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C Joynes & Mike Gangloff

»Tom Winter, Tom Spring«

VHF

In einem imaginären Paralleluniversum sitze ich den lieben langen Tag im Schaukelstuhl auf der Veranda einer hölzernen Behausung irgendwo in den Bergen (lieber in den Alpen als den Appalachen, Amerika ist mir als Pflaster im Augenblick zu heiß), in meinem Schoß ruht ein Banjo (kann ich nicht spielen, egal), in der Ecke steht eine doppelläufige Schrotflinte (ungeladen, nur zur Dekoration) und auf dem Tisch neben mir ein Bier (Moonshine ist mir nicht geheuer). Anhand der einschränkenden Klammerbemerkungen wird umgehend klar: Ich bin nicht dafür gemacht, in der vorgestellten Wildnis, dem romantischen Idyll einsiedlerischer Existenz, zu überleben. Der Gedanke gefällt mir, die damit einhergehende wenig komfortable Realität eher nicht. Es ist noch kein Walden vom Himmel gefallen, dafür aber schnell an einer Pilzvergiftung gestorben, weil: leider Sorte falsch bestimmt, Pech gehabt. Wie gut, dass es Musik als Projektionsfläche für derlei Abenteuer gibt, die sich mit geschlossenen Augen und geöffneten Ohren bequem auf der Couch sitzend erleben lassen. Der Brite C Joynes und der Amerikaner Mike Gangloff liefern mir den Soundtrack zum einfach vorgestellten Leben im Hinterland. Die Instrumentierung ist ebenso sparsam und schnörkellos wie die angenommene Lebensweise: eine Fiddle, eine Gitarre (manchmal mit Strom betrieben), fertig. Musik zum Träumen! Mögen andere sich all inclusive in sonnige Urlaubsparadiese wünschen, mich zieht es in die schattige Einsamkeit, die nächsten Nachbarn mindestens eine Autostunde entfernt (Wobei, nachts stelle ich mir das auch schon wieder unheimlich vor, so ganz allein, all die Geräusche in der undurchdringlichen Dunkelheit). Aber genug der albernen Fantasien, sonst entsteht noch der Eindruck, ich nähme die Musik des Duos ebenso wenig ernst wie mich selbst. Das ist nicht der Fall. Mike Gangloff, ohnehin in meiner Welt ein ganz Großer, weil Mitglied im Eternal Music/Cosmic Americana Ensemble Pelt, fiedelt die sehnsüchtigsten Melodien und C Joynes entspricht mit seiner Gitarre der grundsätzlich nostalgischen Stimmung des gesamten Albums. Acht instrumentale Kompositionen beinhaltet »Tom Winter, Tom Spring«, die im besten Sinne aus der Zeit gefallen scheinen bzw. zeitlos klingen. Von modernem Blödsinn und vermeintlich raffiniertem Schnickschnack befreite Musik. 

Home / Rezensionen

Text
Holger Adam

Veröffentlichung
17.06.2025

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