Es war im Winter des Jahres 1989 im Lokal Blue Box in Wien. Dort habe ich Bruce (er selbst nannte sich lieber Bruno) Adams als Anführer eines Rudels australischer Musiker mit Namen Once Upon A Time kennen gelernt. In Berlin war wenige Wochen vorher die Mauer gefallen. Once Upon A Time kamen aus Melbourne, Australien, und wollten eigentlich in Westberlin ihr Glück versuchen, aber die Stadt wurde gerade überschwemmt von Ostdeutschen im Freiheitsrausch. So wichen sie auf Anraten ihres Freundes und Förderers Mick Harvey nach Wien aus.
In Wien wohnte damals auch Simon Bonney, Sänger von Crime & the City Solution, er vermittelte ihnen eine Unterkunft in Wien. Dort konnten Once Upon a Time bleiben, bis sich die Lage in Berlin normalisiert hatte.
Die Band kam ohne Bassist nach Europa, der zog es vor in Melbourne zu bleiben. Die anderen beschlossen, in Australien alles hinter sich zu lassen, Freunde und Verwandte, den Strand und die Kultur, die vertraute Umgebung. In Europa waren die Erfolgsaussichten für sie besser, dank Nick Cave und Crime & the City Solution war diese Art von Musik in bestimmten Kreisen gerade hip. »In Europa gibt es mehr Menschen«, so begründeten sie ihre Migration. Viele Jahre später heißt seine Band The Fatal Shore. In einem Interview erklärt er den Namen: »»The Fatal Shore« ist ein Song, der von Sträflingen gesungen wurde, die von England nach Australien deportiert wurden. Sie wussten, sie würden nie wieder zurückkehren, sie würden dort sterben. Wir sind den umgekehrten Weg gegangen, von Australien nach Europa, für uns ist das hier das »schicksalhafte Ufer««.
In Europa wollten Once Upon A Time so schnell wie möglich Live-Konzerte spielen, also suchten sie einen Bassisten. Peter Rehberg, später Mitbegründer des Elektroniklabels Mego und selbst Musiker, stellte mich ihnen vor. Sie erzählten mir von ihren musikalischen Einflüssen: The Doors, Jimi Hendrix, John Coltrane, Hank Williams, Lee Hazlewood, Tennessee Earnie Ford, Nina Simone … einige dieser Namen hatte ich noch nie gehört, oder ich hielt sie für Schnulzensänger oder Hippies. Das war also der musikalische Nährboden, auf dem robuste Pflanzen wie Birthday Party oder the Beasts of Bourbon gedeihen konnten! Sie sollten meinen Musikgeschmack nachhaltig beeinflussen.
Ich bekam eine Kassette mit Demoaufnahmen der Band zum Üben, dann probten wir die Stücke in einem Proberaum in der Arena in St. Marx. Bruno hatte die meisten Stücke komponiert, sie waren zum Teil komplex komponiert, verwendeten oft Tempowechsel, krumme Metriken und ungewöhnliche Harmonien. Fast wie in der E-Musik schöpften sie das dynamische Spektrum voll aus, von extrem Leise bis zur Lärmorgie. Sie verströmten immer einen Hauch von Pathos und großem Theater. Und sie hatten mit Bruno Adams einen idealen Interpreten: er war ein charismatischer Sänger und Entertainer, ein aufregender Geschichtenerzähler, ein Bühnentornado. Und auch äußerlich blieben seine mächtige Statur und seine zerzauste Löwenmähne den Zuschauern lange im Gedächtnis. Das sollte sich bei den folgenden ersten Live-Auftritten herausstellen.
Bruno war auch innerhalb der Band der unumstrittene Leader. Nicht dass er jemals den Chef heraushängen ließ oder ein Bandmitglied von oben herab behandelt hätte, aber er war derjenige, der bei jeder Katastrophe einen klaren Kopf behielt und immer wusste, was als nächstes zu tun ist. Sein Wort hatte Gewicht. Und Katastrophen passierten viele: kaputte Gitarrenverstärker kurz vor dem Auftritt, verlorene Reisepässe, fehlende Schlafmöglichkeiten um 11 Uhr nachts in einer fremden Stadt, aufgebrochene Tourbusse oder drastische Reiseverspätungen vor dem nächsten Gig, der am anderen Ende Deutschlands stattfand. Bruno dachte immer schon an die Problemlösung, als der Rest der Band sich noch im Zustand latenter Panik oder fortgeschrittener Verzweiflung wähnte.
