, Aula
Rita und Tiago Sampaio sind Geschwister. Vor ein paar Jahren haben sie in ihrer Heimatstadt Braga die Band Grandfather’s House ins Leben gerufen und mittlerweile drei Alben veröffentlicht. Wobei ihre ersten musikalischen Schritte von 2014 natürlich schon lange nichts mehr mit dem Sound von heute zu tun haben. Die Band hat Mitglieder* dazu gewonnen, Gastmusiker*innen sorgen für Austausch, Abwechslung und Tiefe (u. a. Saxophon) und schließlich hat man auch an der Produktion gefeilt. Deshalb sind Grandfather’s House ein echter Geheimtipp, sofern man etwas mit der Musik von Portishead, Tricky und Primal Scream anzufangen weiß. Ihr letztes Album »Diving« klingt mit seinen dunkel-hinreißenden Downtempo-Beats jedenfalls wie eine aktualisierte, fuzzigere Version von »Screamadelica«. Spielen am Abschlusstag in der Aula.
Gewalt
Samstag, 29. September, 21:00–21:45 Uhr, WUK Halle
Patrick »Größer-als-Gott« Wagner ist ein gefallener Held der Independent-Szene. Und als solcher nimmt er den Mund gerne ziemlich voll. Mitte der 1990er-Jahre gründete er mit Surrogat eine Band, die für immer besser sein sollte als Tocotronic. Erreichen wollte Wagner das mit forschem Dilettantismus und reichlich Krach. Eine gute Mischung. Zumal die Grenze zwischen Ironie und Arroganz schon immer im Auge der Betrachter*innen lag. Surrogat ist inzwischen seit über 15 Jahren Geschichte. Mittlerweile hat Wagner mit Gitarristin Helen Henfling und Bassistin Yelka Wehmeier allerdings die Band Gewalt gegründet. Die Beats kommen – ganz auf die Gewaltenteilung bedacht – aus der Dose, gegen die konsequenterweise angespielt wird, bis nichts mehr davon übrigbleibt; das heißt, Gewalt macht dort weiter, wo Surrogat 2003 aufgehört hat – mit existenzialistisch-rohem Lärm! Es wird gelitten, anstatt geliebt. Ziemlich laut, ziemlich geil!
Nabihah Iqbal
Samstag, 29. September, 21:30–22:15 Uhr, Ottakringer Stage
Nabihah Iqbal war bis vor Kurzem noch unter ihrem DJ-Namen Throwing Shade bekannt. Jetzt ist auf einmal alles anders und sie mit ihrem echten Namen unterwegs. Dabei macht sie ohnehin nur das, was wirklich zählt: Musik, die so auch in den Achtzigern hätte laufen können. Das hat ein wenig mit der zwanghaften Retromanie der zeitgenössischen Popszene zu tun. Andererseits ergeben sich gerade dadurch auch wieder neue Möglichkeiten, um mit der Vergangenheit umzugehen. Und so ist das 2017 auf Ninja Tune erschienene Album »Weighing of the Heart« ein sehnsuchtsvolles Sammelsurium aus glänzenden Synthimelodien und wabernden Basslines geworden. Ein bisschen Eskapismus gehört dabei natürlich auch dazu. Das hat sich Iqbal von den Held*innen ihrer Jugend abgeschaut: The Cure blitzen manchmal durch, Siouxsie and the Banshees stehen aber wohl genauso in ihrem Plattenschrank wie Joy Division und Bauhaus. Das macht Laune!
Bergfilm
Samstag, 29. September, 21:15–22:00 Uhr, Aula
Wer Elektro-Pop gut findet, hat einen ziemlichen Schaden. Kein musikalisches Genre ist so undefinierbar missverstanden und unwiederbringlich mit schlechter »Musik« überladen wie Elektro-Pop. Man könnte die Kölner Band Bergfilm deshalb wirklich leicht übersehen. Dabei hat ihr Debütalbum »Constants« tatsächlich nur entfernt mit dem zu tun, was Menschen (die übrigens auch Electro-Swing leiwand finden) sich unter der oben besagten Zuschreibung vorstellen. Der Erstling von Bergfilm schafft glücklicherweise eine elegante Kurve und umschifft dieses heikle Thema ganz. Das liegt einerseits daran, dass ihre Songs eingängig und tanzbar sind, andererseits aber doch – Achtung, ihr verrückten Elektro-Pop-Produzent*innen – unprätentiös bleiben. Ihre Musik tut nicht weh und schafft es trotzdem, auf eigenartige Weise zu berühren. Klingt einfacher, als es ist, und sollte gerade live ziemlich gut funktionieren!
