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Castle Rat

»The Bestiary«

Blues Funeral Recordings

Ich habe meine Jugend nicht mit P&P-Rollenspielen verschwendet, Cosplay finde ich zwar putzig, aber aus dem Alter bin ich ebenfalls raus. Auch der familienbedingte Besuch von Mittelaltermärkten bereitet mir eher Unbehagen, und, ganz allgemein gesprochen, neige ich zur schmuck- und schnörkellosen Gestaltung meiner Existenz, weil mir alles andere zu umständlich oder aufwendig ist. Robe, Kutte, Umhang, Schild und Schwert – alles nicht sehr alltagstauglich, und bevor ich mir ein Einhorn in die Garage stelle, muss noch einiges an Wasser den Rhein runter fließen. Vielleicht bin ich gerade deshalb so anfällig für den Mumpitz, den mir Castle Rat aus New York anschleppen und unterjubeln wollen, weil irgendwo müssen sie hin, die ganzen Fantasien! Auf Schallplattenhüllen gebannt, lassen sie sich auch recht gut in Schach halten und nach Gebrauch wegsortieren. Hat wieder alles seine Ordnung! Zunächst aber das volle Programm mit Masken, Make-up und den spärlich bedeckten Möpsen von Sängerin Riley Pinkerton. Die Formulierung bietet sich der Alliteration wegen an und ehrlicherweise sollte ich an dieser Stelle nicht verschweigen, was eben qua Inszenierung ins Auge fällt. Mit vollem Körpereinsatz ist darüber hinaus die gesamte Truppe unterwegs, um ihre Musik stilgerecht zu präsentieren. Doom Metal mit Anleihen an klassischen Heavy Metal und Okkult-Rock machen sie, der ausdrucksstarke Gesang von Pinkerton nebst schleppend-schweren Riffs und wuchtigem Schlagzeug reiht die Band in die Tradition von Coven bis Jex Thoth, Smoulder, Lucifer, Blood Specter oder Messa ein. Es geht mir hierbei nicht um die Betonung des zweifelhaften Prädikats »female fronted«, sondern um das genretypische Zusammenspiel von stets dunkel grundierter Instrumentierung und hellem, kraftvollem Klargesang. Die so zum Ausdruck kommende Dynamik verwirklicht ästhetisch das thematisch – und wenn man so will, philosophisch – zugrundeliegende Programm: Gitarren, Bass und Schlagzeug verkünden Unheil, malen ein schreckliches Szenario aus und den Teufel an die Wand. Die Aussichten sind alles andere als rosig, das Schicksal liegt im Dunkeln, steinig und voller Gefahren ist der Weg zur rettenden Wahrheit. Wer stellt sich dieser Situation, nimmt die Mühen auf sich, sucht das Abenteuer und erlöst uns vom Bösen? Unsere Heldin mit der glasklaren Stimme (der Vernunft), die, mithilfe ihrer Klinge, durch die Dunkelheit zu führen weiß. Behold, All Ye Devils, Demons, and the Damned! Nehmt dies, ihr Schurken! Die Rettung naht, es ist nicht alles verloren! Ja, so geht es zu, bei Castle Rat. Und gerade, weil alles, was sie mit viel Aufwand veranstalten, etwas »drüber« oder »daneben« erscheint, passt es so gut zur ganz normal verrückten Welt, die sich als Realität aufdrängt. Metaphorisch betrachtet zumindest – gegen die vielköpfige Hydra der Spätmoderne (Finanzamt, Kindererziehung, Lohnarbeit, Rechnungen …) muss ich zwar eher mit dem Kugelschreiber kämpfen, aber vorstellen kann ich mir ja, dass er mir als Schwert dient, um gegen die Ungeheuer des Alltags zu bestehen!

Home / Rezensionen

Text
Holger Adam

Veröffentlichung
23.09.2025

Schlagwörter

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