Auf einer Italien-Tournee wurde einmal der Bandbus aufgebrochen. Sämtliche Kleidung wurde gestohlen, die eingenommen Konzertgagen luden nicht gerade zum Shoppen bei Benetton ein. Im nahe gelegenen Brindisi war gerade eine größere Anzahl albanischer Flüchtlinge gestrandet. Die Band stellte sich zusammen mit den Not leidenden Albanern bei einer Gratiskleiderausgabe an, um wenigstens mal die Wäsche wechseln zu können. Aufgegeben wurde höchstens ein Brief, und es fand sich immer ein Weg um weiterzumachen.
Dem Vernehmen nach konnte Bruno auch zuschlagen, wenn es sein muss. Wir waren nie in einer Situation, die es notwendig machte, aber es war für uns drei schmächtige Jungmänner schon ein beruhigendes Gefühl, einen dabeizuhaben, der es im Fall des Falles mit einem Raufbold aufnehmen konnte. Als Once Upon A Time einmal in Wiener Neustadt spielten, wurde der Laden von rechtsradikalen Skinheads überfallen. Passiert ist nicht viel. Die Betreiber des Kulturzentrums starben fast vor Angst, Bruno hingegen amüsierte sich im Nachhinein darüber, dass diese Skinheads alles nur 16-jährige Lausbuben waren. Schließlich normalisierte sich die Lage in Berlin. In Ostberlin standen viele Häuser leer, die nur darauf warteten, von zugereisten Bands okkupiert zu werden. Also zogen Once Upon A Time nach Ostberlin. Sie mussten sich einen neuen Bassisten suchen, denn ich ging nicht mit. Ich fand Berlin aufregend, war aber doch zu sehr in Wien verwurzelt, um die Stadt zu verlassen. Später sagte Bruno in einem Interview: »It’s very easy to burn out in Berlin«.
Ab diesem Zeitpunkt wurden die Kontakte weniger, rissen aber nie ganz ab. Bei jedem Konzert von Once Upon A Time in Wien oder dessen Umgebung traf ich sie wieder. Sie veröffentlichten noch eine CD, zum Durchbruch reichte es aber nie. 1995 lösten sie sich schließlich auf. Bruno heiratete, bekam einen Sohn, heiratete ein zweites Mal und zeugte noch zwei weitere Kinder. Er gründete zusammen mit dem Engländer Phil Schoenfeldt und dem Once-Upon-A-Time-Drummer Chris Hughes The Fatal Shore und veröffentlichte noch drei CDs. Regelmäßig spielte er Solokonzerte in den einschlägigen Bars in Berlin. Dort kannte man ihn auch als Kellner.
Im November 2008 sah ich ihn zum letzten Mal. The Fatal Shore kamen nach längerer Zeit wieder nach Wien – ins Chelsea, um ihre neue CD zu präsentieren. Bruno war auf der Bühne so präsent wie immer. Nach dem Konzert sagte er mir, dass er Krebs habe und es nicht mehr lange machen werde. Die Ärzte gaben ihm damals zwei Jahre, seitdem sind aber schon fünf Jahre vergangen. Schon diese letzte Tournee soll er nur unter starken physischen Schmerzen gespielt haben, aber das sagten mir die anderen, nicht er.
Am 18.April 2009 ist er im Kreise seiner Familie und nahen Freunde gestorben, am 20. April wurde er in Berlin beerdigt. Er war eine starke Persönlichkeit, wie ich sie nicht oft in meinem Leben getroffen habe, und ein großer Musiker und Entertainer, von dem ich viel gelernt habe. Bruno ist viel zu früh gestorben. Er hinterlässt eine Frau und drei Kinder. Goodbye, mate.
Bruno Adams: Geboren 2.9.1963, Bacchus Marsh, Australia. Gestorben 18. 4. 2009 Berlin, Deutschland.
>> http://www.myspace.com/ausonuponatime
>> http://www.youtube.com/watch?v=tgJ97IIhJRA
Diskografie:
Once Upon A Time
1990: »Once Upon A Time« (Vinyl LP, Angry Fish Music)
1992: »In the Blink of an Eye« (CD, What\’s so funny about)
1994: »Don’t look down« (CD, Kill City)
The Fatal Shore
1997: »Fatal Shore« (CD, Rachot/Behemot, Moloko+)
2003: »Free Fall« (CD, Moloko+)
2007: »Real World« (CD, Amboss Recordings)
2009: »Bird on a Wire« (3-Track-EP, for download only, Fuego
)
Der amerikanische, in Prag lebende Filmemacher Robert Carrithers hat The Fatal Shore auf ihrer letzten Tournee begleitet und arbeitet derzeit an einem Dokumentarfilm über die Band. Nähere Infos zu diesem Filmprojekt gibt es hier:
>> http://www.myspace.com/robertum3