Schnellertollermeier
Donnerstag, 27. September, 21:30–22:15 Uhr, Ottakringer Stage
Wenn die Band Schnellertollermeier zu spielen beginnt, geht irgendwo zwischen den Bergen der fernen Schweiz das Käsefondue über. Bassist Andi Schnellmann, Gitarrist Manuel Troller und Schlagzeuger David Meier haben sich jedenfalls dafür entschieden, mit ihrer Musik keine Kompromisse ein- und das Ganze dementsprechend unkonventionell anzugehen. Die drei studierten Jazzisten aus der Schweiz verschmelzen komplexe Rhythmusstrukturen mit sich wiederholenden Mustern übersteuernder Stromgitarren, kombinieren ihre musikalischen Fähigkeiten mit in Hochdruckkompressoren angereicherter Energie und gießen das Ergebnis in unregelmäßige Formen, deren experimentelle Züge für reichlich Spannung im Oberstübchen sorgen dürften. Das Ergebnis beruht schließlich auf der maschinellen Punktualität von Radian, während Gitarrenmotive in ihrer verdichteten Repetition an Philipp Glass und die Phasen überschäumender Improvisationen an Can erinnern könnten. Sollte man nicht verpassen!
Chad Valley
Freitag, 28. September, 01:30–2:30 Uhr, WUK Foyer
Chad Valley heißt eigentlich Hugo Manuel und stammt aus dem britischen Oxford. Dort hat er sich einen wattierten Raum aus pastellfarbenen Polstern und Steppdecken eingerichtet. Zumindest in Gedanken. Denn die Musik, die Manuel seit seinem Debüt im Jahr 2011 produziert, trieft nur so vor kitschigem Schmalz vergangener Tage. Da sind die Smash-Hits mit schrecklichem Auto-Tune-Chorus, unter denen einfache Riffs und hämmernde Beats lauern, um die glitzernd-synthetischen Texturen zu begleiten. Und dann sind da noch die nostalgischen Tropicália-Träumereien auf seinem letzten Album »Imaginary Music«. Ganz schön viel Bombast für einen einzigen Auftritt.
Culk
Samstag, 29. September, 21:15–22:00 Uhr, Deezer Next Stage
Vergleiche sind meistens furchtbar und zeugen eigentlich nur von der Unfähigkeit, das vermeintlich Unbeschreibliche in Worte zu fassen. Aber im Falle von Culk muss eine Ausnahme gemacht werden. Die Wiener Band hat mit »Begierde/Scham« gerade erst ihr Debüt – einen Ausblick auf das im Frühjahr folgende Album – auf Siluh Records veröffentlicht. Und wer nicht morgen von gestern sein möchte, sollte sich das Ganze unbedingt anhören. Sophie Löw ist Frontfrau und Sängerin der Band und klingt ein wenig wie Stella Sommer von Die Heiterkeit. Die wurden für ihr letztes Machwerk in der Vergangenheit immerhin vom deutschsprachigen Feuilleton auf Händen getragen. Etwas, dass man Culk zutrauen möchte. Den düster-melancholischen Sound dafür bringen sie auf jeden Fall mit. Eine der spannendsten Entdeckungen der jüngeren Zeit und am Abschlusstag des Waves Festivals zu sehen.
Neneh Cherry
Samstag, 29. September, 00:00–1:00 Uhr, WUK Halle
Die schwedische Künstlerin ist der Star am diesjährigen Waves Festivals. Mit einer Solokarriere, die Ende der 1980er-Jahre begann und von einigen Unterbrechungen abgesehen wahrscheinlich länger andauert, als die Existenz manch junger Bands am Waves Festival zusammen, überflügelt sie heuer alle. Dabei war in ihrem Leben nichts dem Zufall überlassen. Als Stieftochter von Free-Jazzer Don Cherry sah Neneh Cherry früh die Welt, lernte Berühmtheiten wie Ornette Coleman und Miles Davis kennen und brach schließlich (wohl nicht nur deswegen) die Schule ab, um selbst Musik zu machen. Zu hören war sie dann erstmals 1989 mit ihrem Album »Raw Like Sushi«. Mit Afrika Bambaataa nahm sie Anfang der 1990er die Musik Portisheads vorweg (»I’ve Got You Under My Skin«) – und eigentlich hat sich daran bis heute nichts geändert. 2014 erschien nach längerer Pause ihr bislang letztes Album. Für kommenden Oktober ist allerdings mit »Broken Politics« ihr neuestes Werk angekündigt, das sie gemeinsam mit Kieran Hebden (Four Tet) und Robert Del Naja (Massive Attack) produziert hat. Auszüge davon gibt es am Abschlusstag des Waves Festivals im WUK zu hören.
Rodrigo Leão
Donnerstag, 27. September, 22:30–23:15 Uhr, WUK Halle
In Portugal ist Rodrigo Leão ein Star. Er füllt die großen Konzerthallen, stürmt mit seinen Kompositionen die Charts und wird vom portugiesischen Parlament schon einmal eingeladen, um zum Jahrestag der Nelkenrevolution vor tausenden Menschen zu konzertieren. Zu seinem Œuvre zählen neben Arbeiten für Film (u. a. für »The Butler«) und Fernsehen auch konventionellere Kollaborationen mit heiter-melancholischen Fado-Berühmtheiten des Landes. Das hat ihm zu Bekanntheit über die Grenzen Portugals hinaus verholfen. Mittlerweile veröffentlicht er auf dem prestigeträchtigen Label Deutsche Grammophon und produziert gemeinsam mit Beth Gibbons (Portishead), Ryuichi Sakamoto, Scott Matthew, Joan As Policewoman und Stuart A. Staples von den Tindersticks. Ein arrivierter Veteran der portugiesischen Popmusik in Wien.
Haiku Garden
Donnerstag, 27. September, 18:30–19:15 Uhr, WUK Halle
Haiku Garden ist eine vierköpfige Band aus der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Gegründet im Jahr 2014 veröffentlichte das Quartett vor zwei Jahren sein erstes überzeugendes Statement, das zu Gastauftritten auf den größeren und kleineren Bühnen quer durch Europa führen sollte. Der Sound von Haiku Garden dreht sich um Shoegaze, Dreampop und herrlich viel Feedback. Ihre riesigen, verschwommen-düsteren Gitarrensounds und die verträumten, psychedelischen Harmonien erinnern manche sicher an My Bloody Valentine und The Jesus and Mary Chain. Kein Wunder, für Letztere konnte die Band immerhin schon den Support geben. Im Herbst erscheint nun das Debüt von Haiku Garden. Auszüge davon darf man sich bei ihrem Auftritt im WUK erwarten. Dort werden die Vier dann übrigens, in farbenfrohe Visuals gehüllt, die Bühne zerlegen.
Stroon
Donnerstag, 27. September, 19:15–20:00 Uhr, WUK Beisl
Stroon heißt eigentlich Dalibor Kocian. Der studierte Perkussionist stammt aus der Slowakei und lebt inzwischen in deren Hauptstadt Bratislava. Dort produziert er mit allerhand bunt leuchtenden Maschinen und einem Vibraphon Musik, die sich der heutigen Clubmusik zwar annähert, aber doch fern genug bleibt, als dass sie zur Primetime am Dancefloor laufen könnte. Zu verträumt, zu sphärisch ist sein Sound. Dabei kann Kocian durchaus auch anders. Zu seinen Einflüssen zählt er neben stilistisch durchaus organischeren Künstler*innen wie Bonobo nämlich auch Noise-Elektroniker Ben Frost sowie die Komponisten Steve Reich und Arvo Pärt. Wer sich eine Mischung daraus vorzustellen vermag, kommt der Musik von Stroon wahrscheinlich ziemlich nahe. Etwas für die Augen und für die Ohren.
Trupa Trupa
Samstag, 29. September, 19:00–19:45 Uhr, Ottakringer Stage
Die Band ist polnisch, der Text englisch. Das sagt erst einmal wenig aus über eine Formation, die seit ihrem Szenedurchbruch 2015 (das Album »Headache« erschien damals auf Kassette) zu einem der momentan großartigsten, spannendsten, eigenartigsten und gerade deswegen wohl außergewöhnlichsten Rock-Exporte aus Polen gehört. Trupa Trupa, das sind Grzegorz Kwiatkowski, Tomek Pawluczuk, Wojtek Juchniewicz und Rafał Wojczal, und gemeinsam verlinken sie ausufernden, psychedelischen Rock mit hypnotischen Gitarrenriffs, die dem Post-Punk entlehnt sind und mittels unerschütterlicher Intensität unter grungigen Produktionsmethoden, nun ja, veredelt werden. Viel mehr braucht es nämlich nicht, um alles auf den Kopf zu stellen – Vergleiche mit Plastic People of the Universe inklusive. Absolutes Highlight!
Ilgen-Nur
Samstag, 29. September, 20:00–20:45 Uhr, Open Air Stage
Wenn es nach Ilgen-Nur geht, dann ist Erwachsenwerden so etwas wie der Todfeind des Lebens. Letztes Jahr hat sie mit ihrer EP »NO EMOTIONS« ein kleines Manifest dazu veröffentlicht und wurde von der Presse prompt als »Slacker-Prinzessin« ge(t)adelt. Dabei will die in Hamburg lebende Künstlerin weder eine Prinzessin sein noch kann sie mit derlei Geschlechter-banalisierenden Bezeichnungen etwas anfangen. Mac DeMarco ist schließlich auch kein Slacker-Prinz. Den findet Ilgen-Nur aber gut, weil er »einen Scheiß« darauf gibt, was andere von ihm denken. Deshalb hat sie gleich einmal seine Lo-Fi-Attitüde adaptiert. Ihre »sad songs about growing up« klingen kantig, ein wenig dahingerotzt und sprühen den Charme einer Angel Olsen oder aber auch einer Courtney Barnett aus. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass Max Rieger, Gitarrist von Die Nerven, seine Hände mit an den Reglern haben durfte. Der war in der Vergangenheit schließlich auch schon für den dreckigeren Sound von Karies und Friends of Gas verantwortlich. Zusammen mit Ilgen-Nur passiert nun Neues – und das ist immer spannend!
Das Waves Vienna Festival findet von 27. bis 29. September 2018 statt.
Tageskarten ab € 24,–
Festivalpass ab € 55,–